Galaxien: Schwarze Löcher mit Energieüberschuss
Viele der Astronomen und Physiker, die damals zur Konferenz eingeladen waren, fürchteten um ihre Sicherheit. Andere hätten sie am liebsten gleich ausfallen lassen. Eine Konferenz in Dallas – nur wenige Wochen nachdem US-Präsident John F. Kennedy dort ermordet worden war? Das schien einfach respektlos.
Letzten Endes aber fand das erste Texas Symposium on Relativistic Astrophysics wie geplant ab dem 16. Dezember 1963 statt. Und die meisten der eingeladenen Wissenschaftler erschienen – nachdem der Bürgermeister von Dallas sie in einem Telegramm um ihre Teilnahme gebeten hatte. Kennedys Tod warf dennoch seinen Schatten auf die Konferenz und überlagerte sich mit der ohnehin surrealen Stimmung dort – beschäftigte man sich doch mit einem schier unergründlich scheinenden Phänomen.
In jenem Jahr hatten Astronomen entdeckt, dass es sich bei einigen geheimnisvollen "quasi-stellaren" Objekten, so genannten Quasaren, nicht einfach nur um eine sonderbare Variante von gewöhnlichen Sternen handelte. Stattdessen waren sie offenbar unfassbar weit entfernt, denn ihr Licht brauchte Milliarden von Jahren, um die Erde zu erreichen. Zudem leuchteten sie ungewöhnlich hell – selbst hundert Galaxien mit Milliarden normalen Sternen schafften es nicht, sie zu überstrahlen. Gleichzeitig waren sie erstaunlich klein – nicht größer als unser Sonnensystem. Derart viel Energie in einem vergleichweise winzigen Volumen sollte die Raumzeit stark krümmen, so wie von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie beschrieben. Die Materie könnte dort sogar zu einem gigantischen Schwarzen Loch kollabieren – ein exotisches Szenario, das damals wie reine Sciencefiction anmutete.
"Quasare veränderten wirklich alles", berichtet Michael Turner von der University of Chicago in Illinois. Im Dezember 2013 hielt der Kosmologe auf dem 27. Texas-Symposium, wieder in Dallas, einen Vortrag anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums der ersten Konferenz. Einsteins Theorie über die Existenz Schwarzer Löcher geriet hier auf einmal ins Blickfeld der Forscher – bis zu den 1960er-Jahren galt sie dagegen eher als Nischenidee, die wenig mit praktischer Astronomie zu tun hatte. "Das öffnete Tür und Tor", so Turner: Beobachtungen bestätigten bald, dass das Universum bizarrer und schonungsloser war, als es sich die Astronomen je vorstellten. Explosionen und Ausbrüche ereigneten sich am laufenden Band. Und Schwarze Löcher so groß wie unser Sonnensystem, aber mit der Masse von Millionen oder Milliarden Sonnen, fanden sich nicht nur innerhalb von Quasaren, sondern inmitten einer jeden großen Galaxie im Weltall – einschließlich unserer eigenen.
Quasara bleiben ein großes Rätsel
Das Symposium im vergangenen Jahr machte deutlich, dass extrem massereiche Schwarze Löcher den Forschern immer noch große Rätsel aufgeben – angefangen bei der Frage, wie sie solche enormen Energiemengen produzieren und freisetzen, bis hin zu der, wie sie im frühen Universum so schnell anwuchsen. Entscheidende Hinweise erhoffen sich die Forscher von Instrumenten wie dem Nuclear Spectroscopic Telescope Array (NuSTAR) der NASA, das Mitte 2012 ins All startete. In diesem Jahr erhalten Astronomen die seltene Gelegenheit, die Fressgewohnheiten des zentralen Schwarzen Lochs in unserer eigenen Galaxie zu studieren: Eine umherstreunende Gaswolke kommt der Gravitationsfalle schon bald gefährlich nahe und dürfte daraufhin verspeist werden.
Die Grundlagen der Energieerzeugung um Schwarze Löcher sind inzwischen gut verstanden. Sterne, Gas und Staub, die sich durch den Galaxienkern bewegen, werden durch die enorme Schwerkraft des Schwarzen Lochs angezogen und verdichtet. Anschließend trudelt die Materie auf spiralförmigen Bahnen weiter nach innen und bildet eine so genannte Akkretionsscheibe um den Schlund, wobei sie immer heißer wird. Nähert sich das überhitzte Material schließlich dem Ereignishorizont des Schwarzen Lochs – dem Punkt ohne Wiederkehr, ab dem selbst Licht nicht mehr entweichen kann – wurde bis zu 42 Prozent seiner Masse in Energie umgewandelt.
Diese Energie wird in Form von Wärme, Licht und oftmals gebündelten Materiestrahlen frei, in denen Teilchen senkrecht zur Akkretionsscheibe mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in entgegengesetzte Richtungen schießen. Diese so genannten Jets können sich über Tausende oder sogar Millionen von Parsecs erstrecken. Ist ein solcher Teilchenstrahl direkt auf die Erde gerichtet, sprechen Astronomen von einem Quasar. Weisen die Jets dagegen seitwärts, wird die Galaxie als "aktiver galaktischer Kern" bezeichnet. Mangelt es dem Schwarzen Loch indes an Futter, so dass nur sehr wenig Gas und Staub um seinen Schlund herumwirbelt, ist es faktisch unsichtbar.
Einige Details in diesem groben Bild verunsichern allerdings. Ab 2006 zeigten beispielsweise mehrere Himmelsdurchmusterungen, dass die Jets ihre Schwarzen Löcher mit dreimal mehr Energie verlassen als die vereinnahmte Materie überhaupt enthielt – eine grobe Verletzung der Energieerhaltung.
Lösung für das Jet-Problem
Auf der kürzlich abgehaltenen Konferenz in Dallas stellte Roger Blandford von der Stanford University in Kalifornien eine mögliche Lösung für das Problem vor. Der Physiker und seine Kollegen hatten im Computer simuliert, wie die Materiestrahlen entstehen [1,2]. Dabei gingen sie von einem schnell rotierenden Schwarzen Loch mit einem starken Magnetfeld aus – Eigenschaften, die sich zwar nur schwer direkt messen lassen, aber theoretisch plausibel erscheinen. Die Magnetfeldlinien reichen in ihrem Modell weit ins All hinaus und drehen sich gemeinsam mit dem Schwarzen Loch. Da sie die Akkretionsscheibe wie starre Drähte durchbohren, reißen sie das Gas in der Scheibe mit sich. Unter bestimmten Umständen kann das Magnetfeld ausreichend Rotationsenergie vom Schwarzen Loch auf die Materiescheibe übertragen und die ungewöhnlich intensiven Jets mit Energie versorgen, so das Ergebnis der Simulationen.
Mit Beobachtungsdaten von NuSTAR konnten Astronomen neulich zeigen, dass sich ein extrem massereiches Schwarzes Loch tatsächlich sehr schnell dreht. Ausschlaggebend waren auch hier Computersimulationen: Denen zufolge ließe sich anhand von Röntgenstrahlen, die nahe dem Ereignishorizont emittiert werden, auf die Rotation eines Schwarzen Lochs schließen. Denn schnell rotierende Schwarze Löcher sollten die Materie näher an diesen Horizont heranziehen und sie damit einer enormen Schwerkraft aussetzen – infolgedessen würden von dort ausgehende Röntgenstrahlen zu röteren, weniger energiereichen Wellenlängen verschoben.
Mit früheren Röntgenteleskopen hatten Astronomen zwar bereits Hinweise auf einen solchen gravitativen Fingerabdruck aufgespürt, doch war nie auszuschließen, dass Gaswolken die Akkretionsscheibe überlagern und das Ergebnis verfälschen. Verglichen mit seinen Vorgängern kann NuSTAR auch Röntgenstrahlen mit bis zu zehnmal höheren Energien beobachten, und die durchdringen solche Wolken problemlos. Und tatsächlich fand man in den Spektren der verhältnismäßig nahen Spiralgalaxie NGC 1365 eindeutige Signaturen von rotverschobenen Röntgenstrahlen, wie die wissenschaftliche Leiterin der NuSTAR-Mission Fiona Harrison vom California Institute of Technology in Pasadena auf der Konferenz im Dezember berichtete. Zusätzlich zogen die Forscher auch Messungen des europäischen Weltraumteleskops XMM-Newton heran, das den Himmel bei geringeren Röntgenenergien aufnimmt. Die zusammengefügten Daten deuten darauf hin, dass sich das zentrale Schwarze Loch von NGC 1365 nahezu mit der – gemäß Einsteins Theorie – maximal möglichen Geschwindigkeit dreht [3]. Es besäße damit genügend Rotationsenergie, um seine gesamte Heimatgalaxie zu zerreißen, wenn diese Energie irgendwie entfesselt werden könnte.
Immer weiter entfernte Schwarze Löcher
Womöglich ist NGC 1365 keine typische Galaxie. NuSTAR und zukünftige Weltraumteleskope werden bald die Rotation von immer weiter entfernten Schwarzen Löchern messen, sagt Harrison. Da Astronomen auf diese Weise schrittweise in der Geschichte des Universums zurückgehen, könnten sie diese Daten auch bei einem weiteren großen Rätsel voranbringen. Man spürte nämlich Quasare auf, deren Schwarze Löcher offenbar schon rund 750 Millionen Jahre nach dem Urknall existierten – das Universum hatte damals weniger als sechs Prozent seines heutigen Alters erreicht – und Milliarden von Sonnenmassen in sich vereinen. Wie konnten sie so schnell so riesig werden?
Die Rotationsgeschwindigkeit eines Schwarzen Lochs sagt möglicherweise auch etwas über seine Entstehung aus, erklärt Harrison. Extrem massereiche Schwarze Löcher sind einfach zu riesig, als dass sie aus einem einzigen Stern hätten hervorgehen können. Das unterscheidet sie von stellaren Schwarzen Löchern, bei denen der Vorläuferstern unter seiner eigenen Schwerkraft kollabierte. Vielleicht fügten sich die gigantischen Schwarzen Löcher aus vielen kleineren zusammen, wobei jeweils Exemplare mit beliebigen Rotationsrichtungen miteinander verschmolzen. Fanden solche Fusionen über Millionen oder Milliarden von Jahren statt, dürfte sich das ausgewachsene Schwerkraftmonster unterm Strich so gut wie gar nicht mehr drehen. Verschmolzen aber nur wenige mittelgroße Objekte zu einem supermassereichen Schwarzen Loch, liefe das Wachstum nicht nur schneller ab, auch die Drehbewegung der einzelnen Mitglieder hätte sich nicht unbedingt aufgehoben – und die resultierende Rotationsgeschwindigkeit könnte recht hoch ausfallen.
Die extrem hohe Drehgeschwindigkeit des Schwarzen Lochs in NGC 1365 legt nahe, dass zumindest einige supermassereiche Schwarze Löcher auf diese Weise entstanden – auch wenn in diesem Szenario unklar bleibt, woher die erforderlichen mittelschweren Schwarzen Löcher kommen.
Schnelle Rotation, langsames Wachstum
Für das Wachstum der Schwarzen Löcher im frühen Universum könnte eine schnelle Rotation hingegen problematisch sein, sagt Avi Loeb vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts. Denn ein schnell rotierendes Schwarzes Loch schleift den inneren Rand der Akkretionsscheibe oft mit sich und zieht diesen nach innen. Um den Ereignishorizont zu erreichen, muss die einfallende Materie hier also einer längeren Spiralbahn folgen – verglichen mit einem Schwarze Loch, das sich nur langsam dreht. Der zusätzliche Weg kostet mehr Zeit und so wandelt sich weitere Masse in Strahlung um, anstatt der Masse des Schwarzen Loch zugute zu kommen.
Möglicherweise bringen starke Magnetfelder die Sache wieder in Ordnung, spekuliert Loeb. Indem sie Rotationsenergie vom Schwarzen Loch auf die äußere Scheibe übertragen, würde sich dieses bereits nach kurzer Zeit langsamer drehen. Auf diese Weise kann mehr Materie nach innen strömen und die ersten Schwarzen Löcher im Universum anwachsen lassen. Zukünftige Messungen sollten also zeigen – wenn Loeb denn richtig liegt –, dass sich extrem massereiche Schwarze Löcher relativ gemächlich drehen.
Loeb favorisiert jedoch ein anderes Modell. Schwarze Löcher konnten demnach so rasch an Masse gewinnen, weil sie zeitweise einen überaus dichten und undurchsichtigen Materiestrom in sich hineinschlangen. Den Photonen blieb hierin nicht genügend Zeit, um aus dem Gas auszutreten, bevor es auf Nimmerwiedersehen in den Schlund stürzte. Die Strahlung wandert also ins Innere anstatt zu türmen, und das Schwarze Loch vertilgt seine Energie als zusätzliche Masse [4].
Sagittarius A* im Herzen der Milchstraße
Manchmal kann ein starkes Magnetfeld ein Schwarzes Loch sogar im Wachstum hemmen, anstatt es dabei zu unterstützen. Genau das passierte womöglich mit dem uns nächsten extrem massereichen Schwarzen Loch – Sagittarius A* –, das nur 8300 Parsec von der Erde entfernt im Herzen der Milchstraße liegt. Verglichen mit anderen wirkt das hiesige Exemplar mit einer Masse von nur vier Millionen Sonnen geradezu winzig. Auch geht von ihm nur wenig Strahlung aus.
Die Frage ist, warum? Möglicherweise gibt es nicht viel Gas und Staub im Milchstraßenzentrum und damit wenig Futter für das Schwarze Loch. Vielleicht ist aber auch etwas anderes am Werk, sagt Mitchell Begelman von der University of Colorado in Boulder. "Man spekuliert darüber, ob manche Akkretionsströme 'magnetisch festgehalten' werden", so der Astrophysiker.
Im vergangenen Jahr entdeckte NuSTAR beispielsweise einen stark magnetisierten Neutronenstern in einer Umlaufbahn um Sagittarius A*, einen so genannten Magnetar. Dieser befand sich nahe genug am Schwarzen Loch, um den Astronomen als Sonde für dessen Magnetfeld zu dienen. Indem sie die Radioemissionen des Magnetars genau analysierten, fanden sie heraus, dass das Magnetfeld von Sagittarius A* sowohl beträchtlich und als auch in hohem Maße geordnet sein muss [5] – vielleicht war es also in der Lage, den Futternachschub für das Schwarze Loch abzuschneiden und es auf eine Hungerkur zu setzen.
Gelegentlich bekommt Sagittarius A* aber noch einen kleinen Happen. In diesem März erwarten Astronomen beispielsweise, dass ein Objekt namens G2 dem Schwarzen Loch in der Galaxis gefährlich nahe kommen und schließlich durch dessen Gezeitenkräfte zerrissen wird. Handelt es sich bei G2 um eine Gaswolke, dürfte das dadurch hervorgerufene Feuerwerk spektakulär sein. Ist das Objekt dagegen ein Stern mit einer ausgedehnten Gashülle, stehen die Chancen auf ein Feuerwerk schlechter: Das Gestirn hätte das Gas fester im Griff und so fällt weniger Materie nach innen, erläutert Andrea Ghez von der University of California in Los Angeles.
So oder so sollten Astronomen mehr darüber erfahren, was wirklich mit Materie passiert, wenn sie in ein riesiges Schwarzes Loch fällt. Und in den nächsten Monaten könnte es schon eine Art Vorpremiere geben. Auf der Konferenz in Dallas wurden Aufnahmen von NuSTAR präsentiert, denen zufolge die Nachbarschaft von Sagittarius A* eine Reihe von kleinen, stellaren Schwarzen Löchern und Neutronensternen umfasst.
"Uns wird ein seltenes Vergnügen zuteil", sagt Zoltán Haiman von der Columbia University in New York City. Der Astrophysiker führte zusammen mit anderen Simulationen durch, die darauf hindeuten, dass G2 auf seiner verhängnisvollen Reise vielleicht mit einem der kleinen Schwarzen Löcher zusammenstoßen wird [6].
Mit neuen Beobachtungstechniken lassen sich Sagittarius A* wohl noch mehr Geheimnisse entlocken. In den kommenden Jahren wollen Astronomen beispielsweise alle 64 Radioantennen des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array im Norden Chiles mit anderen Radioteleskopen auf der Welt zusammenschalten und so ein erdumspannendes Netzwerk schaffen. Mit dem Teleskopverbund gelingt vielleicht eine ultrahoch aufgelöste Momentaufnahme von einem dünnen Ring, oder Schatten, um Sagittarius A* – das Schwarze Loch beugt das Licht von Objekten auf der gegenüberliegenden Seite in diese Form. Das Schattengebilde sollte mit den Vorhersagen von Einsteins Theorie übereinstimmen. Ist das jedoch nicht der Fall – beschreibt die Allgemeine Relativitätstheorie die Raumzeit um ein Schwarzes Loch also nicht korrekt – könnten die Radioteleskope entscheidende Hinweise darauf liefern, welche alternative Theorie sie ersetzen sollte.
"Das ist die große Frage", sagt Jonathan McKinney von der University of Maryland in College Park. Auch fünfzig Jahre nach dem ersten Texas-Symposium, "wollen alle wissen, ob Einstein recht hatte."
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben