Jahresrückblick: Selten gute Nachrichten
Unser Planet und die ihn betreffenden Wissenschaften tauchten häufig auf in den Schlagzeilen der vergangenen zwölf Monate. Leider in überwiegend negativen: Ein Seebeben im Indischen Ozean mit folgender Flutwelle forderte zehntausende Tote, die roten Zahlen auf den Artenlisten wachsen, die menschgemachte Fieberkurve der globalen Erwärmung mit all ihren Folgen zeichnet sich immer deutlicher ab. Angesichts der plötzlichen und schleichenden Katastrophen kam der von Kollegen eines beliebten täglichen Boulevardblattes angekündigte Weltuntergang aber doch glücklicherweise verfrüht - er fußte auf einem Schreibfehler.
Sicherlich das Thema Nummer eins in den Geowissenschaften war 2004 das Klima – nicht nur, weil ein Film den Menschen Schreckensszenarien in bester Hollywood-Manier bot, rechtzeitig zum Wahlkampf in einem Staat, der statt internationaler Klimapolitik eigene Wege vorzieht. Es gab viele Ergebnisse, die immer deutlicher zeigen: Unser Planet hat Fieber. Und schuld daran ist der Mensch.
Neue Teile fürs Klimapuzzle
Doch fügte nicht nur der Vorjahressommer dem Klimapuzzle neue Teile hinzu – dessen Bild vervollständigte sich im vergangenen Jahr in etlichen Einzelheiten. So beschäftigten sich Forscher in zahlreichen Studien beispielsweise mit dem Rätsel der nicht aufgehenden Kohlendioxid-Bilanz: Was der Mensch an jenem klimarelevanten Gas in den vergangenen Jahrhunderten emittiert hat, findet sich in der Atmosphäre nicht wieder – ein beliebtes Argument gegen den Treibhauseffekt bei seinen Anzweiflern. Nun aber gibt es gleich mehrere mögliche Erklärungen: Bei Satellitendaten sollen sich Forscher schlicht verrechnet und den Abkühlungseffekt in der Stratosphäre zu wenig berücksichtigt haben – ein Vorschlag, der viel Kritik herausforderte, sich aber durchaus in weiteren Studien bestätigte. Andere fanden fehlende Anteile im Meer wieder: Es speichert womöglich mehr, als ihm zugetraut wurde.
Gleiches gilt für die Böden – hier stellten Wissenschaftler unter erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen ebenfalls ein größeres Speichervermögen fest. Dabei war die erhoffte dämpfende Wirkung des Untergrunds auf den Treibhauseffekt durch andere Studien erheblich ins Wanken geraten: Gerade Moore und sonstige Feuchtgebiete der höheren Breiten entpuppten sich als deutlich schlechtere Speicher denn gedacht – in manchen Studien setzten sie sogar Kohlenstoff frei, statt ihn längerfristig zu fixieren. Wieder einmal gilt es, die entsprechenden Modelle sorgfältig zu prüfen.
Daran sieht man, wie unscharf unser Wissen vom globalen Klimapuzzle noch immer ist. Wie sicher sind dann überhaupt die aus Simulationen abgeleiteten Zukunftsprognosen? Höchste Zeit, diese Modelle einmal auf Herz und Nieren zu prüfen und Faktor für Faktor die Extreme auszutesten. Doch das Ergebnis zeigt: Die Modelle sind nicht so schlecht wie ihr Ruf – sie bestätigten im Rahmen ihrer Variablen die Schätzungen einer weltweiten Erwärmung um 2,4 bis 5,4 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts. Die Qualität scheint also ausreichend gesichert – und die Warnungen sind dementsprechend ernst zu nehmen.
Angesichts dieses sich vervollständigenden Bildes sorgt die Ablehnung des Kyoto-Protokolls durch manche Staaten nach wie vor für Unmut bei Wissenschaftlern wie Öffentlichkeit, der dieses Jahr gerade in den USA auch scharf formuliert wurde. Und doch gab es wenigstens eine hoffnungsvolle Botschaft: Russland hat das globale Klimaabkommen zur Reduktion der Treibhausgase ratifiziert, sodass es nun am 16. Februar 2005 in Kraft treten kann. Die Prognosen für Europa lauten: Wenn tatsächlich alles wie geplant umgesetzt wird und manche sogar Extraanstrengungen leisten, könnten die Ziele in greifbare Nähe rücken – oder sogar unterschritten werden.
Alarmstufe Rot für die Lebewelt
Simulationen warnen vor einem massiven Rückgang der Vogelpopulationen und dem Aussterben zahlreicher Arten mit allen daraus folgenden Konsequenzen. Selbst der nächste Verwandte des Menschen, der Bonobo (Pan paniscus), steht kurz vor dem Aus – und die Lage der anderen Menschenaffen ist kaum besser. Schlimmer noch als bei Vögeln und Säugetieren sieht aber wohl die Situation bei den Amphibien aus: Ein Drittel der Arten weltweit ist vom Aussterben bedroht, die Hälfte befindet sich im Rückgang, und 122 Spezies scheinen seit den 1980er Jahren ganz verschwunden zu sein. Auch im Wasser wird es ernst: Seit 1970 haben die Meere und Landlebensräume 30 Prozent ihrer Artenvielfalt verloren, die Flüsse und Feuchtgebiete sogar die Hälfte, meldet der World Wide Fund for Nature. Ob da ein eigens entwickelter Index hilft, die Gefährdung besser abzuschätzen und gezielter nötige Schutzmaßnahmen einleiten zu können? Oder doch eher die Analyse von Verbreitungskarten? Die Diskussion wirkt beinahe hilflos angesichts der rasenden Entwicklung der Realität.
Wann entstand das Leben überhaupt?
Eine weiterer mehr oder weniger direkter Einfluss des Menschen auf die Natur war auch dieses Jahr wieder Dauerbrenner, in Deutschland durch den Streit um das Gentechnikgesetz sogar mit sehr aktuellem Bezug: der Einfluss gentechnisch veränderter Organismen auf ihre Umwelt. Vorläufige Ergebnisse aus dem ersten Versuchsanbau mit gentechnisch verändertem Mais in verschiedenen Bundesländer lässt vermuten, dass ausreichende Schutzstreifen von wenigen Metern Breite den Schaden recht gut begrenzen können – doch die Bedenken, die aus weiteren Studien resultieren, bleiben bestehen: Eine Einkreuzung in Wildarten ist nicht unbedingt auszuschließen, und auch zu den Folgen auf die tierische Lebewelt gibt es höchst widersprüchliche Ergebnisse.
Und eine Jahrhundert-Katastrophe
Noch stehen die menschlichen Tragödien und die notwendige Hilfe für die Betroffenen zu Recht im Vordergrund. Doch die nächsten Jahrzehnte wird es nicht nur darum gehen, die Bevölkerung vor Ort zu unterstützen. Auch für Wissenschaftler wird es Arbeit geben: Nach dem Beben wird so manche Karte umzuzeichnen sein – die Andamanen und Nikobaren wurden womöglich gehoben, andere Regionen haben sich gesenkt, manche Inseln sind ganz verschwunden. Die Flutwellen und der mitgerissene Sand haben Korallenriffe und Küstenwälder zerstört, und es wird lange dauern, bis sich die Ökosysteme, wenn überhaupt, erholen. Zudem ist das Schicksal verschiedener Stammesgruppen auf entlegenen Inseln noch völlig ungeklärt. Eine genaue Analyse der Ereignisse und ihrer Folgen kann dazu beitragen, Mensch und Umwelt möglichst gezielt zu helfen. Und vor allem, ein sicheres Frühwarnsystem zu entwickeln.
Sehr lebendig waren noch die Erinnerungen an den Hitzesommer 2003, der Gegenstand zahlreicher Analysen wurde. Eine natürliche Schwankung? Mitnichten: Als Wissenschaftler den Einfluss menschgemachter Treibhausgase mit einrechneten, zeigte sich klar – wir haben ihn uns vor allem selbst zuzuschreiben. Und er bestätigte damit nur, was schon lange gewarnt wird: Heutige Extreme werden zukünftig zur Regel – der Rekord des Vorjahres wird laut Simulationen in den kommenden Jahrzehnten wohl eher das Mittelmaß repräsentieren. Denn beim Blick zurück in die Vergangenheit findet sich Entsprechendes in den vorindustriellen Jahrhunderten nur selten. Milde Winter und heiße Sommer werden aber umso häufiger, je näher man der Gegenwart rückt: Die neun wärmsten Jahre erlebte Europa nach 1989. Aber selbst wenn 2003 im Moment ein Rekordhalter bei den Extremen ist – überraschenderweise glänzte auch der Winter durch Kälte in den Ranglisten –, im nächsten Jahrhundert wird er unter ferner liefen landen.
Neue Teile fürs Klimapuzzle
Doch fügte nicht nur der Vorjahressommer dem Klimapuzzle neue Teile hinzu – dessen Bild vervollständigte sich im vergangenen Jahr in etlichen Einzelheiten. So beschäftigten sich Forscher in zahlreichen Studien beispielsweise mit dem Rätsel der nicht aufgehenden Kohlendioxid-Bilanz: Was der Mensch an jenem klimarelevanten Gas in den vergangenen Jahrhunderten emittiert hat, findet sich in der Atmosphäre nicht wieder – ein beliebtes Argument gegen den Treibhauseffekt bei seinen Anzweiflern. Nun aber gibt es gleich mehrere mögliche Erklärungen: Bei Satellitendaten sollen sich Forscher schlicht verrechnet und den Abkühlungseffekt in der Stratosphäre zu wenig berücksichtigt haben – ein Vorschlag, der viel Kritik herausforderte, sich aber durchaus in weiteren Studien bestätigte. Andere fanden fehlende Anteile im Meer wieder: Es speichert womöglich mehr, als ihm zugetraut wurde.
Gleiches gilt für die Böden – hier stellten Wissenschaftler unter erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen ebenfalls ein größeres Speichervermögen fest. Dabei war die erhoffte dämpfende Wirkung des Untergrunds auf den Treibhauseffekt durch andere Studien erheblich ins Wanken geraten: Gerade Moore und sonstige Feuchtgebiete der höheren Breiten entpuppten sich als deutlich schlechtere Speicher denn gedacht – in manchen Studien setzten sie sogar Kohlenstoff frei, statt ihn längerfristig zu fixieren. Wieder einmal gilt es, die entsprechenden Modelle sorgfältig zu prüfen.
Daran sieht man, wie unscharf unser Wissen vom globalen Klimapuzzle noch immer ist. Wie sicher sind dann überhaupt die aus Simulationen abgeleiteten Zukunftsprognosen? Höchste Zeit, diese Modelle einmal auf Herz und Nieren zu prüfen und Faktor für Faktor die Extreme auszutesten. Doch das Ergebnis zeigt: Die Modelle sind nicht so schlecht wie ihr Ruf – sie bestätigten im Rahmen ihrer Variablen die Schätzungen einer weltweiten Erwärmung um 2,4 bis 5,4 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts. Die Qualität scheint also ausreichend gesichert – und die Warnungen sind dementsprechend ernst zu nehmen.
Angesichts dieses sich vervollständigenden Bildes sorgt die Ablehnung des Kyoto-Protokolls durch manche Staaten nach wie vor für Unmut bei Wissenschaftlern wie Öffentlichkeit, der dieses Jahr gerade in den USA auch scharf formuliert wurde. Und doch gab es wenigstens eine hoffnungsvolle Botschaft: Russland hat das globale Klimaabkommen zur Reduktion der Treibhausgase ratifiziert, sodass es nun am 16. Februar 2005 in Kraft treten kann. Die Prognosen für Europa lauten: Wenn tatsächlich alles wie geplant umgesetzt wird und manche sogar Extraanstrengungen leisten, könnten die Ziele in greifbare Nähe rücken – oder sogar unterschritten werden.
Alarmstufe Rot für die Lebewelt
Doch das Klima ist nicht das einzige Sorgenkind der Geowissenschaftler. Es gibt ein weiteres: nicht mehr und nicht weniger als das Leben an sich. Die Rote Liste bedrohter Arten der IUCN umfasst dieses Jahr 15 589 Spezies: 7266 Tier- und 8323 Pflanzenarten. Häufige Ursache: die Zerstörung ihrer Lebensräume durch den Menschen – und das auch indirekt. Denn Hochrechnungen sprechen von einer Million Arten, die durch den Klimawandel in Schwierigkeiten geraten, weil sich ihre Umgebung nachhaltig verändern wird.
Simulationen warnen vor einem massiven Rückgang der Vogelpopulationen und dem Aussterben zahlreicher Arten mit allen daraus folgenden Konsequenzen. Selbst der nächste Verwandte des Menschen, der Bonobo (Pan paniscus), steht kurz vor dem Aus – und die Lage der anderen Menschenaffen ist kaum besser. Schlimmer noch als bei Vögeln und Säugetieren sieht aber wohl die Situation bei den Amphibien aus: Ein Drittel der Arten weltweit ist vom Aussterben bedroht, die Hälfte befindet sich im Rückgang, und 122 Spezies scheinen seit den 1980er Jahren ganz verschwunden zu sein. Auch im Wasser wird es ernst: Seit 1970 haben die Meere und Landlebensräume 30 Prozent ihrer Artenvielfalt verloren, die Flüsse und Feuchtgebiete sogar die Hälfte, meldet der World Wide Fund for Nature. Ob da ein eigens entwickelter Index hilft, die Gefährdung besser abzuschätzen und gezielter nötige Schutzmaßnahmen einleiten zu können? Oder doch eher die Analyse von Verbreitungskarten? Die Diskussion wirkt beinahe hilflos angesichts der rasenden Entwicklung der Realität.
Da tröstet es auch nicht, dass die erste umfassende Volkszählung im Meer zahlreiche neue Arten ans Licht brachte, Kaltwasserkorallen weiter verbreitet sind als vermutet und Forscher in Indien eine neue Makakenart entdeckten. Doch apropos neu entdecken: Gänzlich unerwartet stolperten Wissenschaftler dieses Jahr über einen Kolibri in Deutschland – oder besser gesagt seine versteinerten Überreste, die in einer Tongrube bei Wiesloch gefunden wurden. Der wenige Zentimeter große Vogel aus dem Tertiär entpuppte sich als naher Verwandter heutiger moderner Kolibris der amerikanischen Kontinente.
Wann entstand das Leben überhaupt?
Um das frühe – genauer gesagt das erste – Leben streiten sich Forscher beim Anblick von röhrenartige Strukturen in über drei Milliarden Jahren alten Gesteinen. Atmeten die ersten Bakterien in 3,48 Milliarden Jahre alten Gesteinen aus Südafrika? Oder ebenso alten Pendants in Australien? Oder gab es sie gar schon vor 3,85 Milliarden Jahren im heutigen Grönland? Die Hinweise ernten Pros und Kontras von Wissenschaftlern, und bis heute sind sie sich nur in einem einig: dass sie sich nicht einig sind.
Eine weiterer mehr oder weniger direkter Einfluss des Menschen auf die Natur war auch dieses Jahr wieder Dauerbrenner, in Deutschland durch den Streit um das Gentechnikgesetz sogar mit sehr aktuellem Bezug: der Einfluss gentechnisch veränderter Organismen auf ihre Umwelt. Vorläufige Ergebnisse aus dem ersten Versuchsanbau mit gentechnisch verändertem Mais in verschiedenen Bundesländer lässt vermuten, dass ausreichende Schutzstreifen von wenigen Metern Breite den Schaden recht gut begrenzen können – doch die Bedenken, die aus weiteren Studien resultieren, bleiben bestehen: Eine Einkreuzung in Wildarten ist nicht unbedingt auszuschließen, und auch zu den Folgen auf die tierische Lebewelt gibt es höchst widersprüchliche Ergebnisse.
Und eine Jahrhundert-Katastrophe
Und wie schon im Jahr 2003 beherrscht auch die letzten Tage des Jahres 2004 ausgerechnet eine Katastrophe die Nachrichten: Ein schweres Seebeben im Indischen Ozean, das stärkste seit vierzig Jahren, hat mehrere Tsunamis ausgelöst, die womöglich über hunderttausend Opfer forderten.
Noch stehen die menschlichen Tragödien und die notwendige Hilfe für die Betroffenen zu Recht im Vordergrund. Doch die nächsten Jahrzehnte wird es nicht nur darum gehen, die Bevölkerung vor Ort zu unterstützen. Auch für Wissenschaftler wird es Arbeit geben: Nach dem Beben wird so manche Karte umzuzeichnen sein – die Andamanen und Nikobaren wurden womöglich gehoben, andere Regionen haben sich gesenkt, manche Inseln sind ganz verschwunden. Die Flutwellen und der mitgerissene Sand haben Korallenriffe und Küstenwälder zerstört, und es wird lange dauern, bis sich die Ökosysteme, wenn überhaupt, erholen. Zudem ist das Schicksal verschiedener Stammesgruppen auf entlegenen Inseln noch völlig ungeklärt. Eine genaue Analyse der Ereignisse und ihrer Folgen kann dazu beitragen, Mensch und Umwelt möglichst gezielt zu helfen. Und vor allem, ein sicheres Frühwarnsystem zu entwickeln.
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