Sicher helfen: Wie hilft man bei einer Amputationsverletzung?
Achtung: Dieser Text bietet lediglich einen Überblick über Erste-Hilfe-Maßnahmen. Er ersetzt keinen Erste-Hilfe-Kurs. Kursangebote bieten unter anderem das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser, die Johanniter, der Arbeiter-Samariter-Bund und auch viele private Ausbildungsstellen in ganz Deutschland an.
Sie besuchen Ihre Eltern. Ihr Vater befindet sich im Keller, wo er eine Hobby-Werkstatt eingerichtet hat. Gerade bearbeitet er ein Stück Holz mit einer Handkreissäge, als Sie den Raum betreten. Er schaut auf und begrüßt Sie, schreit dann aber plötzlich auf und hält sich die blutende Hand. Ein Teil des Zeigefingers fehlt.
Was ist los?
Ihrem Vater wurde ein Stück seines Fingers abgetrennt. Solche Amputationsverletzungen sind eher selten: Pro Jahr sind rund 5000 Menschen in Deutschland betroffen, zumeist Männer zwischen 20 und 40 Jahren. Größtenteils werden die obere Extremität und insbesondere die Finger verletzt. Ursachen können Schnittverletzungen, Quetschungen oder Ausrissverletzungen sein. Man unterscheidet totale Amputationsverletzungen, bei denen ein Körperteil komplett abgetrennt wird, und subtotale Verletzungen. Hierbei ist das Körperteil noch über eine Gewebebrücke mit dem restlichen Körper verbunden, wobei Knochen, Sehnen, Blutgefäße und Nerven durchtrennt sind.
Warum ist das gefährlich?
Eine Amputationsverletzung ist sehr schmerzhaft und geht mit starken Blutungen einher. Betroffene werden blass und ihnen wird vielleicht schwindelig. Verlieren sie in kurzer Zeit sehr viel Blut, droht ein Kreislaufschock: Die Atmung und der Herzschlag werden schneller, der Blutdruck fällt ab. Wenn das Gehirn zu wenig Sauerstoff bekommt, verliert man das Bewusstsein. Ohne rechtzeitige Behandlung versagen die Organe nach und nach. Bei Erwachsenen droht bei einem Verlust von einem Liter Blut Lebensgefahr, Kinder und Kleinkinder sind bereits bei erheblich geringeren Mengen gefährdet.
Wie kann man helfen?
Bevor man zur Tat schreitet, sollte man nach einem Unfall die eigene Sicherheit gewährleisten. Als Nächstes gilt es, die Blutung zu stillen. Während die betroffene Person sitzt oder liegt, presst man ein steriles Tuch oder ein anderes keimfreies Material auf die Wunde, notfalls nutzt man die eigene Hand. Dann hält man die verletzte Extremität hoch und legt einen Druckverband an. Die Extremitäten sollten zur Blutstillung aber möglichst nicht abgebunden werden. Nun informiert man den Notruf 112 und prüft Bewusstsein und Atmung: Ist die Person zwar bewusstlos, atmet aber normal, bringt man sie in eine stabile Seitenlage und kontrolliert regelmäßig ihre Atmung. Sollte sie nicht normal oder gar nicht atmen, beginnt man mit einer Herzdruckmassage.
Auch das Amputat muss versorgt werden: Hat man es gefunden, wickelt man das abgetrennte Körperteil in ein trockenes und möglichst keimfreies Tuch und verstaut es in einem Plastikbeutel. Diesen steckt man zur Kühlung wiederum in einen zweiten, mit kalter Flüssigkeit und ein paar Eiswürfeln gefüllten Beutel. Die Wassertemperatur sollte allerdings nicht unter vier Grad Celsius liegen. Andernfalls nimmt das Amputat durch die Kälte Schaden. Es sollte außerdem weder gewaschen noch gesäubert oder desinfiziert werden, weil das Gewebe sonst aufquellen kann. Inkomplette Amputationen kühlt man gar nicht, weil eine womöglich noch vorhandene Restdurchblutung durch die Kälte verringert werden würde. Stattdessen achtet man darauf, die Extremität ruhigzustellen. Hat die Person je nach Unfallhergang weitere Verletzungen wie Knochenbrüche erlitten, versorgt man diese ebenfalls. Bis der Rettungsdienst eintrifft, lagert man die verletzte Extremität hoch und hält den oder die Betroffene mit einer Jacke oder einer Rettungsdecke aus dem Erste-Hilfe-Set warm.
Wie geht es weiter?
Die eintreffenden Rettungskräfte behandeln zuerst die lebensbedrohlichen Zustände. Falls die Wunde noch blutet, stillen sie diese und legen einen Druckverband an. Subtotale Amputationen werden ruhiggestellt und geschient. Danach kümmern sich die professionellen Helfer um Kreislauf- oder Atembeschwerden und reanimieren bei einem Kreislaufstillstand. Sie verabreichen der verletzten Person Schmerzmittel und gegebenenfalls Flüssigkeit und bringen sie in ein geeignetes Krankenhaus.
Dort erhält sie bei starkem Blutverlust auch Bluttransfusionen. In der Klinik replantieren die Ärzte die abgetrennten Gliedmaßen. Das heißt, sie versuchen alle anatomischen Strukturen wie Gefäße, Nerven und Sehnen mikrochirurgisch wieder anzunähen und Knochen zu richten, um die Funktion der Gliedmaßen teilweise oder ganz wiederherzustellen. Voraussetzung dafür ist, dass das abgetrennte Gewebe in möglichst gutem Zustand ist und zwischen Unfall und Operation so wenig Zeit wie möglich vergangen ist. Abgetrennte Finger können in gekühltem Zustand bis zu 12 Stunden später replantiert werden, in Ausnahmefällen sogar noch bis zu 24 Stunden nach dem Unfall. Abgetrennte Hände kommen dagegen nur maximal sechs Stunden ohne Sauerstoffversorgung aus. Wenige Tage nach dem Eingriff beginnt die Physiotherapie, in der langsam Bewegungen trainiert werden, um die Funktion des Körperteils wiederherzustellen.
Gelingt der Eingriff nicht, werden die Betroffenen von Ärztinnen und Psychologen zunächst einmal darin unterstützt, den Verlust ihrer Gliedmaßen zu bewältigen. Im weiteren Verlauf lernen sie in der Physiotherapie, mit dem versehrten Körperteil umzugehen und es zu stärken. Eventuell stehen weitere chirurgische Eingriffe an, die die Funktion oder das Aussehen verbessern sollen, oder die Anpassung einer Prothese.
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