Kosmologie: Atom-gleiche Schwarze Löcher könnten neue Teilchen offenbaren
Ein Schwarzes Loch, das sich verhält wie ein Atomkern – was nach einem Szenario aus der Feder eines übereifrigen Sciencefiction-Autors klingt, könnte tatsächlich Wirklichkeit sein. Bereits 1980 erkannte der Physiker Steven Detweiler, dass die galaktischen Ungeheuer von einer Wolke aus leichten Teilchen umgeben sein könnten, die den Elektronen in einer Atomhülle ähneln. Ob diese gigantischen Quantenobjekte, so genannte Gravitationsatome, wirklich existieren, ist bisher unklar. Denn die Partikel in der Hülle müssten extrem leicht sein, leichter als jedes bisher bekannte Elementarteilchen. Solche Leichtgewichte könnten beispielsweise Axione sein, die auch Anwärter für Dunkle Materie sind. Aber auch von diesen fehlt bislang jede Spur.
Doch das könnte sich nun ändern: Ein Team um den Physiker Giovanni Maria Tomaselli von der Universität Amsterdam hat theoretisch gezeigt, dass Gravitationsatome deutliche Spuren in Doppelsystemen aus zwei Schwarzen Löchern hinterlassen, die wiederum von präzisen Gravitationswellendetektoren nachgewiesen werden könnten. Die Ergebnisse wurden im September 2024 im Fachjournal »Physical Review Letters« veröffentlicht.
»Schwarze Löcher sind die perfektesten makroskopischen Objekte, die es im Universum gibt«, sagte einst der Physiker Subrahmanyan Chandrasekhar (1910–1995). Diese gigantischen kosmischen Staubsauger entstehen, wenn Materie so stark verdichtet wird, dass innerhalb eines bestimmten Abstands nichts mehr ihrer Schwerkraft entrinnen kann – nicht einmal Licht. Detweiler untersuchte vor mehr als 40 Jahren, wie Schwarze Löcher Quantenfelder beeinflussen könnten; ähnlich, wie Stephen Hawking es in seinen berühmten Arbeiten getan hatte.
Detweiler stieß dabei auf einen überraschenden Spezialfall: Wenn es extrem leichte Elementarteilchen einer bestimmten Teilchenklasse namens Bosonen gäbe, dann könnten diese das Schwarze Loch wie eine Wolke umgeben, die an eine Atomhülle aus Elektronen erinnert. »Die Bezeichnung ›Gravitationsatom‹ ist nicht übertrieben«, schreibt der Physiker Caio F. B. Macedo im »Physics Magazine«. »Die zeitliche Entwicklung der Wolke wird durch die Schrödingergleichung beschrieben, und die Energieniveaus ähneln denen von Wasserstoff.«
Tomaselli und seine Kollegen haben aber kein einfaches Gravitationsatom untersucht, sondern ein zweifaches. Sie wollten herausfinden, wie eine Bosonen-Wolke ein Doppelsystem aus Schwarzen Löchern beeinflussen würde. Und machten eine erstaunliche Entdeckung.
Wechselwirkende Gravitationsatome
Doppelsysteme gewöhnlicher Schwarzer Löcher, die sich im leeren Raum (also ohne die Wolke aus hypothetischen ultraleichten Bosonen) bewegen, werden schon lange untersucht. Die galaktischen Ungetüme umkreisen sich wegen ihrer großen Masse und senden Gravitationswellen aus. Da sie dadurch Energie verlieren, wird ihre Umlaufbahn immer kleiner und kreisförmiger. Je älter das Doppelsystem, desto kleiner und kreisförmiger ist der Theorie zufolge ihre Bahn.
Das Team um Tomaselli hat solche rotierenden Paare untersucht, die von einer Bosonen-Wolke umgeben sind. Die darin enthaltenen Teilchen haben eine Masse zwischen 10-20 und 10-10 Elektronvolt – millionenfach weniger als die leichtesten Neutrinos. Solche ultraleichten Bosonen könnten Dunkle Materie sein, unter anderem könnten die hypothetischen Axionen in diese Kategorie fallen. Wie die Forscher um Tomaselli herausfanden, könnte die Rotation der Schwarzen Löcher die Bosonen-Wolke anregen – und sogar »ionisieren«.
»Dieses Ergebnis steht in deutlichem Gegensatz zu dem einfacheren Bild eines Doppelsterns im Vakuum«Caio F. B. Macedo, Physiker
Die Bewegungsenergie des Systems würde dadurch in die Wolke wandern, was wiederum die Bahnkurve der Schwarzen Löcher beeinflusst. Zum Beispiel wäre das Doppelsystem dadurch weniger rund und eher exzentrisch. »Dieses Ergebnis steht in deutlichem Gegensatz zu dem einfacheren Bild eines Doppelsterns im Vakuum«, schreibt Macedo. »Das bietet eine interessante Möglichkeit: Die Existenz der Bosonen – und möglicherweise die Entschlüsselung ihrer Natur – könnte aus den Orbitalparametern der binären Systeme abgeleitet werden.« Das heißt: Vielleicht offenbaren Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern bislang verborgene Geheimnisse der Teilchenphysik.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.