Spezialnahrung: Schwerelos ernähren
Das war nicht immer so, denn das Essen im Weltraum ist tückisch: Die Schwerelosigkeit lässt Teller wegfliegen, macht Krümel zu Geschossen und nagt an den Knochen der Raumfahrer. Wie ist es möglich, sich unter diesen Bedingungen normal zu ernähren?
Schon der erste Mensch im All, der Russe Juri Gagarin, hatte 1961 bei seiner fast zweistündigen Erdumrundung ein Menü aus Fleischpastete, Obstsaft und Teigtaschen mit rotem Kaviar im Gepäck. Das musste er sich jedoch noch unappetitlich aus Tuben pressen. Seine Nachfolger traf es härter: Sie fanden in ihren Vorratsboxen dickflüssige Pasten, mundgerecht gepresste Protein-Fett-Zucker-Frucht-Nuss-Würfel und gefriergetrocknete Pulver, die mit Wasser zu einer bröckeligen Masse wurden.
Nachdem sich die ersten Astronauten über ihr Essen beschwert hatten, begannen die Entwicklungen hin zur jetzigen Astronautenkost. Die Anforderungen waren hoch: Nicht nur schmecken sollten die Speisen, sie mussten auch leicht sein, haltbar, kompakt, nährstoffreich und gut verdaulich. Als ersten Schritt schafften die Weltraumorganisationen die Tuben ab, ersetzten sie zunächst durch viereckige Plastikgefäße und später durch Plastikbeutel, die es bis heute gibt. Sie haben den Vorteil, dass die NASA-Köche in ihnen fertige Gerichte in ihrer natürlichen Form verpacken können, ohne sie pürieren zu müssen. Ein großer Unterschied zum irdischen Fertiggericht bleibt jedoch – die Beutelinhalte sind gefriergetrocknet.
Gefriergetrocknete Speisen benötigen zwar Wasser, um genießbar zu werden – das ist jedoch als Abfallprodukt an Bord vorhanden. Die meisten Raumschiffe und Raumstationen gewinnen ihre Elektrizität über Brennstoffzellen, in denen Sauerstoff und Wasserstoff miteinander zu reinem Wasser reagieren. Dieses "Abfallwasser" können die Astronauten anschließend nutzen, um sich zu waschen und zu "kochen". Damit die Flüssigkeit in der Schwerelosigkeit ihren Weg zum Essen findet, hat jeder Plastikbeutel einen Adapter, der direkt an die Wasserversorgung angeschlossen wird. Durch das Wasser quellen die dehydrierten Gerichte wieder auf und können erwärmt werden.
Allerdings lassen sich nicht alle Speisen gefriertrocknen und manche Raumstationen, wie die ISS, gewinnen ihre Energie nicht über Brennstoffzellen – hier fehlt die bordeigene Wasserquelle. Für solche Fälle gibt es "thermostabilisierte" Astronautenkost. Dabei wird beispielsweise Thunfisch oder Lachs so stark erhitzt, dass alle Mikroorganismen absterben und anschließend in Dosen verpackt. Manche Lebensmittel erreichen das Weltall auch völlig unbehandelt, wie zum Beispiel Nüsse und Müsliriegel. Doch egal wie das Menü eines Astronauten konserviert ist, es ist schon fertig gekocht und kommt dadurch schnell aufs Tablett.
Fliegende Teller und krümelige Geschosse
Feines Porzellan, Gläser und Dessertschälchen reisen nicht mit ins All, gegessen wird direkt aus den Dosen oder aufgeschnittenen Beuteln: Neben Messer, Gabel und Löffel gehört eine Schere zum Besteck. Damit die Behälter beim Essen in der Schwerelosigkeit nicht wegfliegen, müssen die Astronauten sie mit Klettverschlüssen auf ihrem Tablett anheften. Das Tablett wiederum gurten sie sich auf den Schoß oder befestigen es an der Wand. Doch nicht nur das Tablett kann fliegen, auch das Essen sollte auf dem Besteck bleiben. Daher dürfen die Speisen nicht zu flüssig sein oder bröseln. Jeder Krümel ist ein potentielles Geschoss und eine Gefahr für die Einrichtung sowie die Augen, Ohren und Nasen der Astronauten. Sogar Salz und Pfeffer existieren nur in flüssiger Form: Salz aufgelöst in Wasser und Pfeffer verteilt in Öl.
Die rastlosen Lebensmittel sind allerdings nicht die einzige Tücke der Schwerelosigkeit. Durch die fehlende Belastung beginnen sich die Muskeln und Knochen der Raumfahrer zurückzubilden. So sinkt die Knochendichte im All um bis zu 1,6 Prozent. Um dem Abbau entgegenzuwirken, enthält die Astronautennahrung extra viel Calcium, das den Knochenaufbau und die Muskeln unterstützt. Ebenfalls wichtig ist ein hoher Vitamin-D-Gehalt, da der menschliche Körper Vitamin D nur unter UV-Strahlung bilden kann. Durch das fehlende Sonnenlicht im All würde den Astronauten das Vitamin ausgehen, das den Einbau des Calciums in die Knochen fördert.
Mit einem hohen Calcium- und Vitamin D-Anteil ist es noch nicht getan: Ernährungsexperten müssen jedes Astronautenmenü auf seine Nährstoffe überprüfen. Zwar wählen Astronauten ihr Gerichte aus einer langen Speisekarte – von bayrischem Schweinebraten bis hin zu russischem Borschtsch –, auf der ISS wiederholen sich die Speisen jedoch alle sieben Tage. Dadurch fehlt den Raumfahrern die natürliche Nährstoffvielfalt und es können Mangelerscheinungen auftreten.
Tabascobedarf und Bohnenverbot
Eine weitere Gefahr für den Astronautenkörper ist Appetitlosigkeit: Ein leckeres Menü, das auf der Erde das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, lässt die Raumfahrer im Weltraum kalt. Denn durch die Schwerelosigkeit sammelt sich Gewebsflüssigkeit in Oberkörper und Kopf der Astronauten und betäubt die Geruchs- und Geschmacksnerven – ähnlich wie bei einem Schnupfen. Da hilft allein, die Speisen kräftig nachzuwürzen, ob mit Tabasco, Sojasoße oder Pfeffer und Salz.
Bohnenfans müssen neben dem Geschmack auch auf ihr Lieblingsgericht verzichten – Astronautennahrung muss gut verdaulich sein, Blähgase könnten im Weltraum gefährlich werden. Dennoch haben die Bohnenliebhaber noch Glück im Unglück: Russische Wissenschaftler forschten eine Zeit lang tatsächlich an einer Pille, die alle nötigen Nährstoffe und Vitamine enthält und das Essen völlig ersetzen sollte. Diese wurde jedoch nie angewendet, stattdessen wird die Palette an Astronautennahrung immer breiter. Ein italienisches Unternehmen hat es nun auch geschafft, seine nationalen Spezialitäten fit für den Weltraum zu machen – Parmaschinken und sizilianische Tomaten in der Schwerelosigkeit. Buon appetito!
Irene Berres
Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
Das große Fressen
Schon der erste Mensch im All, der Russe Juri Gagarin, hatte 1961 bei seiner fast zweistündigen Erdumrundung ein Menü aus Fleischpastete, Obstsaft und Teigtaschen mit rotem Kaviar im Gepäck. Das musste er sich jedoch noch unappetitlich aus Tuben pressen. Seine Nachfolger traf es härter: Sie fanden in ihren Vorratsboxen dickflüssige Pasten, mundgerecht gepresste Protein-Fett-Zucker-Frucht-Nuss-Würfel und gefriergetrocknete Pulver, die mit Wasser zu einer bröckeligen Masse wurden.
Nachdem sich die ersten Astronauten über ihr Essen beschwert hatten, begannen die Entwicklungen hin zur jetzigen Astronautenkost. Die Anforderungen waren hoch: Nicht nur schmecken sollten die Speisen, sie mussten auch leicht sein, haltbar, kompakt, nährstoffreich und gut verdaulich. Als ersten Schritt schafften die Weltraumorganisationen die Tuben ab, ersetzten sie zunächst durch viereckige Plastikgefäße und später durch Plastikbeutel, die es bis heute gibt. Sie haben den Vorteil, dass die NASA-Köche in ihnen fertige Gerichte in ihrer natürlichen Form verpacken können, ohne sie pürieren zu müssen. Ein großer Unterschied zum irdischen Fertiggericht bleibt jedoch – die Beutelinhalte sind gefriergetrocknet.
Bei der Gefriertrocknung entzieht eine Maschine Lebensmitteln wie Früchten und Käse, Rindergulasch oder Bananenpudding das Wasser. Der Vorteil dabei ist, dass sie Aussehen, Geschmack und Geruch sowie den Nährwert und ihre Vitamine behalten. Auch bei uns auf der Erde peppen gefriergetrocknete bunte Fruchtstücke viele Fertigmüslis auf. Ebenso können Flüssigkeiten dehydriert werden: Milchpulver ist nichts anderes als gefriergetrocknete Milch. Die behandelten Speisen sind kompakt und leicht – ein großer Vorteil, denn jedes in den Weltraum transportierte Kilogramm kostet rund 20 000 Dollar. Aus diesem Grund darf die tägliche Essensration jedes Astronauten höchstens 1,9 Kilogramm wiegen, 500 Gramm davon nimmt alleine die Verpackung in Anspruch.
Gefriergetrocknete Speisen benötigen zwar Wasser, um genießbar zu werden – das ist jedoch als Abfallprodukt an Bord vorhanden. Die meisten Raumschiffe und Raumstationen gewinnen ihre Elektrizität über Brennstoffzellen, in denen Sauerstoff und Wasserstoff miteinander zu reinem Wasser reagieren. Dieses "Abfallwasser" können die Astronauten anschließend nutzen, um sich zu waschen und zu "kochen". Damit die Flüssigkeit in der Schwerelosigkeit ihren Weg zum Essen findet, hat jeder Plastikbeutel einen Adapter, der direkt an die Wasserversorgung angeschlossen wird. Durch das Wasser quellen die dehydrierten Gerichte wieder auf und können erwärmt werden.
Allerdings lassen sich nicht alle Speisen gefriertrocknen und manche Raumstationen, wie die ISS, gewinnen ihre Energie nicht über Brennstoffzellen – hier fehlt die bordeigene Wasserquelle. Für solche Fälle gibt es "thermostabilisierte" Astronautenkost. Dabei wird beispielsweise Thunfisch oder Lachs so stark erhitzt, dass alle Mikroorganismen absterben und anschließend in Dosen verpackt. Manche Lebensmittel erreichen das Weltall auch völlig unbehandelt, wie zum Beispiel Nüsse und Müsliriegel. Doch egal wie das Menü eines Astronauten konserviert ist, es ist schon fertig gekocht und kommt dadurch schnell aufs Tablett.
Fliegende Teller und krümelige Geschosse
Feines Porzellan, Gläser und Dessertschälchen reisen nicht mit ins All, gegessen wird direkt aus den Dosen oder aufgeschnittenen Beuteln: Neben Messer, Gabel und Löffel gehört eine Schere zum Besteck. Damit die Behälter beim Essen in der Schwerelosigkeit nicht wegfliegen, müssen die Astronauten sie mit Klettverschlüssen auf ihrem Tablett anheften. Das Tablett wiederum gurten sie sich auf den Schoß oder befestigen es an der Wand. Doch nicht nur das Tablett kann fliegen, auch das Essen sollte auf dem Besteck bleiben. Daher dürfen die Speisen nicht zu flüssig sein oder bröseln. Jeder Krümel ist ein potentielles Geschoss und eine Gefahr für die Einrichtung sowie die Augen, Ohren und Nasen der Astronauten. Sogar Salz und Pfeffer existieren nur in flüssiger Form: Salz aufgelöst in Wasser und Pfeffer verteilt in Öl.
Die rastlosen Lebensmittel sind allerdings nicht die einzige Tücke der Schwerelosigkeit. Durch die fehlende Belastung beginnen sich die Muskeln und Knochen der Raumfahrer zurückzubilden. So sinkt die Knochendichte im All um bis zu 1,6 Prozent. Um dem Abbau entgegenzuwirken, enthält die Astronautennahrung extra viel Calcium, das den Knochenaufbau und die Muskeln unterstützt. Ebenfalls wichtig ist ein hoher Vitamin-D-Gehalt, da der menschliche Körper Vitamin D nur unter UV-Strahlung bilden kann. Durch das fehlende Sonnenlicht im All würde den Astronauten das Vitamin ausgehen, das den Einbau des Calciums in die Knochen fördert.
Mit einem hohen Calcium- und Vitamin D-Anteil ist es noch nicht getan: Ernährungsexperten müssen jedes Astronautenmenü auf seine Nährstoffe überprüfen. Zwar wählen Astronauten ihr Gerichte aus einer langen Speisekarte – von bayrischem Schweinebraten bis hin zu russischem Borschtsch –, auf der ISS wiederholen sich die Speisen jedoch alle sieben Tage. Dadurch fehlt den Raumfahrern die natürliche Nährstoffvielfalt und es können Mangelerscheinungen auftreten.
Tabascobedarf und Bohnenverbot
Eine weitere Gefahr für den Astronautenkörper ist Appetitlosigkeit: Ein leckeres Menü, das auf der Erde das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, lässt die Raumfahrer im Weltraum kalt. Denn durch die Schwerelosigkeit sammelt sich Gewebsflüssigkeit in Oberkörper und Kopf der Astronauten und betäubt die Geruchs- und Geschmacksnerven – ähnlich wie bei einem Schnupfen. Da hilft allein, die Speisen kräftig nachzuwürzen, ob mit Tabasco, Sojasoße oder Pfeffer und Salz.
Bohnenfans müssen neben dem Geschmack auch auf ihr Lieblingsgericht verzichten – Astronautennahrung muss gut verdaulich sein, Blähgase könnten im Weltraum gefährlich werden. Dennoch haben die Bohnenliebhaber noch Glück im Unglück: Russische Wissenschaftler forschten eine Zeit lang tatsächlich an einer Pille, die alle nötigen Nährstoffe und Vitamine enthält und das Essen völlig ersetzen sollte. Diese wurde jedoch nie angewendet, stattdessen wird die Palette an Astronautennahrung immer breiter. Ein italienisches Unternehmen hat es nun auch geschafft, seine nationalen Spezialitäten fit für den Weltraum zu machen – Parmaschinken und sizilianische Tomaten in der Schwerelosigkeit. Buon appetito!
Irene Berres
Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
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