Medizin: Schwarze Pille, weiße Pille
Die Einteilung der Menschen in Rassen gilt nach Ansicht der meisten Genomforscher als unbrauchbar. Dennoch stellt "Rasse" in der medizinischen Forschung - vor allem in den USA - längst kein Tabu mehr dar. Viele Wissenschaftler verfolgen diese Entwicklung mit Sorge.
Menschen reagieren auf verschiedene Medikamente recht unterschiedlich: Was bei dem einen hilft, löst bei dem anderen Nebenwirkungen aus. Zumindest zum Teil sind diese Unterschiede sicherlich genetisch bedingt. Etliche Mediziner träumen daher von einem Gentest, mit dem alle medizinisch relevanten Erbfaktoren bestimmt werden könnten, um Behandlungsstrategien individuell auf die genetische Struktur eines jeden Patienten abzustimmen.
Doch bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg. Und so hat sich in der Zwischenzeit eine recht bequeme, aber auch gefährliche Übergangslösung etabliert: Bei der racial medicine – so der Fachbegriff – muss die Hautfarbe als stellvertretendes Merkmal für mögliche genetische Unterschiede herhalten.
Medikament für Schwarze
So bescheinigen unzählige wissenschaftliche Studien, zum Teil von zweifelhafter Qualität, Wirkstoffen rassenspezifische Unterschiede möglicher Nebenwirkungen. Beipackzettel zu Schmerzmitteln, Medikamenten gegen Herz- oder Nierenleiden, neuronale Störungen oder Stoffwechselerkrankungen weisen auf eventuelle rassenspezifische Unterschiede in der Wirkung hin. Im Jahre 2005 wurde in den USA das erste Medikament für die Behandlung einer bestimmten "Rasse" zugelassen: BiDil, ein Mittel gegen Herzerkrankungen für Schwarze.
"Bei der Ausübung meiner ärztlichen Tätigkeit bin ich nicht farbenblind. Ich berücksichtige immer die Rasse meiner Patienten," schreibt Sally Satel, Psychiaterin am American Enterprize Institute for Public Policy Research, in der New York Times. "Wenn ich einem Afroamerikaner Prozak verschreibe, fange ich bei einer niedrigeren Dosierung an, [...] unter anderem weil klinische Experimente und pharmakologische Studien gezeigt haben, dass Schwarze Antidepressiva langsamer abbauen als Weiße oder Asiaten."
Suppe schneiden
Medizinisch relevante Merkmale, die statistisch gesehen in der einen oder anderen ethnischen Gruppe häufiger vertreten sind, gibt es durchaus. Viele Wissenschaftler aber warnen vor einer Überbewertung solcher Korrelationen; die medizinische Relevanz von Rassenzugehörigkeit wird ihrer Meinung nach weit überschätzt. "Rasse" als klar definierte biologische Kategorie, so sind sich die meisten Forscher einig, gibt es nicht. Selbst wenn alle genetischen Unterschiede zwischen den Menschen bekannt wären, könnte man sie anhand dieser Information nicht in klar begrenzte Gruppen einteilen.
"Der Versuch, anhand der Genetik die Menschen in Rassen einzuteilen ist wie Suppe schneiden", kommentiert Charles Rotimi, Biochemiker am National Human Genome Center in der Zeitschrift Nature Genetics. Genetische Merkmale, die in bestimmten Gruppen gehäuft vorkommen, sind nie auf diese Gruppe beschränkt. Die Hautfarbe gibt bestenfalls einen groben Anhaltspunkt, mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand zum Beispiel eine bestimmte Medikamentenunverträglichkeit zeigt.
So erscheint die Verwendung des Rassenbegriffs in der Medizin als äußerst heikle Angelegenheit. Doch obwohl sich die Menschen nicht in "Rassen" einteilen lassen, kommt die medizinische Forschung gar nicht umhin, eine solche Klassifizierung vorzunehmen.
Dass der Rassenbegriff unkritisch verwendet wird, ist in der medizinischen Forschung keine Seltenheit. "Ich habe versucht zu analysieren, wie 'Asiat' in den Ergebnissen einiger wissenschaftlicher Studien zu einer Kategorie wird. Wenn man dann zurückverfolgt, was für Daten genau in die Studien eingegangen sind, findet man zum Beispiel, dass neunzig Prozent der Probanden einer kleinen chinesischen Population angehören", erläutert die Anthropologin Sandra Soo-Jin Lee von der Universität Stanford. "Wenn man von dieser kleinen Gruppe auf die Menschen eines ganzen Kontinents extrapoliert, kann das nur zu Verfälschungen führen."
Auf dem Weg zur personalisierten Medizin?
Auch bei Genomprojekten, die genetische Variationen zwischen den Menschen untersuchen, müssen Menschen in ethnische Gruppen eingeteilt werden, um möglichst repräsentative Untersuchungsergebnisse zu erhalten. Der unvorsichtige Gebrauch dieser Information birgt aber auch Gefahren. Einerseits liegt in solchen Genomprojekten die Hoffnung, dass sie zu einer echten "personalisierten" Medizin beitragen – einem Gentest für Medikamentenunverträglichkeit – und damit "Rasse" als stellvertretendes Merkmal in der Behandlung überflüssig wird. Andererseits aber bilden diese Projekte die Grundlage für die gezielte Suche nach Rassenunterschieden.
"Wenn man nach Unterschieden sucht, wird man sie finden", meint Lee. Eine Gefahr sieht sie darin, dass genetische Unterschiede zwischen Rassen überbetont werden.
Ob und wann es eine personalisierte Medizin geben wird, welche die heutige Kategorisierung in Rassen ersetzt, bleibt fraglich. "Ich befürchte, dass die grobe Art und Weise, wie wir genetische Informationen betrachten und verwenden, es sehr schwierig macht, die viel versprechenden Möglichkeiten der Pharmakogenomik in die Tat umzusetzen", erklärt Rotimi. "Und in einigen Fällen werden sie diesen Prozess auch ganz verhindern."
Doch bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg. Und so hat sich in der Zwischenzeit eine recht bequeme, aber auch gefährliche Übergangslösung etabliert: Bei der racial medicine – so der Fachbegriff – muss die Hautfarbe als stellvertretendes Merkmal für mögliche genetische Unterschiede herhalten.
Medikament für Schwarze
So bescheinigen unzählige wissenschaftliche Studien, zum Teil von zweifelhafter Qualität, Wirkstoffen rassenspezifische Unterschiede möglicher Nebenwirkungen. Beipackzettel zu Schmerzmitteln, Medikamenten gegen Herz- oder Nierenleiden, neuronale Störungen oder Stoffwechselerkrankungen weisen auf eventuelle rassenspezifische Unterschiede in der Wirkung hin. Im Jahre 2005 wurde in den USA das erste Medikament für die Behandlung einer bestimmten "Rasse" zugelassen: BiDil, ein Mittel gegen Herzerkrankungen für Schwarze.
"Bei der Ausübung meiner ärztlichen Tätigkeit bin ich nicht farbenblind. Ich berücksichtige immer die Rasse meiner Patienten," schreibt Sally Satel, Psychiaterin am American Enterprize Institute for Public Policy Research, in der New York Times. "Wenn ich einem Afroamerikaner Prozak verschreibe, fange ich bei einer niedrigeren Dosierung an, [...] unter anderem weil klinische Experimente und pharmakologische Studien gezeigt haben, dass Schwarze Antidepressiva langsamer abbauen als Weiße oder Asiaten."
Suppe schneiden
Medizinisch relevante Merkmale, die statistisch gesehen in der einen oder anderen ethnischen Gruppe häufiger vertreten sind, gibt es durchaus. Viele Wissenschaftler aber warnen vor einer Überbewertung solcher Korrelationen; die medizinische Relevanz von Rassenzugehörigkeit wird ihrer Meinung nach weit überschätzt. "Rasse" als klar definierte biologische Kategorie, so sind sich die meisten Forscher einig, gibt es nicht. Selbst wenn alle genetischen Unterschiede zwischen den Menschen bekannt wären, könnte man sie anhand dieser Information nicht in klar begrenzte Gruppen einteilen.
"Der Versuch, anhand der Genetik die Menschen in Rassen einzuteilen ist wie Suppe schneiden", kommentiert Charles Rotimi, Biochemiker am National Human Genome Center in der Zeitschrift Nature Genetics. Genetische Merkmale, die in bestimmten Gruppen gehäuft vorkommen, sind nie auf diese Gruppe beschränkt. Die Hautfarbe gibt bestenfalls einen groben Anhaltspunkt, mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand zum Beispiel eine bestimmte Medikamentenunverträglichkeit zeigt.
So erscheint die Verwendung des Rassenbegriffs in der Medizin als äußerst heikle Angelegenheit. Doch obwohl sich die Menschen nicht in "Rassen" einteilen lassen, kommt die medizinische Forschung gar nicht umhin, eine solche Klassifizierung vorzunehmen.
"Der Versuch, anhand der Genetik die Menschen in Rassen einzuteilen ist wie Suppe schneiden"
(Charles Rotimi)
In klinischen Studien zum Beispiel müssen Wissenschaftler darauf achten, dass sie ein Medikament nicht nur an einer Bevölkerungsgruppe testen – Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen, die in dieser Gruppe unterrepräsentiert sind, könnten sie dann möglicherweise nicht erkennen. Andererseits aber birgt der fahrlässige Gebrauch des Rassenbegriffs die Gefahr, dass ein Zerrbild der Realität entsteht und alte Vorurteile verstärkt wieder hervortreten. Schließlich sind in der Vergangenheit schon häufig genug aus zweifelhaften Daten falsche Schlüsse über Rassenunterschiede gezogen worden. (Charles Rotimi)
Dass der Rassenbegriff unkritisch verwendet wird, ist in der medizinischen Forschung keine Seltenheit. "Ich habe versucht zu analysieren, wie 'Asiat' in den Ergebnissen einiger wissenschaftlicher Studien zu einer Kategorie wird. Wenn man dann zurückverfolgt, was für Daten genau in die Studien eingegangen sind, findet man zum Beispiel, dass neunzig Prozent der Probanden einer kleinen chinesischen Population angehören", erläutert die Anthropologin Sandra Soo-Jin Lee von der Universität Stanford. "Wenn man von dieser kleinen Gruppe auf die Menschen eines ganzen Kontinents extrapoliert, kann das nur zu Verfälschungen führen."
Auf dem Weg zur personalisierten Medizin?
Auch bei Genomprojekten, die genetische Variationen zwischen den Menschen untersuchen, müssen Menschen in ethnische Gruppen eingeteilt werden, um möglichst repräsentative Untersuchungsergebnisse zu erhalten. Der unvorsichtige Gebrauch dieser Information birgt aber auch Gefahren. Einerseits liegt in solchen Genomprojekten die Hoffnung, dass sie zu einer echten "personalisierten" Medizin beitragen – einem Gentest für Medikamentenunverträglichkeit – und damit "Rasse" als stellvertretendes Merkmal in der Behandlung überflüssig wird. Andererseits aber bilden diese Projekte die Grundlage für die gezielte Suche nach Rassenunterschieden.
"Wenn man nach Unterschieden sucht, wird man sie finden", meint Lee. Eine Gefahr sieht sie darin, dass genetische Unterschiede zwischen Rassen überbetont werden.
"Wenn man nach Unterschieden sucht, wird man sie finden"
(Sandra Soo-Jin Lee)
Nicht-genetische Faktoren wie unterschiedliche Essgewohnheiten, soziale Struktur oder Lebensstandard, die ja durchaus medizinische Relevanz haben, finden dann immer weniger Beachtung. Wenn die unterschiedliche medizinische Behandlung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen einen wissenschaftlichen Segen bekommt, wie lange dauert es dann, bis Unterschiede in der Qualität der medizinischen Versorgung als gerechtfertigt gelten? (Sandra Soo-Jin Lee)
Ob und wann es eine personalisierte Medizin geben wird, welche die heutige Kategorisierung in Rassen ersetzt, bleibt fraglich. "Ich befürchte, dass die grobe Art und Weise, wie wir genetische Informationen betrachten und verwenden, es sehr schwierig macht, die viel versprechenden Möglichkeiten der Pharmakogenomik in die Tat umzusetzen", erklärt Rotimi. "Und in einigen Fällen werden sie diesen Prozess auch ganz verhindern."
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