Zellchips: Schwierige Kontaktvermittlung
Eigentlich leben sie in getrennten Welten: Nervenzellen und Computer. Doch die einen wie die anderen funktionieren elektrisch. Grund genug für Freiburger Wissenschaftler, den Kontakt zwischen beiden herzustellen. Wie aber sorgt man dafür, dass sie sich auch längerfristig anziehend finden?
Beileibe keine Einzelkämpfer sind die rund 220 verschiedenen Zelltypen, aus denen unser Körper besteht – erst durch ihren Zusammenschluss zu Geweben und schließlich zu Organen machen sie menschliches Leben möglich. Gerade dieses "Sozialverhalten" ist bei der Erforschung und Therapie vieler Krankheitsbilder von großer Bedeutung. Beispiel Alzheimer'sche Demenz: Wie wird die Weiterleitung von Signalen von Nervenzelle zu Nervenzelle gestört? Welchen Einfluss hat ein neuer Wirkstoff? Bei solchen Fragen sind Forscher bislang noch auf die Untersuchung von Proben aus lebendem Gewebe angewiesen. Doch mit so genannten Zellchips könnten einmal solche klinischen Analysen vereinfacht und Tierversuche minimiert werden.
Auch an der Universität Freiburg, genauer gesagt am Institut für Mikrosystemtechnik, ist man an den Zellchips interessiert. Die Wissenschaftler um Jürgen Rühe vom Lehrstuhl für Chemie und Physik von Grenzflächen befassen sich dabei vor allem mit den Oberflächen der Chips, auf denen Zellen wachsen sollen – denn die "Chemie an der Grenzfläche" bestimmt, wo sich die Zellen auf dem Unterlagen bevorzugt ansiedeln. Auf hauchdünnen Scheibchen aus Silizium, Glas oder Kunststoff können mit fotolithografischen Verfahren aus der Mikrosystemtechnik hochpräzise miniaturisierte Strukturen geschaffen werden, genau in der richtigen Größenordung für einzelne Zellen. "Wir stellen die Chemie der Oberfläche dann so ein, dass bestimmte Stellen attraktiv für die Zelladhäsion sind, während die Zellanlagerung auf anderen Bereichen unterbleibt", erläutert sein Kollege Markus Biesalski.
Mit Proteinen tricksen
In der natürlichen Umgebung der Zellen sorgen Proteine für die überlebenswichtige Verbindung mit der Außenwelt. Spezialisierte, in die Zellmembran eingelagerte Eiweiße nehmen Kontakt mit Proteinen des Bindegewebes oder benachbarten Zellen auf und führen zu einem organisierten Aufbau von Gewebe. Dies sorgt nicht nur für den nötigen strukturellen Zusammenhalt, sondern ermöglicht außerdem eine Signalübertragung in ihr Inneres. Viele lebensnotwendige Vorgänge, von Zellteilung bis Zellwachstum, werden so beeinflusst.
Mit zwei unterschiedlichen Strategien wollen die Freiburger Wissenschaftler den natürlichen Prozess nachbilden. "Die chemische Anbindung von Signalmolekülen, wie etwa Fibronektin, auf dem künstlichen Trägermaterial des Chips ist ein möglicher Weg, die Attraktivität der Oberfläche für Zellen zu erhöhen", erklärt Biesalski. Biomimetik heißt diese Strategie, die versucht, Phänomene aus der Natur mit synthetischen Materialien zu imitieren, in diesem Fall also den Zellen vorzugaukeln, sie seien in ihrer natürlichen Umgebung. Taucht man einen mit den entsprechenden Proteinen ausgerüsteten Chip in eine Zelllösung, suchen die Zellen sich eigenständig Ankerpunkte auf der Oberfläche.
Allerdings ist Fibronektin im Labor schwer zu handhaben. Die Forscher nutzen deshalb in einem nächsten Schritt ihre Kenntnis über den Aufbau dieses Proteins. "Wir wissen aus der strukturellen Biologie, dass es in Fibronektin aktive Bindungssequenzen gibt. Das heißt, nicht das ganze Protein bindet an den Rezeptor auf der Oberfläche der Zelle, sondern nur ein sehr kleiner Teil – so genannte Peptidliganden", erzählt der Chemiker. Anstelle des komplexen Gesamtproteins heften die Forscher daher nur den kurzen, aktiven Abschnitt, beispielsweise das nur wenige Aminosäuren lange Tripeptid "RGD", auf dem Chip chemisch an. "Mit diesem viel versprechenden Ansatz versuchen wir, zum einen grundlegend zu verstehen, wie Zellen auf diese Oberflächenchemie reagieren und zum anderen, wie man in einfacher Weise das Verhalten von Zellen an Oberflächen beeinflussen kann", so Biesalski.
Auch bei der zweiten Strategie spielen Proteine die anziehenden Kontaktvermittler – in diesem Fall kommen sie allerdings von der Zelle selbst. "Aus Erfahrung wissen wir, dass manche Oberflächen grundsätzlich auf Zellen anziehend wirken", sagt Anke Wörz, Doktorandin am Institut für Mikrosystemtechnik. Zellen bilden dort dann eigene haftvermittelnde Moleküle aus und heften sich von allein an das Material an. Durch Kombination mit Oberflächen, die einen zellabweisenden Effekt haben, lässt sich dann – je nach gewünschtem Endergebnis – die Aufteilung der Zellen auf bestimmte Bereiche des Chips kontrollieren.
Drucksache Zelle
Eine noch genauere Verteilung der Zellen, die auch erlaubt, gleich mehrere Zelltypen auf einmal aufzubringen, erzielen die Forscher mit einer aus dem Alltag bekannten Technologie: Nadel- oder Tintenstrahldrucker drucken statt Tinte eine Nährlösung, angereichert mit einem oder mehreren Zelltypen, auf den Chip. "Die Dosierung heutiger Tintenstrahldrucker ist so genau, dass wir theoretisch sogar einzelne Zellen drucken könnten", erklärt Wörz. Allerdings bleibt auch bei noch so genauer Positionierung der einzelnen Zellen durch den Druckkopf die Oberflächenchemie der Chips wichtig. Denn Zellen können auf dem Scheibchen zu einer für sie attraktiven Stelle wandern oder sich sogar – ist die Umgebung gar zu ungemütlich – wieder von der Grenzfläche ablösen.
Alle Strategien haben dasselbe Ziel: eine Oberfläche möglichst submikrometergenau in anziehende und abstoßende Bereiche zu unterteilen. Ist so die Position einer bestimmten Zelle und ihrer Nachbarn vorherbestimmt, lässt sich gezielt Gewebe aufbauen. "Dies funktioniert bisher sehr gut mit Bindegewebszellen. Neuronen sind leider etwas schwerer zu beherrschen", erläutert Anke Wörz.
Netze und Gewebe züchten
Würde es gelingen, die Nervenzellen auf der Chipoberfläche zu Netzwerken zusammenzuschließen, könnte man sie mit einem unter der Oberfläche vergrabenen Transistor anregen und die Reaktion einige Zellen weiter – ebenfalls mit einem vergrabenen Transistor – messen.
In beiden Fällen verspricht die neuartige Technologie sowohl klinische Analysen als auch die gezielte Kultivierung von Zellen zu vereinfachen. "Bis zum praktischen Einsatz ist allerdings noch weitere Grundlagenforschung nötig", resümiert Dr. Biesalski. "Wann Zellchips im klinischen Alltag Anwendung finden können, ist aber nur eine Frage der Zeit."
Je nach Anwendungsgebiet sollen dazu unterschiedliche Zelltypen auf Chips, wie sie in ähnlicher Form auch in der Computertechnologie eine Rolle spielen, angebracht werden. Dort wachsen sie ein und stellen Kontakt her zu kleinsten elektronischen Bauteilen, mit deren Hilfe sie sich dann manipulieren und in ihrem Verhalten kontrollieren lassen.
Auch an der Universität Freiburg, genauer gesagt am Institut für Mikrosystemtechnik, ist man an den Zellchips interessiert. Die Wissenschaftler um Jürgen Rühe vom Lehrstuhl für Chemie und Physik von Grenzflächen befassen sich dabei vor allem mit den Oberflächen der Chips, auf denen Zellen wachsen sollen – denn die "Chemie an der Grenzfläche" bestimmt, wo sich die Zellen auf dem Unterlagen bevorzugt ansiedeln. Auf hauchdünnen Scheibchen aus Silizium, Glas oder Kunststoff können mit fotolithografischen Verfahren aus der Mikrosystemtechnik hochpräzise miniaturisierte Strukturen geschaffen werden, genau in der richtigen Größenordung für einzelne Zellen. "Wir stellen die Chemie der Oberfläche dann so ein, dass bestimmte Stellen attraktiv für die Zelladhäsion sind, während die Zellanlagerung auf anderen Bereichen unterbleibt", erläutert sein Kollege Markus Biesalski.
Mit Proteinen tricksen
In der natürlichen Umgebung der Zellen sorgen Proteine für die überlebenswichtige Verbindung mit der Außenwelt. Spezialisierte, in die Zellmembran eingelagerte Eiweiße nehmen Kontakt mit Proteinen des Bindegewebes oder benachbarten Zellen auf und führen zu einem organisierten Aufbau von Gewebe. Dies sorgt nicht nur für den nötigen strukturellen Zusammenhalt, sondern ermöglicht außerdem eine Signalübertragung in ihr Inneres. Viele lebensnotwendige Vorgänge, von Zellteilung bis Zellwachstum, werden so beeinflusst.
Mit zwei unterschiedlichen Strategien wollen die Freiburger Wissenschaftler den natürlichen Prozess nachbilden. "Die chemische Anbindung von Signalmolekülen, wie etwa Fibronektin, auf dem künstlichen Trägermaterial des Chips ist ein möglicher Weg, die Attraktivität der Oberfläche für Zellen zu erhöhen", erklärt Biesalski. Biomimetik heißt diese Strategie, die versucht, Phänomene aus der Natur mit synthetischen Materialien zu imitieren, in diesem Fall also den Zellen vorzugaukeln, sie seien in ihrer natürlichen Umgebung. Taucht man einen mit den entsprechenden Proteinen ausgerüsteten Chip in eine Zelllösung, suchen die Zellen sich eigenständig Ankerpunkte auf der Oberfläche.
Allerdings ist Fibronektin im Labor schwer zu handhaben. Die Forscher nutzen deshalb in einem nächsten Schritt ihre Kenntnis über den Aufbau dieses Proteins. "Wir wissen aus der strukturellen Biologie, dass es in Fibronektin aktive Bindungssequenzen gibt. Das heißt, nicht das ganze Protein bindet an den Rezeptor auf der Oberfläche der Zelle, sondern nur ein sehr kleiner Teil – so genannte Peptidliganden", erzählt der Chemiker. Anstelle des komplexen Gesamtproteins heften die Forscher daher nur den kurzen, aktiven Abschnitt, beispielsweise das nur wenige Aminosäuren lange Tripeptid "RGD", auf dem Chip chemisch an. "Mit diesem viel versprechenden Ansatz versuchen wir, zum einen grundlegend zu verstehen, wie Zellen auf diese Oberflächenchemie reagieren und zum anderen, wie man in einfacher Weise das Verhalten von Zellen an Oberflächen beeinflussen kann", so Biesalski.
Auch bei der zweiten Strategie spielen Proteine die anziehenden Kontaktvermittler – in diesem Fall kommen sie allerdings von der Zelle selbst. "Aus Erfahrung wissen wir, dass manche Oberflächen grundsätzlich auf Zellen anziehend wirken", sagt Anke Wörz, Doktorandin am Institut für Mikrosystemtechnik. Zellen bilden dort dann eigene haftvermittelnde Moleküle aus und heften sich von allein an das Material an. Durch Kombination mit Oberflächen, die einen zellabweisenden Effekt haben, lässt sich dann – je nach gewünschtem Endergebnis – die Aufteilung der Zellen auf bestimmte Bereiche des Chips kontrollieren.
Drucksache Zelle
Eine noch genauere Verteilung der Zellen, die auch erlaubt, gleich mehrere Zelltypen auf einmal aufzubringen, erzielen die Forscher mit einer aus dem Alltag bekannten Technologie: Nadel- oder Tintenstrahldrucker drucken statt Tinte eine Nährlösung, angereichert mit einem oder mehreren Zelltypen, auf den Chip. "Die Dosierung heutiger Tintenstrahldrucker ist so genau, dass wir theoretisch sogar einzelne Zellen drucken könnten", erklärt Wörz. Allerdings bleibt auch bei noch so genauer Positionierung der einzelnen Zellen durch den Druckkopf die Oberflächenchemie der Chips wichtig. Denn Zellen können auf dem Scheibchen zu einer für sie attraktiven Stelle wandern oder sich sogar – ist die Umgebung gar zu ungemütlich – wieder von der Grenzfläche ablösen.
Alle Strategien haben dasselbe Ziel: eine Oberfläche möglichst submikrometergenau in anziehende und abstoßende Bereiche zu unterteilen. Ist so die Position einer bestimmten Zelle und ihrer Nachbarn vorherbestimmt, lässt sich gezielt Gewebe aufbauen. "Dies funktioniert bisher sehr gut mit Bindegewebszellen. Neuronen sind leider etwas schwerer zu beherrschen", erläutert Anke Wörz.
Netze und Gewebe züchten
Würde es gelingen, die Nervenzellen auf der Chipoberfläche zu Netzwerken zusammenzuschließen, könnte man sie mit einem unter der Oberfläche vergrabenen Transistor anregen und die Reaktion einige Zellen weiter – ebenfalls mit einem vergrabenen Transistor – messen.
"Wann Zellchips im klinischen Alltag Anwendung finden können, ist nur eine Frage der Zeit"
(Markus Biesalski)
So ließen sich zukünftig Pharmazeutika mit Zellchips komfortabel "in vitro" testen, und das Leben manches Labortiers bliebe geschont. Auch im Bereich der Gewebezüchtung (engl.: Tissue Engineering) sehen die Freiburger Wissenschaftler mögliche Anwendungen für die Zukunft. (Markus Biesalski)
In beiden Fällen verspricht die neuartige Technologie sowohl klinische Analysen als auch die gezielte Kultivierung von Zellen zu vereinfachen. "Bis zum praktischen Einsatz ist allerdings noch weitere Grundlagenforschung nötig", resümiert Dr. Biesalski. "Wann Zellchips im klinischen Alltag Anwendung finden können, ist aber nur eine Frage der Zeit."
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