Wasserstraßen: Seit hundert Jahren teilt der Panamakanal die Erde
"Sie teilten die Erde", lautet der Titel eines 1982 erschienenen Sachbuches über die Baugeschichte des Panamakanals. Und er trifft die Sachlage über die Wirkung einer der bedeutendsten künstlichen Wasserstraßen haargenau. Denn der 82 Kilometer lange über die Landenge von Panama in Mittelamerika verlaufende Schifffahrtsweg zwischen den Städten Colón an der Atlantik- und Balboa, einem Vorort von Panamastadt, an der Pazifikküste, schneidet seit seiner Eröffnung vor einhundert Jahren den amerikanischen Doppelkontinent in zwei Hälften.
Und das ist gut so, denn eine Passage dieses Schifffahrtsweges spart erheblich Zeit und damit Geld. Durch seinen Bau wurde die Seestrecke New York – San Francisco von rund 25 000 auf 10 000 Kilometer verkürzt, was bei einer Schiffsgeschwindigkeit von 15 Knoten einer rund drei Wochen kürzeren Reisezeit entspricht.
Neben dem Suezkanal (193,30 Kilometer) und dem Nord-Ostsee-Kanal (98,26 Kilometer) zählt der Panamakanal zu den meist befahrenen Wasserstraßen der Welt. Rund 14 300 Schiffe (Mittel der Jahre 2011 bis 2013) durchqueren ihn jährlich; und die transportierte Warenmenge entspricht etwa fünf Prozent des Seefrachtverkehrs.
Schwierigkeiten unterschätzt
Bereits die Spanier machten sich 1523 Gedanken über den Bau einer Schifffahrtsverbindung zwischen den beiden Ozeanen. Aber erst die Eröffnung des Suezkanals 1869 in Ägypten und vor allem dessen finanzieller Erfolg ließ diese Vision Wirklichkeit werden. Jetzt ging man in Frankreich davon aus, dass ein den Atlantik und Pazifik miteinander verbindender Kanal ebenso einfach zu bauen wäre.
Doch die Franzosen hatten sich verrechnet, die Schwierigkeiten unterschätzt: "Es ging hier nicht wie beim Suezkanal einfach nur darum, ein Stück Wüste zu durchstechen und das noch auf gleichbleibendem Niveau über dem Meeresspiegel", erklärt Stefan Rinke vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. "Stattdessen mussten verschiedene felsige Höhenstufen überwunden werden, die mit tropischen Regenwald und Sümpfen bedeckt waren, und ungeheure Erdmassen bewegt werden. Das erforderte viel größere Maschinen und somit auch Geldmittel."
Hinzu kamen Tropenkrankheiten wie Gelbfieber und Malaria. Sie forderten unter den Arbeitern 22 000 Menschenleben. Nicht zuletzt deshalb musste der Bau 1889 abgebrochen werden, zumal auch der steigende Finanzbedarf nicht mehr zu befriedigen war. Es kam zu einem der größten Finanzskandale des 19. Jahrhunderts, der unter dem Namen Panamaskandal in die Geschichte eingegangen ist.
Erst den USA gelang wörtlich der Durchbruch. Sie hatten auf Betreiben vor allem Präsident Theodore Roosevelts 1902 die Verbindlichkeiten von den Franzosen übernommen. "Er wollte die USA wirtschaftspolitisch und vor allem strategisch in eine neue Position bringen", erklärt Rinke. "Die Vereinigten Staaten wollten in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit ihre Flotte von der Ost- auf die Westhemisphäre zu verlegen oder dort operierende Verbände mit Schiffen aus der anderen Hemisphäre zu verstärken. Und das ging nur über den Panamakanal."
Den neuen Bauherren gelang es auch, die gravierenden – und damit Kosten steigernden – Probleme in den Griff zu bekommen: Sie entschieden sich für eine Schleusenlösung, fackelten die von Krankheitserregern verseuchten Sumpfgewässer ab. Und: Sie besetzten 1903 das zu Kolumbien gehörende Gebiet rechts und links des Kanals auf einer Breite von 16 Kilometern, in dem sie dann den unabhängigen Staat Panama ausriefen.
Erster Weltkrieg überschattet Eröffnung
Im Jahre 1914 war schließlich der große Augenblick gekommen: Am 15. August passierte das Paketboot "Ancon" mit 200 Passagieren als erstes Wasserfahrzeug den Panamakanal in voller Länge. Das geschah jedoch sozusagen in aller Stille, denn durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es keine großen Feierlichkeiten. Sie wurden am 12. Juli 1920 nachgeholt, als US-Präsident Woodrow Wilson die Wasserstraße offiziell für den Schiffsverkehr freigab.
Und dieser Schiffsweg machte seitdem große Gewinne. Nach einer für 2011 geltenden, komplexen Gebührentabelle sind 74 US-Dollar pro Standardcontainer und 134 US-Dollar pro Passagierbett zu entrichten. Für einen voll beladenen Frachter fallen somit Grundgebühren von rund 340 400 US-Dollar an, für ein Kreuzfahrtschiff mit 1970 Passagierbetten 263 980 US-Dollar. Dazu kommen noch Nebengebühren, was die Summe auf 400 000 US-Dollar hochtreibt. Auf diese Weise kamen 2011 Einnahmen von 1,73 Milliarden US-Dollar zusammen.
Dass der wirtschaftliche Erfolg und die politische, weil militärische Bedeutung des Panamakanals immer wieder zu Konflikten zwischen den USA als "Pächter" und Panama als "Eigentümer" führte – "denn für die USA galt der Kanal als eines ihrer großen Symbole, das es auch zu verteidigen galt, weshalb die zu entrichtenden Zahlungen aus dem Verteidigungshaushalt beglichen wurden", so Rinke –, aber auch in der Region viele Neider weckte, liegt klar auf der Hand.
So gab es zwischen beiden "Betreibern" immer wieder Streit, beispielsweise um die Höhe der Pacht, die Löhne der Arbeiter oder welche Fahne in der Kanalzone wehen sollte, was dann 1964 auch als Flaggenstreit eskalierte. Dem machte Präsident Jimmy Carter 1977 durch entsprechende Verträge mit General Omar Torrijos ein Ende, wonach der Kanal bis zum Jahr 2000 in die Hände Panamas zu überführen sei, was am 31. Dezember 1999 um 12 Uhr auch geschah.
Panamakanal wird zu klein
Die Auseinandersetzungen 1964 um den Panamakanal ließen als Folge eine erneute Diskussion in den USA aufleben, wie sie vor Übernahme der französischen Panamapläne schon geführt worden war: Mittelamerika an einer anderen Stelle zu durchstechen, nämlich in Nicaragua. Weitere Orte für Projekte dieser Art lagen in Mexiko und Kolumbien. "Hinzu kam, dass Ende der 1960er Jahre die Verkehrskapazität des Panamakanals erschöpft war, und Flugzeugträger und Containerschiffe zu groß geworden waren, als dass sie noch durch den Kanal passten", sagt Rinke.
Auf jeden Fall sollte der angedachte neue Kanal wegen des dort niedrigen Niveau-Unterschiedes zwischen Pazifik und Atlantik ohne Schleusen angelegt werden. Darüber hinaus sollten – so die Pläne der USA – zu ihrem Bau sogar Nuklearladungen bei der Sprengung eingesetzt werden (Operation Plowshare)
Auch Panama entwarf entsprechende Erweiterungspläne, die es im Gegensatz zu allen anderen in die Tat umsetzte: Seit 2007 werden die Zufahrten erweitert und vertieft, wird das Niveau des Stausees angehoben, die Fahrrinne weiter ausgebaggert, werden neue Sparschleusen mit Wasserspeichern angelegt. Bis 2015 soll alles fertig und für Superschiffe wie die Queen Mary 2 bereit sein.
Der Nicaraguakanal als Alternative?
"Man hofft auf diese Weise erst einmal einem von Nicaragua geplanten Kanalprojekt eine Weile voraus zu sein", begründet Stefan Rinke diese Baumaßnahmen, "und hat damit auch die politisch-finanzielle Unterstützung der USA. Denn Panama gehört zu den wenigen nicht links regierten Ländern Lateinamerikas; und die USA passen höllisch auf, dass nichts den Kanal in Gefahr bringt, also auch die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in der Region bedroht."
Genau das aber will Nicaragua mit seinem höchst umstrittenen, 105 Kilometer langen Bauwerk, das zudem noch mit von einem Hongkonger Konsortium finanziert wird (geschätzte Kosten: rund 30 Milliarden Euro). "Es hat dafür gerade jetzt die Sympathien von Russland und dann auch China sowie vielen lateinamerikanischen Linksregierungen", erklärt Stefan Rinke, "denn die würden die Gebühren für eine Durchfahrt viel lieber an eine ihr politisch nahestehende Regierung wie Nicaragua zahlen, was auch politisch-strategische Unabhängigkeit bedeutet."
Ob diese Pläne Realität werden, muss die Zukunft zeigen. Bis dahin wird der Panamakanal mit seiner exotischen Lage an dieser schmalsten Sollbruchstelle der Natur, mit seiner dramatischen Baugeschichte und durch das neue "Lifting" weiterhin für alle Seefahrenden faszinierend bleiben – und welcher Hundertjährige kann das schon von sich behaupten?
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