Kernenergie: Schwer fassbares Risiko
Die anhaltenden Probleme in Japans havariertem Kernkraftwerk Fukushima haben eine schwelende Debatte wieder angeheizt: Steigert das Leben in Nachbarschaft einer solchen Anlage auch ohne Störfall das Krebsrisiko?
Letztes Jahr, lange vor der Katastrophe in Japan, hatte die US-amerikanische Nuclear Regulatory Commission (NRC) die National Academy of Sciences (NAS) beauftragt, einen möglichen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und der Entfernung des Wohnorts zu einem Kernkraftwerk genauer zu untersuchen. Auslöser war unter anderem das anhaltende Misstrauen in der Bevölkerung. Derzeit diskutiert die NAS mit Experten, wie diese Studie gestaltet werden. Einige Forscher äußerten jedoch bereits Zweifel, dass eine solche Studie überhaupt machbar ist und sinnvolle Ergebnisse produziert.
Laut NRC stammt nur ein Prozent der allgemeinen jährlichen Strahlenbelastung eines Menschen von nahe gelegenen Kernkraftwerken. Weitaus höher schlagen natürliche Quellen in Luft und Boden zu Buche – nicht zu vergessen verschiedene medizinische Untersuchungsverfahren, bei denen radioaktive Substanzen eingesetzt werden. Trotzdem werden im Zusammenhang mit Kernkraftwerken "in der Bevölkerung immer wieder Befürchtungen über ein erhöhtes Krebsrisiko laut", erklärt Terry Brock, der Projektleiter der geplanten Studie. "Um darauf reagieren zu können, brauchen wir aktuelle und wissenschaftlich fundierte Informationen."
Bessere Datenlage, bessere Ergebnisse?
Die letzte US-weite Studie liegt bereits 20 Jahre zurück: Sie wurde vom National Cancer Institute 1990 veröffentlicht und stellte keinen Zusammenhang fest. Technologische Fortschritte und umfangreichere Datengrundlagen seit damals sollen im Vergleich detailliertere Ergebnisse ermöglichen. 1990 war zum Beispiel nur die Zahl der Krebstoten in die Auswertung eingeflossen. Umfassendere medizinische Aufzeichnungen ermöglichen jetzt aber, bereits auf Ebene der Krebsdiagnose nach auffälligen Mustern zu suchen. Die vorangegangene Studie hatte außerdem die Menschen nach Landkreisen zusammengefasst, unabhängig von der tatsächlichen Distanz zur entsprechenden Anlage. GPS-Daten, die den Wohnort im Vergleich zum Standort des Kernkraftwerks erfassen, sollten nun aussagekräftigere Daten liefern. Ein weiterer Schritt wäre es, Abschätzungen der Strahlendosis mit einzuschließen und auf Korrelationen mit der Häufigkeit von Krebserkrankungen zu prüfen.
Edward Maher, Präsident der in den USA angesiedelten Health Physics Society, bleibt jedoch skeptisch: Selbst wenn all diese Punkte berücksichtigt würden, so sei doch die statistische Aussagekraft zu gering. "Wir sind der Ansicht, dass diese Studien nur geringen Wert haben", erklärt Maher.
Vorbild aus Deutschland?
Andere Experten meinen, die NAS sollte eine deutsche Untersuchung aus dem Jahr 2008 als Grundlage nehmen und ausbauen. Im Rahmen der KiKK-Studie (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs und Fehlbildungen in der Umgebung von Kernkraftwerken) hatten die Forscher um Peter Kaatsch und Claudia Spix vom Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz damals einen distanzabhängigen Effekt festgestellt: Die Zahl der Krebserkrankungen lag bei Kindern unter fünf Jahren, die in einem Umkreis von fünf Kilometern um ein Kernkraftwerk lebten, anderthalb mal so hoch wie in den Kontrollgruppen [1]. Allerdings hatten die Wissenschaftler keine Erklärung für den Befund, denn die Strahlendosis durch die Anlage sei dafür zu gering. Ähnliche Studien in Frankreich und Großbritannien zeigten keine erhöhten Krebsraten, doch wurde hier die Dateninterpretation von manchen Forschern angezweifelt.
Wenn es einen Effekt gebe, so Steve Wing, Epidemiologe an der University of North Carolina in Chapel Hill, dann sähe man ihn aber am ehesten bei Kindern und Föten. Deren hohe Zellteilungsrate mache sie anfälliger für Strahlung als Erwachsene, und sie waren in ihrem Leben auch noch nicht so vielen anderen Krebsauslösern ausgesetzt. Wing und seine Kollegen veröffentlichten am 1. April einen Artikel in den Environmental Health Perspectives [2], wie die NAS-Studie am besten durchzuführen sei. Zu ihren Empfehlungen zählt unter anderem, Schätzwerte für die jeweilige Strahlendosis der untersuchten Anwohner aufzunehmen.
In seinem bevorstehenden Treffen im April will das NAS-Komitee die Emissionsüberwachung an Kernkraftwerken und die Vorschläge zum Studiendesign diskutieren. Nach einer Reihe weiterer Zusammenkünfte sollen die Empfehlungen dann bis zum Ende des Jahres 2011 zusammengefasst und online zur Diskussion gestellt werden. Falls sich das Komitee für eine Studie entscheidet, wird im nächsten Jahr ein neues Komitee ernannt, das sich dann der Umsetzung widmen wird.
Kein Effekt, kein Problem?
Manche Experten sind davon überzeugt, dass die Studie keinen Zusammenhang finden wird. Die DNA-Reparaturmechanismen und das gezielte Absterben geschädigter Zellen reichten aus, um DNA-Schäden unterhalb eines Schwellenwerts abzufangen, erklärt beispielsweise Antone Brooks, Strahlentoxikologe an der Washington State University Tri-cities in Richland:
Andere hingegen sehen auch in niedrigen Belastungen eine ständige Gefahr, denn die DNA-Reparatur funktioniere nicht immer hundertprozentig, meint Bill Morgan, Direktor für Strahlenbiologie und -physik am Pacific Northwest National Laboratory in Richland: "Das ist eine große Streitfrage."
Findet die Studie keinen Effekt, werden manche sagen, dass es dann auch keine Probleme gibt, erklärt David Brenner, Direktor am Zentrum für Strahlenforschung der Columbia University in New York. "Doch die Tatsache, dass in einer epidemiologischen Studie kein Effekt gemessen wurde, bedeutet nicht, dass keine Gefahr besteht."
Laut NRC stammt nur ein Prozent der allgemeinen jährlichen Strahlenbelastung eines Menschen von nahe gelegenen Kernkraftwerken. Weitaus höher schlagen natürliche Quellen in Luft und Boden zu Buche – nicht zu vergessen verschiedene medizinische Untersuchungsverfahren, bei denen radioaktive Substanzen eingesetzt werden. Trotzdem werden im Zusammenhang mit Kernkraftwerken "in der Bevölkerung immer wieder Befürchtungen über ein erhöhtes Krebsrisiko laut", erklärt Terry Brock, der Projektleiter der geplanten Studie. "Um darauf reagieren zu können, brauchen wir aktuelle und wissenschaftlich fundierte Informationen."
Bessere Datenlage, bessere Ergebnisse?
Die letzte US-weite Studie liegt bereits 20 Jahre zurück: Sie wurde vom National Cancer Institute 1990 veröffentlicht und stellte keinen Zusammenhang fest. Technologische Fortschritte und umfangreichere Datengrundlagen seit damals sollen im Vergleich detailliertere Ergebnisse ermöglichen. 1990 war zum Beispiel nur die Zahl der Krebstoten in die Auswertung eingeflossen. Umfassendere medizinische Aufzeichnungen ermöglichen jetzt aber, bereits auf Ebene der Krebsdiagnose nach auffälligen Mustern zu suchen. Die vorangegangene Studie hatte außerdem die Menschen nach Landkreisen zusammengefasst, unabhängig von der tatsächlichen Distanz zur entsprechenden Anlage. GPS-Daten, die den Wohnort im Vergleich zum Standort des Kernkraftwerks erfassen, sollten nun aussagekräftigere Daten liefern. Ein weiterer Schritt wäre es, Abschätzungen der Strahlendosis mit einzuschließen und auf Korrelationen mit der Häufigkeit von Krebserkrankungen zu prüfen.
Edward Maher, Präsident der in den USA angesiedelten Health Physics Society, bleibt jedoch skeptisch: Selbst wenn all diese Punkte berücksichtigt würden, so sei doch die statistische Aussagekraft zu gering. "Wir sind der Ansicht, dass diese Studien nur geringen Wert haben", erklärt Maher.
"Wir sind der Ansicht, dass diese Studien nur geringen Wert haben"
(Edward Maher)
"Sie mögen die Öffentlichkeit beruhigen, aber sie würden keine Effekte von sehr geringen Strahlendosen aufzeigen." Das Geld wäre sinnvoller in weiteren Laborexperimenten angelegt, in denen Störfaktoren wie der Einfluss anderer Karzinogene gezielt kontrolliert werden können. (Edward Maher)
Vorbild aus Deutschland?
Andere Experten meinen, die NAS sollte eine deutsche Untersuchung aus dem Jahr 2008 als Grundlage nehmen und ausbauen. Im Rahmen der KiKK-Studie (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs und Fehlbildungen in der Umgebung von Kernkraftwerken) hatten die Forscher um Peter Kaatsch und Claudia Spix vom Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz damals einen distanzabhängigen Effekt festgestellt: Die Zahl der Krebserkrankungen lag bei Kindern unter fünf Jahren, die in einem Umkreis von fünf Kilometern um ein Kernkraftwerk lebten, anderthalb mal so hoch wie in den Kontrollgruppen [1]. Allerdings hatten die Wissenschaftler keine Erklärung für den Befund, denn die Strahlendosis durch die Anlage sei dafür zu gering. Ähnliche Studien in Frankreich und Großbritannien zeigten keine erhöhten Krebsraten, doch wurde hier die Dateninterpretation von manchen Forschern angezweifelt.
Wenn es einen Effekt gebe, so Steve Wing, Epidemiologe an der University of North Carolina in Chapel Hill, dann sähe man ihn aber am ehesten bei Kindern und Föten. Deren hohe Zellteilungsrate mache sie anfälliger für Strahlung als Erwachsene, und sie waren in ihrem Leben auch noch nicht so vielen anderen Krebsauslösern ausgesetzt. Wing und seine Kollegen veröffentlichten am 1. April einen Artikel in den Environmental Health Perspectives [2], wie die NAS-Studie am besten durchzuführen sei. Zu ihren Empfehlungen zählt unter anderem, Schätzwerte für die jeweilige Strahlendosis der untersuchten Anwohner aufzunehmen.
In seinem bevorstehenden Treffen im April will das NAS-Komitee die Emissionsüberwachung an Kernkraftwerken und die Vorschläge zum Studiendesign diskutieren. Nach einer Reihe weiterer Zusammenkünfte sollen die Empfehlungen dann bis zum Ende des Jahres 2011 zusammengefasst und online zur Diskussion gestellt werden. Falls sich das Komitee für eine Studie entscheidet, wird im nächsten Jahr ein neues Komitee ernannt, das sich dann der Umsetzung widmen wird.
Kein Effekt, kein Problem?
Manche Experten sind davon überzeugt, dass die Studie keinen Zusammenhang finden wird. Die DNA-Reparaturmechanismen und das gezielte Absterben geschädigter Zellen reichten aus, um DNA-Schäden unterhalb eines Schwellenwerts abzufangen, erklärt beispielsweise Antone Brooks, Strahlentoxikologe an der Washington State University Tri-cities in Richland:
"Unser Körper weiß, wie er mit geringen Dosen umzugehen hat"
(Antone Brooks)
"Seit es uns gibt, leben wir in einer strahlenden Umwelt. Unser Körper weiß, wie er mit geringen Dosen umzugehen hat." (Antone Brooks)
Andere hingegen sehen auch in niedrigen Belastungen eine ständige Gefahr, denn die DNA-Reparatur funktioniere nicht immer hundertprozentig, meint Bill Morgan, Direktor für Strahlenbiologie und -physik am Pacific Northwest National Laboratory in Richland: "Das ist eine große Streitfrage."
Findet die Studie keinen Effekt, werden manche sagen, dass es dann auch keine Probleme gibt, erklärt David Brenner, Direktor am Zentrum für Strahlenforschung der Columbia University in New York. "Doch die Tatsache, dass in einer epidemiologischen Studie kein Effekt gemessen wurde, bedeutet nicht, dass keine Gefahr besteht."
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