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Sicher helfen: Wie hilft man bei Pflanzenvergiftungen?

Die Bärlauchsaison ist gestartet, doch aufgepasst: Bärlauch hat giftige Doppelgänger! Wie man die Pflanzen unterscheidet und wann man den Notruf wählen muss, kurz erklärt.
Ein Korb im Wald gefüllt mit grünen Blättern, die wie Bärlauch aussehen
Eine wichtige Grundregel beim Sammeln von Wildpflanzen und Pilzen: Bestimmen Sie immer vor Ort. Sind verschiedene Pflanzen oder Pilze erst einmal im Korb gelandet, lassen sie sich womöglich nur noch schwer anhand bestimmter Merkmale wie dem Wuchs unterscheiden.

Achtung: Dieser Text bietet lediglich einen Überblick über Erste-Hilfe-Maßnahmen. Er ersetzt keinen Erste-Hilfe-Kurs. Kursangebote bieten unter anderem das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser, die Johanniter, der Arbeiter-Samariter-Bund und auch viele private Ausbildungsstellen in ganz Deutschland an.

Sie treffen sich mit einer Freundin. Sie war gestern zum ersten Mal Bärlauch sammeln und schenkt Ihnen ein Glas mit selbst gemachtem Bärlauchpesto. Sie selbst hat das Pesto bereits kurz zuvor mit Pasta zubereitet. Wenig später wird ihr übel und sie muss sich plötzlich übergeben.

Was ist los?

Die Freundin hat womöglich statt Bärlauch die Blätter einer Giftpflanze gesammelt und sich durch deren Verzehr vergiftet. Der zu den Lauchgewächsen zählende Bärlauch mit dem knoblauchartigen Geschmack wird gerne im Wald gesammelt. Seine Blätter können allerdings leicht mit denen zweier Giftpflanzen verwechselt werden, der Herbstzeitlosen und dem Maiglöckchen. Pflanzenvergiftungen zählen zu den häufigeren Vergiftungen: Zwischen 2011 und 2020 betrafen sie bei Erwachsenen 2,3 Prozent aller Anfragen an die Giftinformationszentren, bei Kindern sogar 15 Prozent. Damit stehen Pflanzen nach Arzneimitteln und Chemikalien an dritter Stelle, noch vor Pilzen. Wie schwer eine Vergiftung ist, hängt nicht nur von der aufgenommenen Menge des Giftes ab: Besonders gefährdet sind Kinder und Ältere oder Menschen mit Leber- oder Nierenstörungen.

Warum ist das gefährlich?

Maiglöckchen enthalten Glykoside, die ähnlich wirken wie bestimmte Herzmedikamente, die Digitalis-Glykoside. Wer die Pflanzenteile verzehrt, reagiert mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Das Gift reizt bei Kontakt Haut und Augen und kann Sehstörungen, Verwirrtheit und Blutdruckschwankungen verursachen. Dazu kommen gelegentlich potenziell lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen, die man vielleicht über einen unregelmäßigen oder verlangsamten Puls wahrnimmt. In hohen Dosen führt dies zu Bewusstlosigkeit und im Extremfall zum Herzstillstand. Weil das Gift vom Darm schlecht aufgenommen und von der Niere zügig ausgeschieden wird, verläuft die Vergiftung allerdings selten tödlich.

In Herbstzeitlosen findet sich das Zellgift Colchicin. In geringen Mengen wirkt die Substanz entzündungshemmend und schmerzstillend und wird zur Behandlung von Erkrankungen wie akuten Gichtanfällen eingesetzt. In höheren Dosen kann es nach zwei bis fünf Stunden ein Brennen im Hals und Mundbereich, Fieber und Beschwerden des Magen-Darm-Traktes wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall verursachen. Je nach eingenommener Dosis funktionieren verschiedene Organe wie Leber, Niere oder Knochenmark nach 24 bis 72 Stunden nur noch eingeschränkt oder sie versagen. Im schlimmsten Fall kommt es zum tödlichen Atemstillstand. Immer wieder sterben Menschen nach dem Verzehr der Pflanze.

Giftige Doppelgänger | Die Blätter von Bärlauch, Maiglöckchen und Herbstzeitlosen (von links nach rechts) sehen sich auf den ersten Blick sehr ähnlich, lassen sich jedoch anhand bestimmter Merkmale gut voneinander unterscheiden.

Bärlauch erkennen

Bärlauch findet sich von März bis Juni in Laubwäldern oder an Bachufern. Jedes eher zarte Blatt wächst direkt aus dem Boden an einem eigenen Stängel, der im Querschnitt dreieckig ist. Die Blattunterseite ist matt. Bärlauch blüht von April bis Mai, wobei die Blüten kugelig zusammenstehen und aus mehreren sternförmigen Einzelblüten mit sechs weißen Kronblättern bestehen. Der charakteristische Knoblauchgeruch ist äußerst nützlich, um das schmackhafte Gewächs von seinen giftigen Doppelgängern zu unterscheiden. Dazu zerreibt man die Blätter zwischen den Fingern. Der Geruchstest funktioniert allerdings nur ein paar Mal. Danach bleibt der Duft hartnäckig an den Fingern haften, so dass man geruchlose Blätter nicht mehr sicher erkennen kann.

Maiglöckchen haben festere, geruchsneutrale Blätter mit glänzenden Blattunterseiten. An jedem Stiel wachsen zwei bis drei Blätter. Zwischen Mai bis Juni besitzen Maiglöckchen glockenförmige Blüten, aus denen im Hochsommer rote, giftige Beeren entstehen.

Herbstzeitlose blühen im Herbst violett. Ihren Blättern fehlt sowohl der Geruch als auch der Stiel: Mehrere feste Blätter wachsen direkt aus dem Boden aus einer Rosette.

Wie kann man helfen?

Grundsätzlich gilt: Hat man Zweifel, ob die gesammelten Blätter von einer Bärlauchpflanze stammen, sollte man sie nicht essen! Hat jemand kleine Mengen ihrer giftigen Doppelgänger verzehrt, bewahrt man Ruhe und sorgt dafür, dass niemand sonst weitere Blätter isst. Wer Maiglöckchenblätter angefasst hat, sollte sich gründlich die Hände waschen und nach Augenkontakt sofort eine Augendusche durchführen. Ist die Person wach und ansprechbar, gibt man ihr Wasser zu trinken, löst ohne ärztliche Anweisung aber kein Erbrechen aus. Dann kontaktiert man am besten die Giftinformationszentrale. Diese erläutert das weitere Vorgehen, wie etwa, ob man sich zum Arzt oder in ein Krankenhaus begeben soll. Dorthin nimmt man am besten ein paar der giftigen Blätter mit, um sie sicher identifizieren zu lassen.

Hat die Person starke Vergiftungserscheinungen wie Herzrhythmusstörungen oder ist sie bewusstlos, ruft man den Notruf 112. Eine bewusstlose Person mit normaler Atmung bringt man in die stabile Seitenlage. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte achtet man immer wieder auf Atmung und Bewusstsein. Atmet sie nicht normal, führt man sofort Wiederbelebungsmaßnahmen durch.

Sicher helfen

Erste Hilfe rettet Leben. Wenn jemand in eine medizinische Notsituation gerät, sind wir deshalb alle verpflichtet, zu helfen. Trotzdem zögern viele Menschen im Ernstfall, oft aus Angst vor Fehlern. Diese Unsicherheit muss aber nicht bleiben. In unserer Serie »Sicher helfen« erklären wir, was im Notfall zu tun ist: Wie erkennt man eine Vergiftung? Welche Informationen braucht der Notruf? Und wann muss man reanimieren?

Wie geht es weiter?

Wurden Rettungskräfte gerufen, sichern sie nach ihrer Ankunft zunächst Atmung und Kreislauffunktionen der vergifteten Person. Gegebenenfalls leiten sie nach Rücksprache mit dem Giftinformationszentrum eventuell bereits vor Ort eine Therapie zur Beseitigung des Giftes ein. Dann transportieren sie die Person ins Krankenhaus. Dort kontrollieren die Mediziner über einen Monitor Atmung, Puls, Temperatur und Blutdruck, nehmen Blut- und Urinproben und geben bei Bedarf Sauerstoff. Bei einer Vergiftung mit Pflanzen verabreichen die Ärztinnen und Ärzte in der Regel wiederholt Aktivkohle als Tablette oder Pulver, um das Gift zu binden und zu neutralisieren. Alternativ führen sie im Einzelfall eine Magenspülung durch. Außerdem verordnen sie je nach Beschwerden Medikamente gegen Übelkeit oder Schmerzen und versorgen die Person bei Erbrechen oder Durchfall mit Flüssigkeit über die Vene.

Hat die Person Maiglöckchen gegessen, messen die Ärzte ihre Herzaktivität in der Elektrokardiografie (EKG) und behandeln auftretende Herzrhythmusstörungen medikamentös oder mit einem vorübergehenden Schrittmacher. Außerdem kontrollieren sie den Salzhaushalt im Blut und geben eventuell Kalium, das in erhöhter Konzentration die Wirkung des Giftes reduzieren soll. Bei einer schweren Vergiftung können sie einen Therapieversuch mit einem Gegengift unternehmen, das normalerweise bei einer Vergiftung mit Herzmedikamenten verabreicht wird. Ob es auch bei Maiglöckchenvergiftung wirkt, ist bislang aber nicht durch Studien belegt. Gegen das Gift der Herbstzeitlosen Colchicin gibt es kein Antidot; die Behandlung erfolgt rein symptomatisch und je nach betroffenem Organ unter Unterstützung der Nieren-, Lungen- oder Kreislauffunktion.

Giftnotrufzentralen in Deutschland

Je nach Bundesland sind verschiedene regionale Zentren zuständig, die unter folgenden Nummern telefonisch zu erreichen sind:
  • Berlin und Brandenburg: 030 19240
  • Nordrhein-Westfalen: 0228 19240
  • Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen: 0361 730730
  • Baden-Württemberg: 0761 19240
  • Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein: 0551 19240
  • Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland: 06131 19240
  • Bayern: 089 19240

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