Sicher helfen: Wie hilft man Personen mit Suizidgedanken?
Achtung: Dieser Text bietet lediglich einen Überblick über Erste-Hilfe-Maßnahmen. Er ersetzt keinen Erste-Hilfe-Kurs. Kursangebote bieten unter anderem das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser, die Johanniter, der Arbeiter-Samariter-Bund und auch viele private Ausbildungsstellen in ganz Deutschland an. Wer darüber hinaus lernen will, wie man mit Menschen in psychischen Krisen oder mit psychischen Erkrankungen umgeht, kann speziell darauf ausgelegte Erste-Hilfe-Kurse besuchen, genannt »Mental Health First Aid«. Diese Angebote können dazu beitragen, psychische Erkrankungen früher zu erkennen, zu verstehen und angemessen mit ihnen umzugehen.
Sicher helfen
Erste Hilfe rettet Leben. Wenn jemand in eine medizinische Notsituation gerät, sind wir deshalb alle verpflichtet, zu helfen. Trotzdem zögern viele Menschen im Ernstfall, oft aus Angst vor Fehlern. Diese Unsicherheit muss aber nicht bleiben. In unserer Serie »Sicher helfen« erklären wir, was im Notfall zu tun ist: Wie erkennt man eine Vergiftung? Welche Informationen braucht der Notruf? Und wann muss man reanimieren?
Sie treffen Ihren Bruder das erste Mal seit Wochen wieder auf einen Kaffee. Weil er in letzter Zeit kaum auf Ihre Nachrichten reagiert, machen Sie sich Sorgen. Als Sie ihn fragen, wie es ihm geht, erzählt er schließlich, dass er am liebsten für immer seine Ruhe haben will. Auf Ihre Nachfrage, ob er daran denkt, sich etwas anzutun, nickt er.
Was ist los?
Der Mann hat Suizidgedanken und ist suizidgefährdet. Im Jahr 2023 starben mehr als 10 300 Menschen in Deutschland durch einen Suizid, rund drei Viertel von ihnen waren Männer. Betroffen sind insbesondere ältere Menschen.
Einen Suizidversuch unternehmen allerdings rund 10- bis 15-mal mehr Menschen, darunter häufiger Frauen und jüngere Personen. Ein hohes Suizidrisiko tragen Personen mit psychischen Erkrankungen: 90 Prozent der Menschen, die durch Suizid sterben, waren zuvor psychisch erkrankt. Etwa 40 bis 70 Prozent aller Menschen mit Depressionen berichten über suizidale Gedanken, bis zu 15 Prozent derjenigen mit schweren wiederkehrenden Depressionen sterben durch Suizid. Auch eine bipolare Störung, eine Suchterkrankung, eine Schizophrenie oder eine Persönlichkeitsstörung sind Risikofaktoren. Die Gefahr steigt außerdem, wenn man selbst oder jemand aus der Familie oder dem näheren Umfeld schon einmal einen Suizid oder Suizidversuch unternommen hat. Auch Medienberichte über Suizide können suizidales Verhalten begünstigen. Erschwerend kommen schwierige Lebenssituationen wie lange Arbeitslosigkeit, eine Trennung, ein traumatisches Erlebnis oder der Tod eines Angehörigen hinzu.
Suizidalität kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein: Manche Menschen äußern den Wunsch nach Ruhe, andere haben einen Todeswunsch, ohne sich selbst etwas antun zu wollen. Wenn man darüber nachdenkt, sich zu töten, hat man Suizidgedanken. Von akuter Suizidalität sprechen Fachleute, wenn jemand neben Suizidgedanken konkrete Suizidpläne entwickelt und davon auszugehen ist, dass er diese ausführt. Dann besteht Lebensgefahr. Einige Betroffene haben dauerhaft oder immer wieder auftretende Suizidgedanken. Sie sind besonders gefährdet, durch einen Suizid zu sterben.
Auch ohne konkrete Pläne sind Suizidgedanken ein Warnsignal, das immer ernst genommen werden muss. Die Annahme, dass eine Person sich nichts antut, wenn sie über ihre Suizidgedanken spricht, ist falsch! Außerdem sollte man aufmerken, wenn sich jemand sozial zurückzieht, den Kontakt zu Familie und Freunden abbricht, das Interesse an Hobbys verliert, auf einmal Eigentum verschenkt, sich immer wieder hoffnungslos und pessimistisch äußert, sich selbst verletzt, Tabletten hortet oder sich eine Waffe besorgt.
Wie kann man helfen?
Berichten Freunde oder Familienangehörige davon, nicht mehr leben zu wollen, sollte man dies unbedingt ernst nehmen und der betreffenden Person zuhören. Vermutet man lediglich, dass jemand Suizidgedanken hat, sollte man ihn offen darauf ansprechen. Die meisten Betroffenen sind erleichtert, wenn sie über ihre Gedanken und Gefühle reden können. Im Gespräch sollte man möglichst ruhig und geduldig bleiben und gemeinsam überlegen, was die Person selbst tun oder wohin sie sich wenden kann. Nicht hilfreich sind Aufmunterungsversuche oder gar Kritik und Vorwürfe.
Ist die betroffene Person nicht akut gefährdet, sollte man sie dazu bewegen, sich professionelle Hilfe zu suchen. Dabei kann man beispielsweise gemeinsam mit ihr einen Therapeuten, die Ambulanz einer psychiatrischen Klinik oder eine Beratungsstelle aufsuchen. Auch telefonische oder Onlineangebote können entlasten und eine erste Orientierungshilfe bieten. Hat die Person bereits einen konkreten Suizidplan gefasst, den sie in der nahen Zukunft in die Tat umsetzen will, ruft man sofort den Rettungsdienst (112) oder fährt gemeinsam in die Notaufnahme einer psychiatrischen Klinik. Das gilt auch dann, wenn sich die Person scheinbar abrupt besser fühlt: Das könnte darauf hindeuten, dass sie die Entscheidung für den Suizid getroffen und mit dem Leben abgeschlossen hat. Im Zweifel sollte man sich immer professionelle Hilfe holen und die Person nicht allein lassen.
Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige
Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Not ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116 117.
Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 0800 – 1110111 und 0800 – 1110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 0800 – 1110333.
Werten Sie die Lage als Notfall, informieren Sie direkt den Rettungsdienst. Auch Angehörige sollten sich rechtzeitig Unterstützung bei einer Beratungsstelle oder Selbsthilfegruppe suchen, erst recht, wenn sie sich unsicher oder überfordert fühlen.
Wie geht es weiter?
Die Frage nach Suizidalität gehört zu jedem psychiatrischen Erstgespräch, auch wenn es sich nicht um einen Notfall handelt. Die Ärztin oder der Arzt führt ein ausführliches Gespräch mit der betroffenen Person und den Angehörigen. Wie die weitere Behandlung aussieht, also ob die Person umgehend stationär aufgenommen werden muss oder ob sie zunächst ambulant betreut werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab: Ist sie akut suizidgefährdet oder hat sie schon lange bestehende Suizidgedanken? Hat sich plötzlich etwas an der Schwere der Suizidalität geändert? Ist sie absprachefähig, das heißt: Kann die Person versprechen, sich nichts anzutun bis zum nächsten Gespräch, oder kann sie glaubhaft versichern, wieder ärztliche Hilfe zu suchen, wenn die Symptome schlimmer werden? Entscheidend ist auch, ob die Person ein unterstützendes soziales Umfeld oder Pläne für die Zukunft hat oder gläubig ist. Diese Aspekte können Halt bieten.
Nur wenn der Arzt oder die Ärztin sicher ist, dass sich die Person nicht selbst töten wird, kann sie in die ambulante Versorgung entlassen werden. Andernfalls wird sie stationär behandelt. Betroffene, die nach einem erfolgten Suizidversuch zunächst körperlich überwacht und behandelt werden, kommen im Anschluss auf eine psychiatrische Station.
In der Klinik erlernen die Betroffenen unter anderem Strategien, mit denen sie Anspannung abbauen und sich von Suizidgedanken lösen können. Außerdem werden aktuelle Probleme besprochen. Besteht eine psychiatrische Grunderkrankung, wird diese behandelt. Medikamente können akute Beschwerden wie starke Unruhe oder Schlafstörungen lindern. Ist die Notsituation bewältigt, liegt ein besonderes Augenmerk darauf, erneute suizidale Krisen zu vermeiden. Daher erarbeiten die Patienten mit ihrem Therapeuten einen Notfallplan für die Zeit nach der Entlassung mit Adressen und Telefonnummern, bei denen sie sich bei Bedarf melden sollen. Zudem sollten die Betroffenen engmaschig durch eine Psychiaterin oder einen Psychiater betreut werden und eine Psychotherapie beginnen.
Psychiatrische Notfälle
Eine psychische Krise kann durch ein belastendes Ereignis wie den Tod eines nahen Angehörigen ausgelöst werden oder als grundlegende Ursache eine psychische Erkrankung haben. Klassische Auslöser sind eine Alkoholvergiftung, Erregungszustände und Suizidalität. Aber auch Delir und Verwirrtheit, Angst und Panik, Anorexie, eine Manie oder psychotische Erkrankungen können zum Notfall werden. Manche Krisen lassen sich mit Hilfe von Angehörigen oder einer Vertrauensperson überwinden. Wichtig ist, dass man die Person nicht allein lässt in dieser schwierigen Zeit und ihr frühzeitig Gespräche und Unterstützung anbietet.
Spitzt sich die Krise zu, kann die Person in akute Lebensgefahr geraten oder eine Gefahr für andere darstellen. Dann müssen der Rettungsdienst oder die Polizei eingeschaltet werden. Rund 50 0000 Menschen werden jährlich auf Grund eines psychischen Notfalls durch einen Notarzt versorgt, 1,5 Millionen Menschen in einer Notaufnahme. Eine unmittelbare Behandlung ist notwendig, um die betroffene Person oder gegebenenfalls auch ihr Umfeld zu schützen. Die Situation zu erkennen und richtig einzuschätzen, ist jedoch oft schwierig.
Im Notfall muss die Person von einem Psychiater oder einer Psychiaterin betreut werden. Im Gespräch werden gezielt die bestehenden Beschwerden erfragt und ob der oder die Betroffene suizidal ist. Anhand der Beschwerden kann der Psychiater oder die Psychiaterin dann eine geeignete Behandlung einleiten. Zudem wird die Person körperlich untersucht. Außerdem erhält sie, sofern sie einverstanden ist, bei Bedarf Medikamente: beispielsweise Antipsychotika bei psychotischen Symptomen wie Halluzinationen oder beruhigende Medikamente bei starker Unruhe und Angstzuständen. In der Klinik weiterbehandelt werden Betroffene vor allem, wenn die Ursache für ihre Probleme unklar ist, sie ärztlich überwacht werden müssen oder die Gefahr besteht, dass sie sich oder anderen schaden.
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