Quantencomputer: Kommt der Durchbruch in Deutschland?
Genau beschreiben darf Florian Neukart nicht, wie es bei D-Wave Systems in Kanada aussieht. Will man die Labore der Firma betreten, muss man vorher eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Dann kommt man in eine große Halle mit blinkenden schwarzen Kästen, die ein wenig an überdimensionierte moderne Kühlschränke erinnern. Darin befinden sich die ersten kommerziell vertriebenen Quantencomputer der Welt.
Quantencomputer sind mit großen Hoffnungen verbunden. Sie müssten theoretisch bestimmte Aufgaben viel schneller lösen können als klassische Supercomputer. Dazu zählen spezielle Algorithmen aus dem Bereich der Kryptografie und der Suche in Datenbanken. Auch beim maschinellen Lernen, der Suche nach Lösungen von Optimierungsproblemen und in weiteren Felder erhoffen sich Experten durch Quantencomputer eine enorme Beschleunigung.
D-Wave hat seine exotischen Rechenmaschinen schon an den Rüstungskonzern Lockheed Martin, die Raumfahrtbehörde NASA und den Tech-Riesen Google verkauft. Nun hat die Firma auch den Sprung nach Deutschlang geschafft. Florian Neukart ist Principal Scientist im »CODE Lab« von Volkswagen in San Francisco. Volkswagen und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) testen aktuell unabhängig voneinander die D-Wave-Rechner. Sie wollen wissen, ob die Maschinen leisten, was sie versprechen.
Gleichzeitig null und eins
Das Herzstück der D-Wave-Computer bildet ein Chip mit Schleifen aus dem supraleitenden Metall Niob. Diese Schleifen stellen so genannte Qubits dar, das Quantencomputeranalogon zum Bit in einem klassischen Computer, der Basiseinheit von Information in der digitalen Welt. Der Chip wird im Vakuum auf eine Temperatur von 0,015 Kelvin gekühlt, so dass seine supraleitende Eigenschaft zu Tage tritt.
Die Leiterschleifen besitzen so genannte Josephson-Kontakte. Diese sorgen dafür, dass sich die Ströme in den Schleifen in einen quantenmechanischen Überlagerungszustand bringen lassen. Anders als klassische Bits, die entweder den Wert »1« oder den Wert »0« annehmen, können die Ströme in den Schleifen-Qubits in entgegengesetzte Richtungen fließen und somit gleichzeitig den Zustand »1« und den Zustand »0« darstellen.
Auf den neuesten käuflich erhältlichen D-Wave-Chips finden sich 2048 Schleifen-Qubits. Sie sind über elektronische Verbindungen miteinander gekoppelt. Um nun eine Rechnung auf dem Chip auszuführen, stellen äußere Magnetfelder die Ströme in den Schleifen so ein, dass auf dem Chip das mathematische Problem physisch nachgebildet wird. Dann überlässt man das System gewissermaßen sich selbst. Die Ströme in den Schleifen verlagern sich über ihre Verbindungen daraufhin so, dass das System den Zustand minimaler Energie erreicht. Dieser Prozess wird als »Quantum Annealing« bezeichnet: »to anneal« bedeutet so viel wie »ausglühen« oder »aushärten«. Dieser Vorgang ist die eigentliche Rechenoperation eines D-Wave-Computers, man spricht dabei auch von »adiabatischem Rechnen«. Am Schluss gibt der Rechner als Lösung den finalen Zustand der Qubit-Schleifen aus, der dann wieder in die Sprache des ursprünglichen mathematischen Problems überführt wird.
Doch was können die Maschinen von D-Wave leisten? Hat man es dabei überhaupt wirklich mit Quantencomputern zu tun? In welchen Bereichen könnten sie deutschen Forschern und Unternehmen einen Durchbruch bringen? Für endgültige Antworten auf diese Fragen ist das Forschungsgebiet »Quantencomputing« noch zu jung und zu wenig erschlossen. Dieser Text wird versuchen, sich Antworten zumindest anzunähern.
»Man kann fast alle Fragestellungen der realen Welt in Optimierungsprobleme übersetzen. Allerdings kann die Lösung auf einem klassischen Computer mitunter Wochen dauern«Florian Neukart
»Quanten-Annealer« wie die Rechner von D-Wave sind jedenfalls keine »universellen« Quantencomputer. Im Gegensatz zu diesen können sie die speziellen Algorithmen in der Kryptografie und der Datenbanksuche nicht schneller ausführen als klassische Rechner. Was sie hingegen schaffen könnten, ist eine schnellere Lösung so genannter »quadratisch-binärer Optimierungsprobleme« (QUBO). »Man kann fast alle Fragestellungen der realen Welt in Optimierungsprobleme übersetzen«, sagt Florian Neukart von Volkswagen. »Allerdings kann die Lösung auf einem klassischen Computer mitunter Wochen dauern.«
Insgesamt haben rund 15 Forscher bei Volkswagen in zwei Standorten in San Francisco und München mit Projekten rund um Quantencomputing zu tun, zehn von ihnen befassen sich ausschließlich mit diesem Thema. Die Kooperation zwischen D-Wave und Volkswagen besteht seit ungefähr zwei Jahren. Volkswagen besitzt keinen eigenen Quantencomputer. Seinen Zugriff erhält der deutsche Autobauer – gegen Gebühr – über die »Cloud«, erklärt Florian Neukart.
»Wir müssen uns den Zugriff auf die Rechner mit anderen Anwendern teilen. Wenn wir ein Problem an D-Wave schicken, kommen wir in eine Warteschlange. Wenn man so ein System erwirbt, hat man Alleinzugriff. Das ist vor allem interessant, wenn man sehr schnell Ergebnisse braucht. Oder wenn man die Aktivitäten, die man auf den Quantencomputern betreibt, streng geheim halten will.« Der Vorteil beim Cloud-Zugriff sei, dass man immer auf der neuesten Hardware rechnen könne, erklärt Neukart. »D-Wave verbessert und erweitert ständig die Leistungsfähigkeit seiner Maschinen.«
Stau in Echtzeit vorhersagen und vermeiden
Volkswagen will die D-Wave-Maschinen in drei Bereichen testen: Optimierung, Simulation von Materialeigenschaften und maschinelles Lernen. In einer 2017 veröffentlichten Studie haben Neukart und seine Kollegen beispielsweise untersucht, wie sich der Verkehrsfluss in einer Großstadt optimieren lässt. Dazu haben die Forscher Daten von mehr als 10 000 Taxis in Peking verwendet und mit Hilfe des D-Wave-Rechners Routen modelliert, die die Fahrzeiten verkürzen würden.
Die Volkswagen-Forscher teilten das Problem gewissermaßen auf. Der Prognosealgorithmus, der sagt, wo die Staus auftreten würden, lief auf einem klassischen Computer. Die Optimierung des Verkehrs, die Staus vermeiden helfen sollte, wurde auf dem D-Wave-Computer berechnet. »Man kann mit einem Prognosealgorithmus eine Vorhersage für den Verkehrsfluss in 15 oder 20 Minuten erstellen und den Verkehr dann so lenken, dass Staus vermieden werden«, erklärt Neukart. »Die Anweisungen dazu geben wir im Moment an die Fahrer weiter.« In Zukunft könnte daraus aber auch ein vorausschauendes System von ferngelenkten autonomen Fahrzeugen entstehen. Erst kürzlich sind die Experten noch einen Schritt weitergegangen und haben ein quantenoptimiertes Verkehrsleitsystem für Taxiflotten und öffentliche Verkehrsmittel in Barcelona entwickelt.
Eine weitere Anwendung, für die Volkswagen den D-Wave-Rechner testet, ist die Logistik. Bei der Produktion von Fahrzeugen sei es wichtig, die Art und Menge der Werkzeuge, Werkstücke und Fahrzeugteile, die in einer bestimmten Reihenfolge verwendet werden, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zur Verfügung zu haben. Diese Aufgabe lasse sich ebenfalls als Optimierungsproblem formulieren. Außerdem untersuchen die Forscher, inwiefern sich die D-Wave-Rechner zur Simulation anderer Quantensysteme wie Lithium-Wasserstoff-Moleküle oder Kohlenstoffketten eignen.
»Deep Learning« könnte von Quantencomputern profitieren
Die Idee: Der D-Wave-Chip als von außen gezielt manipulierbares Quantensystem könnte die Eigenschaften anderer Quantensysteme gewissermaßen imitieren und so zu deren tieferem Verständnis beitragen. In einer Pressemitteilung vom Juni gibt Volkswagen als »langfristiges Ziel« aus, die chemische Zusammensetzung einer Batterie im Hinblick auf Parameter wie Gewichtsreduzierung und maximale Leistungsdichte zu simulieren, und daraus »direkt den Bauplan für die Fertigung abzuleiten.«
Volkswagen forscht auch an der Verbindung von maschinellem Lernen und Quantencomputing. Dabei spielen so genannte künstliche neuronale Netze eine zentrale Rolle. Diese Klasse von Algorithmen, erlernt aus Trainingsdaten bestimmte mathematische Funktionen. Die Netze formen sich unter dem Einfluss des Trainings so um, dass sie anschließend unbekannte Fallbeispiele der trainierten Klasse sehr zuverlässig lösen können. In den letzten Jahren haben so genannte tiefe neuronale Netzwerke, die aus tausenden Schichten künstlicher Neuronen aufgebaut sind, große Erfolge beispielsweise bei der Erkennung von Objekten, Gesichtern oder Sprache erzielt. Das Schlagwort dazu lautet »Deep Learning«.
Das Training der neuronalen Netze stellt ebenfalls ein Optimierungsproblem dar. »Je größer die neuronalen Netze, desto länger dauert es, bis die Netze optimal trainiert sind«, sagt Florian Neukart. Wenn man sich die Quantenchips von D-Wave unter dem Mikroskop anschaute, ähnelten sie in ihrem strukturellen Aufbau dem, was künstliche neuronale Netze informatisch darstellen: einzelne Knoten mit gewichteten Verbindungen dazwischen. »Man könnte also versuchen, das für höhere Geschwindigkeit zu nutzen, in dem man die neuronalen Netze direkt auf die Chips überträgt. Das teste Volkswagen gerade.
Quantencomputer lösen Probleme aus der Luft- und Raumfahrt
Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) forscht Tobias Stollenwerk an Quantencomputern. Zu den Projekten des DLR in diesem Bereiche gehört auch eine Kooperation mit der NASA. Die US-Raumfahrtbehörde verfügt über einen eigenen D-Wave-Computer. Seit 2016 kann das DLR im Rahmen der Kooperation diesen Computer testen. »Ich bin selbst dreimal zu NASA gereist und habe zusammen mit den Kollegen dort versucht, Probleme aus Luft- und Raumfahrt zu lösen«, erklärt Stollenwerk. Ein Beispiel ist die optimale Verteilung der Flugzeuge auf die Gates von Flughäfen, für die Passagiere, die entweder starten, landen oder umsteigen. Dieses Problem lässt sich gut in ein QUBO übertragen, erklärt Stollenwerk. »Die D-Wave-Maschine kann genau diese eine Sache. Und die Hoffnung ist, dass sie diese Sache gut kann.«
»Ich habe noch keinen klassischen Algorithmus gesehen, der uns beim Problem des Verkehrsflusses in Sachen Geschwindigkeit das Wasser reichen kann«Florian Neukart
Einen weiteren Test plant das DLR bei der Verifikation von Satellitendaten. Zusammen mit Kollegen aus der Satellitennavigation will Stollenwerk untersuchen, ob sich fehlerhafte Telemetriedaten mit den D-Wave-Rechnern schneller herausfiltern lassen als mit klassischen Rechnern. »Man hat es da mit einem Machine-Learning-Problem zu tun. Ein Algorithmus soll lernen, abweichende Daten in einer Menge von Datenpunkten zu finden.« Im Moment prüfen die Forscher des DLR, ob sich dieses Problem sinnvoll auf ein QUBO übersetzen lässt, mit dem ein D-Wave-Quantencomputer etwas anfangen könnte.
Dass sich bestimmte Probleme, eben die genannten QUBO-Optimierungsprobleme, auf den D-Wave-Rechnern lösen lassen, ist nach den Erfahrungen von Neukart und Stollenwerk klar. Auch dass Quanteneffekte bei den Rechenvorgängen eine Rolle spielen, ist für beide hinreichend erwiesen. »Es gibt dazu einige Veröffentlichungen in ›Science‹ und ›Nature‹«, erklärt Florian Neukart. Dem kann Tobias Stollenwerk beipflichten: »Es gibt Untersuchungen von renommierten Fachleuten, in denen es definitiv danach aussieht.«
»Bei echten Problemen mit Anwendungspotenzial ist die höhere Geschwindigkeit aus meiner Sicht nicht so klar belegt«Tobias Stollenwerk
Ob sich mit den D-Wave-Quantencomputern schneller rechnen lässt als mit klassischen Hochleistungsrechnern, dazu äußert sich Stollenwerk vorsichtiger: »Das versuchen wir ja eben gerade herauszufinden.« Es gäbe einige Veröffentlichungen, die das zu zeigen scheinen. »Aber da hat man ›Benchmark-Probleme‹ gelöst, die speziell dazu entworfen sind, die Geschwindigkeit von Computern zu testen. Bei echten Problemen mit Anwendungspotenzial ist die höhere Geschwindigkeit aus meiner Sicht nicht so klar belegt.«
Bei einem hingegen schon, ist Florian Neukart überzeugt: »Das Problem des Verkehrsflusses ist ein Fall, der nahezu wie geschaffen ist für die Chips von D-Wave. Und ich habe noch keinen klassischen Algorithmus gesehen, der uns dort in Sachen Geschwindigkeit das Wasser reichen kann.«
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