Das aktuelle Stichwort: Sibirische Kälte
Dauerfrost und Minusgrade weit unter der Nulllinie lassen Deutschland und vor allem Osteuropa zittern: Menschen erfrieren, Wasserleitungen platzen, und der Verkehr kommt mitunter zum Erliegen. Ist aber dieser Wintereinbruch schon außergewöhnlich? Und widerspricht das nicht dem Klimawandel mit seinen angeblich steigenden Temperaturen?
Väterchen Frost regiert mit eiserner Faust: In Polen erfroren allein während der letzten beiden Tage und Nächte mehr als zwanzig Menschen, im gesamten Winter sind es schon 150 Tote. Auch in Deutschland gab es in der Nacht zu Montag vier Kälteopfer. In Russland sitzen 12 000 Menschen in einem Moskauer Vorort bei minus 22 Grad Celsius in ihren ausgekühlten Wohnungen, weil eine Fernwärmeleitung geplatzt ist. Und wiederum in Polen fiel in Teilen Oberschlesiens der Nahverkehr aus, weil das Benzin in den Tanks der Busse gefror und die Elektronik der Straßenbahnen versagte. Die Kältewelle erreichte mittlerweile neben Deutschland auch Österreich, Ungarn, Frankreich und Griechenland.
Mindestens bis Dienstag soll uns das sehr kalte Winterwetter auch noch erhalten bleiben. Für weite Teile Ostdeutschlands, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und Bayerns gibt der Deutsche Wetterdienst sogar eine Warnung vor weiterhin sehr tiefen Temperaturen aus. Schuld daran ist das Hoch "Claus", das lagestabil über Mitteleuropa verbleibt und sich dabei wie alle Hochdruckgebiete auf der Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn dreht. Deshalb führt Claus nun – sein Zentrum befindet sich über Polen – sehr kalte Luft aus Osteuropa und Sibirien nach Westen und damit mitten hinein nach Deutschland: In seinem unmittelbaren Einflussbereich können die Temperaturen bisweilen nachts unter minus 20 Grad Celsius sinken.
Doch das sind keine außergewöhnlichen Ereignisse für Mittel- und Osteuropa: In fast jedem Winter kann es hier zu starkem Hochdruckeinfluss verbunden mit eisigen Minusgraden kommen. Diese Kältehochs entstehen in Osteuropa oder Russland, wo sich – auch bedingt durch die langen Nächte – die Luft im Winter über den großen kontinentalen Landmassen stark abkühlt und dabei absinkt. Dadurch kommt es zu einem Luftdruckanstieg in Bodennähe bei gleichzeitig fallenden Temperaturen. In der mittleren und oberen Troposphäre werden die Luftmassen dagegen von einem Tiefdruckgebiet mit relativ wärmerer Luft überlagert, sodass sich stabile Wetterverhältnisse bilden. Dauerhafte Kältehochs entstehen jeden Winter im fernöstlichen Sibirien – der am weitesten vom Meer entfernten Landmasse der Erde. Hier wurden die bislang tiefsten Temperaturen außerhalb der Antarktis gemessen: minus 72,0 Grad Celsius in Oimjakon.
Wie oft aber Kältehochs aus den weiter westlich liegenden Regionen Russlands bis nach Deutschland vordringen, hängt mit der so genannten Nordatlantischen Oszillation (NOA) zusammen. Sie bezeichnet die Luftdruckunterschiede zwischen Islandtief und Azorenhoch und kann zwei Extreme umfassen. Ist die Differenz zwischen beiden besonders hoch, dann verstärken sich Westwindwetterlagen, und Mitteleuropa wird von vielen Tiefdruckgebieten erreicht (positive NOA-Bedingungen). Die Folge: warme und nasse Winter. Umgekehrt verhält es sich dagegen bei relativ geringen Unterschieden zwischen beiden Drucksystemen. Dann ziehen die Sturmtiefs auf einer südlichen Bahn in den Mittelmeerraum, während kältere und trockene Luft leichter nach Mittel- und Westeuropa vordringen und sich festsetzen kann (negative NOA-Bedingungen).
In den letzten Jahren beobachten Wissenschaftler einen zunehmenden Trend zu positiven NOA-Bedingungen, weshalb als Folge mehr milde und feuchte Winter zu verzeichnen waren als etwa in den 1950er und 1960er Jahren, wo es eine ganze Reihe eisiger Winter gab. Deshalb sind die gegenwärtigen "Rekord"-Temperaturen in Deutschland eigentlich gar nicht so rekordverdächtig. So liegt die diesjährige Bestmarke für den kältesten Ort der Republik, Ueckermünde, bei minus 23,0 Grad. Am 19. Januar 1963 lagen sie dort jedoch mit minus 26,9 Grad nochmals deutlich darunter. Und im Winter 1996/97 verzeichnete Mannheim mit 26 Tagen die längste ununterbrochene Frostperiode seit Beginn der Aufzeichnungen 1936, zur gleichen Zeit fielen die Temperaturen in Straubing nächtens auf minus 28 Grad.
Am absoluten Kältepol Deutschlands – dem Funtensee im Nationalpark Berchtesgadener Land – können die Temperaturen sogar auf Werte jenseits der vierzig Grad unter Null sinken (am 24. Dezember 2001 waren es hier minus 45,9 Grad Celsius). Diese wahrlich frostigen Verhältnisse beruhen jedoch auf dem besonderen Standort der Wetterstation, denn sie steht in einer Mulde auf 1600 Meter Höhe. Da kalte Luft schwerer ist als warme, sinkt sie auch in den Bergen ab, sodass es in Tallagen durchaus kälter sein kann als auf den umliegenden Höhenzügen. In der Mulde sammelt sich also extrem kalte Luft, und die ließe sogar das Quecksilber im Thermometer in klaren Winternächten fest werden, denn sein Schmelzpunkt liegt erst bei minus 39 Grad Celsius.
Nun stellen sich aber wahrscheinlich viele die Frage, warum es winters dennoch so kalt wird, obwohl der Klimawandel doch eigentlich eine Temperaturerhöhung herbeiführen soll. Unterschieden werden muss hier zwischen den beiden Begriffen "Klima" und "Wetter", denn das Wetter beschreibt nur den momentanen Zustand der Atmosphäre über einem beliebigen Ort, während das Klima den längerfristigen Trend beschreibt: Es ist der Durchschnitt aller Parameter wie Temperatur und Niederschlag über eine mindestens 30-jährige Messperiode.
Die momentane Kältewelle ist folglich nur ein Wetterereignis, die langfristigen Trends sprechen dagegen tatsächlich für zunehmend mildere und feuchtere Winter in Europa. So waren nach Aufzeichnungen des deutschen Wetterdienstes die meisten Winter seit 1985 eher zu warm, und seit 1999 lagen fast alle Monate über den langjährigen Durchschnittstemperaturen. Inwiefern die gegenwärtige Tendenz zu positiven NOA-Bedingungen mit dem Klimawandel zusammenhängt, darüber streitet die Klimaforscherzunft allerdings noch.
Zweiflern des Klimawandels, die auf den momentanen Frosts als Gegenargument der globalen Erderwärmung weisen, könnten auf der anderen Seite die gegenwärtigen Rekordtemperaturen auf Spitzbergen entgegengehalten werden. Dort wurden letzte Woche 6,5 Grad plus vermeldet, mehr als zwei Grad über dem bisherigen Januar-Höchststand und deutlich mehr als die üblichen minus 12 Grad Celsius. Schuld hat dasselbe Hoch, das Osteuropa einfrieren lässt: Während seine Südostseite arktische Luft nach Russland fließen lässt, strömt entlang der Nordwestseite eine milde Atlantikbrise in Richtung Nordpolarmeer.
Ein Beleg für den Klimawandel ist natürlich auch dieses Wetterereignis nicht, aber es passt immerhin besser zum Trend der vergangenen Jahrzehnte: Seit zwanzig Jahren steigen die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell wie im Rest der Welt.
Mindestens bis Dienstag soll uns das sehr kalte Winterwetter auch noch erhalten bleiben. Für weite Teile Ostdeutschlands, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und Bayerns gibt der Deutsche Wetterdienst sogar eine Warnung vor weiterhin sehr tiefen Temperaturen aus. Schuld daran ist das Hoch "Claus", das lagestabil über Mitteleuropa verbleibt und sich dabei wie alle Hochdruckgebiete auf der Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn dreht. Deshalb führt Claus nun – sein Zentrum befindet sich über Polen – sehr kalte Luft aus Osteuropa und Sibirien nach Westen und damit mitten hinein nach Deutschland: In seinem unmittelbaren Einflussbereich können die Temperaturen bisweilen nachts unter minus 20 Grad Celsius sinken.
Doch das sind keine außergewöhnlichen Ereignisse für Mittel- und Osteuropa: In fast jedem Winter kann es hier zu starkem Hochdruckeinfluss verbunden mit eisigen Minusgraden kommen. Diese Kältehochs entstehen in Osteuropa oder Russland, wo sich – auch bedingt durch die langen Nächte – die Luft im Winter über den großen kontinentalen Landmassen stark abkühlt und dabei absinkt. Dadurch kommt es zu einem Luftdruckanstieg in Bodennähe bei gleichzeitig fallenden Temperaturen. In der mittleren und oberen Troposphäre werden die Luftmassen dagegen von einem Tiefdruckgebiet mit relativ wärmerer Luft überlagert, sodass sich stabile Wetterverhältnisse bilden. Dauerhafte Kältehochs entstehen jeden Winter im fernöstlichen Sibirien – der am weitesten vom Meer entfernten Landmasse der Erde. Hier wurden die bislang tiefsten Temperaturen außerhalb der Antarktis gemessen: minus 72,0 Grad Celsius in Oimjakon.
Wie oft aber Kältehochs aus den weiter westlich liegenden Regionen Russlands bis nach Deutschland vordringen, hängt mit der so genannten Nordatlantischen Oszillation (NOA) zusammen. Sie bezeichnet die Luftdruckunterschiede zwischen Islandtief und Azorenhoch und kann zwei Extreme umfassen. Ist die Differenz zwischen beiden besonders hoch, dann verstärken sich Westwindwetterlagen, und Mitteleuropa wird von vielen Tiefdruckgebieten erreicht (positive NOA-Bedingungen). Die Folge: warme und nasse Winter. Umgekehrt verhält es sich dagegen bei relativ geringen Unterschieden zwischen beiden Drucksystemen. Dann ziehen die Sturmtiefs auf einer südlichen Bahn in den Mittelmeerraum, während kältere und trockene Luft leichter nach Mittel- und Westeuropa vordringen und sich festsetzen kann (negative NOA-Bedingungen).
In den letzten Jahren beobachten Wissenschaftler einen zunehmenden Trend zu positiven NOA-Bedingungen, weshalb als Folge mehr milde und feuchte Winter zu verzeichnen waren als etwa in den 1950er und 1960er Jahren, wo es eine ganze Reihe eisiger Winter gab. Deshalb sind die gegenwärtigen "Rekord"-Temperaturen in Deutschland eigentlich gar nicht so rekordverdächtig. So liegt die diesjährige Bestmarke für den kältesten Ort der Republik, Ueckermünde, bei minus 23,0 Grad. Am 19. Januar 1963 lagen sie dort jedoch mit minus 26,9 Grad nochmals deutlich darunter. Und im Winter 1996/97 verzeichnete Mannheim mit 26 Tagen die längste ununterbrochene Frostperiode seit Beginn der Aufzeichnungen 1936, zur gleichen Zeit fielen die Temperaturen in Straubing nächtens auf minus 28 Grad.
Am absoluten Kältepol Deutschlands – dem Funtensee im Nationalpark Berchtesgadener Land – können die Temperaturen sogar auf Werte jenseits der vierzig Grad unter Null sinken (am 24. Dezember 2001 waren es hier minus 45,9 Grad Celsius). Diese wahrlich frostigen Verhältnisse beruhen jedoch auf dem besonderen Standort der Wetterstation, denn sie steht in einer Mulde auf 1600 Meter Höhe. Da kalte Luft schwerer ist als warme, sinkt sie auch in den Bergen ab, sodass es in Tallagen durchaus kälter sein kann als auf den umliegenden Höhenzügen. In der Mulde sammelt sich also extrem kalte Luft, und die ließe sogar das Quecksilber im Thermometer in klaren Winternächten fest werden, denn sein Schmelzpunkt liegt erst bei minus 39 Grad Celsius.
Nun stellen sich aber wahrscheinlich viele die Frage, warum es winters dennoch so kalt wird, obwohl der Klimawandel doch eigentlich eine Temperaturerhöhung herbeiführen soll. Unterschieden werden muss hier zwischen den beiden Begriffen "Klima" und "Wetter", denn das Wetter beschreibt nur den momentanen Zustand der Atmosphäre über einem beliebigen Ort, während das Klima den längerfristigen Trend beschreibt: Es ist der Durchschnitt aller Parameter wie Temperatur und Niederschlag über eine mindestens 30-jährige Messperiode.
Die momentane Kältewelle ist folglich nur ein Wetterereignis, die langfristigen Trends sprechen dagegen tatsächlich für zunehmend mildere und feuchtere Winter in Europa. So waren nach Aufzeichnungen des deutschen Wetterdienstes die meisten Winter seit 1985 eher zu warm, und seit 1999 lagen fast alle Monate über den langjährigen Durchschnittstemperaturen. Inwiefern die gegenwärtige Tendenz zu positiven NOA-Bedingungen mit dem Klimawandel zusammenhängt, darüber streitet die Klimaforscherzunft allerdings noch.
Zweiflern des Klimawandels, die auf den momentanen Frosts als Gegenargument der globalen Erderwärmung weisen, könnten auf der anderen Seite die gegenwärtigen Rekordtemperaturen auf Spitzbergen entgegengehalten werden. Dort wurden letzte Woche 6,5 Grad plus vermeldet, mehr als zwei Grad über dem bisherigen Januar-Höchststand und deutlich mehr als die üblichen minus 12 Grad Celsius. Schuld hat dasselbe Hoch, das Osteuropa einfrieren lässt: Während seine Südostseite arktische Luft nach Russland fließen lässt, strömt entlang der Nordwestseite eine milde Atlantikbrise in Richtung Nordpolarmeer.
Ein Beleg für den Klimawandel ist natürlich auch dieses Wetterereignis nicht, aber es passt immerhin besser zum Trend der vergangenen Jahrzehnte: Seit zwanzig Jahren steigen die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell wie im Rest der Welt.
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