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News: 'Seniorenteller' kommen bei älteren Menschen nicht gut an

Ältere Menschen werden immer mehr zu einem gewichtigen Wirtschaftsfaktor. Das liegt nicht nur daran, daß ihr Anteil an der Bevölkerung stark zunimmt: Sie verfügen auch über ganz erhebliche Geldmittel. Zwar gibt es die armen Alten. Andererseits beziehen viele ältere Menschen hohe Renten oder haben sich im Laufe ihres Arbeitslebens ein beachtliches Vermögen zusammen gespart. Eine Forschergruppe hat jetzt Wünsche und Bedürfnisse der Älteren untersucht. Daraus ergeben sich besonders für Werbetreibende eine Fülle von Konsequenzen.
Noch um die Jahrhundertwende waren Senioren eher selten. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag niedrig, die Bevölkerungspyramide sah noch wie ein Dreieck aus und nicht wie ein Baum mit einem dicken Stamm.

Das hat sich gründlich geändert. Der medizinische Fortschritt und sinkende Geburtenraten haben dafür gesorgt, daß immer mehr Menschen immer älter werden und daß ihr Anteil an der Bevölkerung steigt. Schon in wenigen Jahren, so das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, wird es in Deutschland mehr Menschen geben, die 65 Jahre und älter sind, als solche unter 15 Jahren.

Bei so vielen Alten wundert es nicht, wenn sich auch Werbeagenturen, Supermärkte und Autobauer immer mehr für diese Bevölkerungsgruppe interessieren. Die Senioren stellen nämlich eine geballte Wirtschaftsmacht dar, an deren Kaufkraft man teilhaben möchte. Zwar gibt es die armen Alten, die mit ihrer Rente kaum auskommen, andererseits verfügen nicht wenige aber über stattliche Geldmittel. Während die zwanzig- bis neunundzwanzigjährigen Deutschen Monat für Monat etwa zehn Milliarden Mark ausgeben können, sind es bei den über 50jährigen fast 25 Milliarden. Und auch bei der Vermögensverteilung schlagen die Alten die Jungen um Längen: Während die über 55jährigen 2,2 Billionen Mark allein an Geld auf der hohen Kante liegen haben, sind es bei den unter 25jährigen gerade mal 40 Milliarden – nicht einmal ein Fünfzigstel der Summe, die die Alten im Laufe ihres Lebens gespart haben.

Die Senioren sind allerdings auch besonders kritische Verbraucher – so leicht wie die Jugendlichen lassen sie sich ihr Geld nicht aus der Tasche ziehen. Um die Wünsche und Bedürfnisse der älteren Deutschen herauszufinden, haben Cornelia Zanger und Frank Sistenich von der TU Chemnitz, gemeinsam mit Dorothee Rein von der Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby fast 1300 über 50jährige in Ost und West befragt. "Die 50jährigen sind schon in der Übergangsphase vom Berufsleben ins Rentnerdasein, deshalb haben wir sie in unsere Untersuchung mit einbezogen", so Zanger.

Besonders war man an der Gruppe der aktiven Senioren interessiert, weil die eine bevorzugte Zielgruppe für die Industrie sind. Und wo findet man solche aktiven Alten? Nun, in der Volkshochschule zum Beispiel. Deshalb befragten die Wissenschaftler Besucher von Volkshochschulkursen in Dresden, Hamburg, Stuttgart, Kiel und Bremen nach Alter und Einkommen, nach Haushaltsgröße und Bildungsstand, nach dem Familienstatus und der Wohnungsgröße und nach vielem anderen mehr. Rund drei Viertel der Befragten waren älter als sechzig Jahre. Fast ein Drittel hatten ein Haushaltseinkommen von über 4000 Mark – schon erstaunlich, wen man bedenkt, daß ebenfalls fast ein Drittel in Ein-Personenhaushalten, weitere 58 Prozent in Zwei-Personenhaushalten lebten. Mit weniger als 1000 Mark im Monat mußten 2,1 Prozent der Befragten auskommen, weitere 17,9 Prozent mit 1000 bis 2000 Mark. Ein Großteil dieses Geldes ist allerdings fest verplant, etwa für Miete, Auto und Versicherungen. Frei verfügbar war entsprechend weniger: Bei vier von zehn Befragten waren es mehr als 1000 Mark pro Haushalt, bei einem weiteren Viertel immerhin noch zwischen 800 und 1000 Mark. Dazu paßt, daß 40 Prozent der Alten im eigenen Haus, weitere 16 Prozent in einer Eigentumswohnung lebten.

Doch die Wissenschaftler wollten von den Senioren noch mehr wissen. So fragten sie etwa auch danach, wie die älteren Menschen ihre Freizeit verbringen, ob überhaupt und welche Zeitungen sie lesen, welche Fernsehsendungen sie sich ansehen, wie sie mit jüngeren Menschen zurechtkommen, was sie kaufen und welche Einstellungen sie haben.

Mit diesen und weiteren Daten konnten Zanger, Sistenich und Rein aus den 1300 Alten sechs Großgruppen mit ähnlichen Eigenschaften und Interessen herausfiltern: Die "Familiären" (15 Prozent), die "Traditionellen" (13 Prozent), die "Bewußten" (27 Prozent), die "Ich-Bezogenen" (9 Prozent), die "Frustierten" (12 Prozent), die "Desinteressierten" (24 Prozent)

Die "Familiären" finden ihren Rückhalt in der Familie. Vom Fernsehen wollen sie in erster Linie unterhalten werden, für anspruchsvolle Kultursendungen interessieren sie sich dagegen kaum. Beim Lesen bevorzugen sie regionale Zeitungen. Politik interessiert sie überhaupt nicht. Was die Rolle der Geschlechter angeht, sind sie eher konservativ. Im Laden greifen sie meist zu Markenprodukten. Sie haben einen eher niedrigen Bildungsstand, die frei verfügbaren Mittel sind bei unter 400 Mark recht gering.

Die "Traditionellen" sind stark an herkömmliche Regeln gebunden. Sie sind wenig aufgeschlossen, die Probleme anderer interessieren sie nicht. Gesellschaftlichen Veränderungen stehen sie ablehnend gegenüber. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander sehen sie eher traditionell. Sie sehen gern fern, lesen aber kaum Zeitungen oder Zeitschriften. Auch die neuen Medien sind ihnen nicht wichtig. Sie kaufen eher bei Aldi ein als in einem Feinkostladen, auf Markenprodukte legen sie keinen Wert. An Kultur und an Bastelarbeiten haben sie ebenfalls kein Interesse, dafür aber an Sport und an Finanzangelegenheiten.

Die "Bewußten" sind dagegen aufgeschlossen und diskutieren auch gern mit jüngeren Menschen. Fernsehen, besonders wenn es seicht daher kommt, lehnen sie mehrheitlich ab. Dafür interessieren sie sich aber für Kultur und Politik. Überhaupt ist es für sie wichtig, dazuzulernen und sich weiterzubilden. Deshalb lesen sie auch gern Zeitungen und Zeitschriften, für die neuen Medien interessieren sie sich dagegen nicht. Beim Einkauf bevorzugen die "Bewußten" Markenware. Die können sie sich auch leisten: Sie haben ein vergleichsweise hohes Einkommen – und auch eine hohe Bildung.

Die "Ich-Bezogenen" sind die Schrittmacher der älteren Menschen. Veränderungen der Gesellschaft stehen sie offen gegenüber, von Pflichtbewußtsein halten sie wenig. Den neuen Medien gegenüber sind sie ebenso aufgeschlossen wie den Zeitungen und Zeitschriften. Genuß ist für sie wichtig, sie begeistern sich zudem für Technik und Fitneß. Die "Ich-bezogenen" sind meist männlich, sie leben allein und sind überdurchschnittlich gebildet. Sie ziehen ebenfalls Markenware vor, haben es aber meist eilig und lieben die Bequemlichkeit.

Die "Frustrierten" dagegen fühlen sich unverstanden, auch ihre Familie gibt ihnen keinen Halt. Leistungsdruck mögen sie nicht. Sie geben sich aufgeklärt und lehnen die herkömmlichen Geschlechterrollen ab. Mit Ausnahme von Action-Filmen interessieren sie sich nicht fürs Fernsehen. Zeitungen, Zeitschriften und neue Medien ziehen sie ebenfalls nicht an. Auch Markenartikel und Genuß im allgemeinen halten sie für überflüssig. Trotzdem möchten sie es sich gutgehen lassen. Das gelingt nicht immer: Die "Frustrierten" sind zwar oft recht hoch gebildet, haben aber ein vergleichsweise niedriges frei verfügbares Einkommen. Nicht selten sind sie geschieden und mit 50 bis 60 Jahren auch noch sehr jung.

Bei den "Desinteressierten" sind die älteren Senioren, oft schon über 70 Jahre, in der Mehrzahl. Häufig sind sie verwitwet. Sie sind gegen gesellschaftliche Veränderungen, haben auch wenig Halt in ihrer Familie. Vom Fernsehen möchten sie sich nicht einfach berieseln lassen, handlungsreiche und spannungsgeladene Filme mögen sie aber sehr. Die neuen Medien lehnen sie hingegen ebenso ab wie Zeitungen und Zeitschriften. Weil sie es schnell und bequem lieben, begeistern sie sich für Fertiggerichte. Ansonsten wollen die "Desinteressierten" ihre Ruhe haben – weder Sport noch Tüfteln, erst recht nicht Politik, locken sie aus ihrer Reserve heraus. In ihrer Freizeit sind sie wenig aktiv.

Was bedeutet diese Untersuchung nun für Firmen, die gerne mehr Produkte an ältere Menschen verkaufen würden? "Werbung für Senioren muß sich mehr an deren Alltag, an ihrer Lebenswelt und -erfahrung orientieren", so Zanger. Ältere möchten mit mehr Respekt behandelt werden, auch als Verbraucher. "Seniorenteller" im Restaurant etwa kommen bei dieser Zielgruppe nicht an, signalisieren sie doch: Ihr gehört nicht mehr dazu. Wer in der Werbung Witze über alte Menschen reißt, darf sich ebenfalls nicht wundern, wenn seine Produkte abgelehnt werden. Klischees wie etwa der besserwisserische alte Herr oder die nölige alte Dame sind genauso verpönt. Und Übertreibungen bei den Eigenschaften von Produkten sind gleichfalls unbeliebt – wie übrigens auch bei jüngeren Menschen.

Besonders behutsam sollten die Werbefachleute mit dem Thema Angst umgehen – wer nicht mehr so gut auf den Beinen ist, unter Einsamkeit leidet oder gar Stuhl und Harn nicht mehr zurückhalten kann, der darf nicht noch zusätzlich ausgegrenzt werden. Gerade das macht aber die Werbung noch oft genug, etwa wenn den alten Menschen ihr Leistungsabbau und der körperliche Verfall per Werbespot vorgeführt wird. Gefragt sind statt dessen Werbebotschaften, die deutlich machen, daß Ältere noch dazu gehören, daß sie noch aktiv am Leben teilnehmen. Dazu gehört auch das Thema Glück – wer es versteht, Bereiche wie die ewige Liebe, Freiheit, Abenteuer, Naturerleben oder Attraktivität angemessen zu vermitteln, der hat die alten Menschen auch als Kunden auf seiner Seite. Für dumm verkaufen lassen möchten sich die Alten aber auch nicht – ein auf alt geschminktes, in Wirklichkeit aber noch junges männliches Modell etwa kommt überhaupt nicht gut an.

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