Lebensgemeinschaften: Selbstlose Schmarotzer
Soziale Lebewesen wie die staatenbildenden Ameisen und Bienen sind in Kasten organisiert: Je nach Zugehörigkeit geben einige Bürger dieser Staaten dabei eigene Fortpflanzungschancen auf, um zum Wohle des Gemeinwesens Dienst als Arbeiter oder Soldat zu leisten. Ein ähnlich organisiertes Staatenwesen findet sich aber auch bei Lebewesen, die der Selbstlosigkeit sonst kaum verdächtigt werden: schmarotzenden Saugwürmern, wie Tsukushi Kamiya und Robert Poulin von der University of Otago berichten.
Die beiden Forscher haben spezialisierte Saugwurmkasten bei der Gattung Philophthalamus beobachtet. Die Parasiten durchlaufen einen typisch komplizierten Lebenszyklus: Als erwachsene Tiere leben die Würmer in Seevögeln, ihrem Endwirt, pflanzen sich fort und bugsieren ihre Eier ins Meer; dort schlüpft die erste Larvenform, die sich dann eine Schnecke als Zwischenwirt sucht. In dem Weichtier verändern sich die Wurmlarven über Zwischenstadien zu für Vögel infektiöse Formen und vervielfältigen sich klonal. Sobald Schnecke und Saugwurmfracht von einem hungrigen Seevogel verschluckt werden, reifen die Parasiten wieder zu erwachsenen Tieren aus und vollenden den Zyklus.
Die parasitäre Kastenbildung läuft dabei in den Schnecken ab. Hier entstehen aus den geklonten Zwischenstadien der Wurmlarven zwei unterschiedliche Formen von Larven: Einmal die normalen Cercarien, die für den Endwirt infektiös sind – zum anderen aber auch kleinere, später nicht reproduktive Larven, die sich im Endwirt nicht entwickeln. Stattdessen übernehmen sie offensichtlich Verteidigungsaufgaben in der Schnecke, wie die Forscher ermittelten: Sie wenden sich rabiat gegen konkurrierende Saugwurmarten, die denselben Zwischenwirt unterwandern wollen und daher Konkurrenz darstellen.
Die Saugwurmgegner von Philophthalamus in diesem Kampf um die Schnecke waren anderen Forschern schon vor zwei Jahren aufgefallen. Kamiya und Poulin bemerkten nun zudem, dass die Berufswahl der Würmer nicht endgültig sein muss. Vielmehr beobachteten sie einen hohen Grad von "durch das soziale Umfeld beeinflusster Vehaltensplastizität" ihrer Versuchswürmer: Wenn nur wenige Verteidigerlarven in der Nähe sind, beginnen auch Fortpflanzungslarven damit, gegnerische Saugwurmlarven zu attackieren. Dies kostet offensichtlich viel Energie, denn die angreifenden Larven konnten sich später weniger erfolgreich fortpflanzen als Larven, die nie zu Aushilfsverteidigern werden mussten.
Nach theoretischen Überlegungen ist ein starres Kastensystem wie bei sozialen Insekten oder die flexiblere Variante der Saugwürmer vor allem dann tragfähig, wenn die Individuen der Art genetisch möglichst gleichartig sind: Nur so wird mit der Fortpflanzung eines Geschlechtstieres auch immer das Erbgut der sexuell nie aktiven Soldaten in die nächste Generation gelangen, weshalb der Einsatz der nicht fortpflanzungsaktiven Kaste sich ebenso für diese lohnt. Tatsächlich fällt die genetische Struktur der Saugwürmer in den Rahmen dieser Theorie: Die bei der ungeschlechtiche Vermehrung entstehenden Klone der Larven im Zwischenwirt Schnecke sorgen für eine geringe Erbgutvaraiabilität der Gemeinschaft.
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