Seuchen: Plagte die Pest uns schon in der Steinzeit?
Als Hochzeiten des Schwarzen Todes in Europa gelten das 6. Jahrhundert, als die Justinianische Pest wütete – und das Mittelalter, als die Bakterieninfektion ganze Landstriche entvölkerte. Doch die Seuche hat Europa tatsächlich noch viel früher erreicht und womöglich schon in der Jungsteinzeit ihre Opfer gefordert. Das schließen Simon Rasmussen von der Universität Kopenhagen und sein Team aus DNA-Funden des Pesterregers Yersinia pestis aus der Steinzeit, über die sie in »Cell« berichten. Die Wissenschaftler konnten DNA-Spuren an einem 4900 Jahre alten Skelett einer Frau aus Schweden nachweisen, nachdem sie in Gendatenbanken archäologischer Funde nach Sequenzen früher Peststämme gefahndet hatten.
Die Spuren stammten von einem bislang unbekannten Stamm des Erregers – er ist damit der älteste bekannte Pesterreger. Phylogenetische Untersuchungen zeigten zudem, dass er sehr nahe mit der Ursprungsform des Bakteriums verwandt sein muss. Dennoch wies er bereits alle wichtigen Genveränderungen auf, die die Seuche in Form der Lungenpest so gefährlich machten. Wahrscheinlich hatte sich dieser Stamm vor 5700 Jahren von seiner Urform abgespaltet und weiterentwickelt. Die Pestversion, die während der Bronzezeit umging, entstand hingegen vor 5300 Jahren, die Version des späteren »Schwarzen Tods« schließlich vor 5100 Jahren. Während der Steinzeit könnten also mehrere Stämme gleichzeitig zirkuliert sein.
Der Fund hat auch archäologische Konsequenzen. Vor 5000 bis 6000 Jahren zerfielen viele steinzeitliche Gemeinschaften im westlichen Eurasien; über die Ursachen wird noch diskutiert. Als eine Erklärung gilt die Zuwanderung eurasischer Steppenvölker, welche die einheimischen Siedler vertrieben oder durch eingeschleppte Krankheiten ihren Tod verursachten. Zum Todeszeitpunkt der Schwedin hatten diese Völker Skandinavien allerdings noch nicht erreicht: Die Krankheit muss also den Einwanderern vorausgeeilt sein – oder kam schon deutlich früher in Europa an.
Rasmussen und Co haben zudem eine weitere Quelle im Blick: die Großstädte der Cucuteni-Tripolje-Kultur im Südosten Europas und der Ukraine. In den nach damaligen Maßstäben großen Siedlungen lebten 10 000 bis 20 000 Menschen auf engem Raum mit ihren Nutztieren unter miserablen hygienischen Bedingungen – ein Schmelztiegel und Evolutionsmotor für Krankheitskeime. Vor 5400 Jahren endete ihre Blütezeit allerdings plötzlich, so dass sie womöglich an der wenige Jahrhunderte zuvor entstandenen Version des Pesterregers verstorben sein könnten. Die Zuwanderung aus Osten setzte Gendaten zufolge in der Region erst vor 4500 Jahren ein. »Unsere Daten würden passen«, so Rasmussen in einer Mitteilung: »Wenn sich die Pest in diesen Megasiedlungen entwickelt haben sollte und die Leute daran starben, dann wären die Siedlungen rasch aufgegeben und zerstört worden. Und exakt dies wurde vor 5500 Jahren beobachtet.« Über damalige Handelsrouten gelangte sie dann auch bis nach Schweden.
Noch ist das allerdings nur eine Hypothese. Bislang existiert kein bekanntes Pestopfer aus der Cucuteni-Tripolje-Kultur. Im nächsten Schritt soll danach gesucht werden – erst dann trägt Rasmussens Verdacht wirklich.
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