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Sex: Sensorisches Geheimnis von Penis und Klitoris gelüftet

Ohne sie steht nichts: Forscher haben bei Mäusen erstmals die Funktion von speziellen Rezeptoren beschrieben, die für Erektionen und sexuelle Stimulation wichtig sind.
Banane und Grapefruit vor rosafarbenem Hintergrund
Wenn wir über Penis und Klitoris doch nur so gut Bescheid wüssten wie über Banane und Grapefruit.

Penis und Klitoris enthalten speziellen Nervenzellen, die durch Vibration aktiviert werden. Sie könnten eine zentrale Triebfeder für Erektionen sein, wie eine Studie an Mäusen demonstrierte. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Behandlung von Krankheiten wie Erektionsstörungen zu verbessern und die sexuelle Funktion bei Menschen mit Lähmungen im unteren Körperbereich wieder herzustellen.

Krause-Körperchen – Nervenenden in eng umhüllten Kugeln, die sich direkt unter der Haut befinden – wurden erstmals vor mehr als 150 Jahren in den menschlichen Genitalien entdeckt. Die Strukturen ähneln den Mechanorezeptoren an Fingern und Händen, die durch Berührungen aktiviert werden und ebenfalls auf Vibrationen reagieren, wenn die Haut über eine strukturierte Oberfläche gleitet.

Wie die Körperchen im Genitalbereich arbeiten – und welche Rolle sie beim Sex spielen – ist bislang jedoch kaum erforscht, vermutlich weil das Thema manchmal immer noch als Tabu gilt. »Es war schwierig, Leute dazu zu bringen, sich mit diesem Thema zu befassen«, berichtet David Ginty, Neurobiologe an der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, der das Team leitete, das die Untersuchungen durchführte. Ginty und andere Sinnesbiologen wollten diese geheimnisvollen Neuronenbälle schon lange untersuchen. Doch lange Zeit war es unmöglich, spezifische Neurone aufzuspüren und zu aktivieren, bis in den vergangenen 20 Jahren neue molekulare Techniken entwickelt wurden.

Die richtigen Schwingungen

Ginty und seine Mitarbeiter aktivierten die Krause-Körperchen von männlichen und weiblichen Mäusen mit verschiedenen mechanischen und elektrischen Reizen. Die Neurone feuerten als Reaktion auf niederfrequente Vibrationen im Bereich von 40 bis 80 Hertz – Frequenzen, die auch von vielen Sexspielzeugen verwendet werden, wie Ginty bemerkt. Es scheint, als hätten Menschen schon vor den Experimenten erkannt, dass dies der beste Weg ist, um die Krause-Körperchen zu stimulieren.

Die Forscher, die ihre Ergebnisse bereits im vergangenen Jahr auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlichten, fanden auch heraus, dass die Genitalien von männlichen und weiblichen Mäusen etwa die gleiche Anzahl an Krause-Körperchen enthalten. Sie verteilen sich während des Wachstums der Organe im Lauf der Entwicklung räumlich. Allerdings sind die Rezeptoren auf der Klitoris 15-mal so dicht angeordnet wie auf dem Penis, einfach weil sie kleiner ist. »Auf der Klitoris liegen die Krause-Körperchen praktisch Wand an Wand«, erklärt Ginty, »und wir glauben, dass jedes einzelne ein Vibrationsdetektor ist« – was erklären könnte, warum das Organ so empfindlich ist.

Gemacht für den Sex

Um herauszufinden, welche Rolle die speziellen Nervenenden beim Sex spielen, veränderte das Team Mäuse genetisch so, dass die Neurone der Krause-Körperchen immer dann aktiviert wurden, wenn sie einem Lichtblitz ausgesetzt waren. Diese Aktivierung löste bei den Männchen Erektionen und bei den Weibchen vaginale Kontraktionen aus. Mäuse, denen die Krause-Körperchen fehlten, konnten sich nicht normal paaren, was darauf hindeutet, dass diese Strukturen bei Nagern für den Sex notwendig sind.

Obwohl die meisten sensorischen Nervenzellen bereits vor der Geburt entstehen, stellten die Forscher fest, dass sich die Krause-Körperchen erst im Alter von vier bis sechs Wochen entwickelten – kurz bevor die Tiere die Geschlechtsreife erreichen. Laut Ginty untersucht das Team derzeit, ob Hormone im Sexualzyklus von weiblichen Mäusen die Funktion der Körperchen beeinflussen und wie sich diese spät ausreifenden neuronalen Strukturen mit dem Nervensystem des Körpers verbinden.

Bisher haben die Forscher herausgefunden, dass die Krause-Körperchen mit einer bestimmten sensorischen Region des Rückenmarks verbunden sind. Die Stimulierung dieser Region führte zu Erektionen und Kontraktionen in den Genitalien, selbst wenn die Verbindung des Rückenmarks zum Gehirn unterbrochen war. Das deutet darauf hin, dass sexuelle Reflexe automatisch ablaufen.

»Sex ist eine der wichtigsten Triebfedern für Verhalten und Evolution«Alexander Chesler, Biologe

Alexander Chesler vom National Center for Complementary and Integrative Health in Bethesda, Maryland, erklärt, die Studie ergänze eine Arbeit, die seine Gruppe 2023 veröffentlichte. Jene soll zeigen, dass ein berührungsempfindliches Protein in den Genitalien für eine erfolgreiche Paarung notwendig ist. »Sex ist ein grundlegender Bereich der Biologie und eine der wichtigsten Triebfedern für Verhalten und Evolution«, sagt der Biologe. Er hofft, dass die weitere Erforschung dieser Nervenzellen die Behandlung von erektiler Dysfunktion und Vaginalschmerzen verbessert.

Ginty und seine Mitarbeiter wollen nun weitere Aspekte der Krause-Körperchen untersuchen, zum Beispiel ob die Neurone die Empfindung von Lust im Gehirn auslösen und ob sie ihre Empfindlichkeit mit zunehmendem Alter beibehalten.

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  • Quellen
Qi, L. et al.: Krause corpuscles are genital vibrotactile sensors for sexual behaviours. Nature 10.1038/s41586–024–07528–4, 2024

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