News: Sich auseinander lieben
Treffen sich nun, einige Generationen später, die Nachkommen der ursprünglich einmal artgleichen Subpopulationen, dann haben sie möglicherweise bereits so stark voneinander abweichende Merkmale entwickelt, dass sie sich gar nicht mehr miteinander fortpflanzen können. Zwei Arten wären entstanden – man spricht von geografischer Speziation. Ein Vorgang, der im Laufe der Evolution mehrfach abgelaufen sein dürfte und von dem einige Beispiele bereits den Weg in Lehrbücher gefunden haben.
Weniger anschaulich erscheint dagegen der Grund für eine Speziation aus einer Population heraus, deren Mitglieder friedlich in ein und demselben Gebiet zusammenleben – ohne dass also eine räumliche Barriere einer andauernden Vermischung der Erbanlagen entgegenwirken würde. Genau so einen Fall haben nun Cristina Sandoval von der University of California in Santa Barbara sowie Patrik Nosil und Bernard Crespi von der Simon Frasier University näher untersucht.
Sie nahmen verschiedene Formen von Timema christinae, einer kleinen amerikanischen Stabschreckenart, unter die Lupe. Die flügellosen, pflanzenfressenden Stabschrecken sind Meister der Tarnung: Ihr Körperbau ähnelt oft Blättern oder Zweigen, um sich vor ihren Fressfeinden zu verbergen.
Timema christinae, eine der kleinsten Stabschrecken überhaupt, hat sich im Laufe ihrer Entwicklung zudem zu Tarnzwecken in Muster und Farbe ihrer bevorzugten Wirtspflanze angeglichen: Gefunden werden zwei verschiedene, genetisch bedingte Farbvarianten. Formen mit deutlichem Streifenmuster findet man dabei häufig auf dem Rosengewächs Adenostoma fasciculatum, der Chemise. Ungestreifte Vertreter sind dagegen meist auf Ceanothus spinosus zu beobachten. Um zwei verschiedene Arten handelt es sich dabei nicht – noch nicht.
Zwischen den Vertretern beider Farbvarianten entdeckten die Wissenschaftler nämlich nun Hinweise auf eine sich entwickelnde Artbildung – deutlich wurde dies am Sexualverhalten der Insekten. In Reihenversuchen ließen sie Hunderte einzelner Stabschrecken beider Mustervarianten in kleinen sexuellen Versuchsarenen aufeinander los. Unter den neugierigen Augen der Forscher zeichneten sich dabei eindeutige sexuelle Vorlieben ab: Die Vertreter einer Couleur kopulierten deutlich seltener mit abweichend- als mit gleichgemusterten Vertretern des anderen Geschlechts.
Dieses wählerisches Sexualverhalten macht, so die Forscher, biologischen Sinn, denn gemischtfarbiger Nachwuchs hätte in freier Wildbahn vermutlich schlechte Karten. Individuen auf einer Wirtspflanze, an deren Farbzusammenstellung sie nicht optimal angepasst sind, werden schließlich häufiger von ihren Fressfeinden entdeckt – und verspeist. Demzufolge sind, so die Forscher, solche mangelhaft getarnten Individuen dort auch seltener fortpflanzungsbereit anzutreffen, was wiederum dazu führt, dass eine sexuelle Vermischung zwischen den verschiedenen Farbvariationen auch seltener erfolgt.
Falls "es" doch einmal passiert, so wird der gemischtfarbige Nachwuchs erneut weniger gut getarnt sein – auch seine Lebenserwartung ist niedriger und damit seine Hoffnung, die eigenen Mischgene an die Nachkommenschaft zu vererben.
Letzten Endes, so Sandoval, Crespl und Nosil, führt dies dazu, dass die zwei verschiedenen Varianten genetischer Ausstattung sich unvermischt solange auseinander entwickeln werden, bis zwei echte, eigenständige Arten entstanden sind, die sich überhaupt nicht mehr untereinander fortpflanzen können – eine Artbildung nicht durch geografische, sondern sexuelle Isolation.
Nur ein weiteres gut belegtes Beispiel , so die Forscher, gäbe es bislang für diese Art der Artbildung aus lieblos nebeneinander her lebenden Formen – bei einem der Lieblings-Versuchstiere der Verhaltensforscher, dem Stichling.
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