Entdeckungsreisen: Sie fielen einfach um und starben
Mehr als 160 Jahre nach dem Untergang der legendären Franklin-Expedition machen sich kanadische Wissenschaftler auf die Suche nach den Schiffen der Arktisforscher. Den Schlüssel zum Erfolg könnten ihnen Berichte von Ureinwohnern über das schreckliche Ende der Verschollenen liefern.
Es war die größte Katastrophe in der Geschichte der Polarforschung: 1845 brach der englische Admiral John Franklin mit den Schiffen "Erebus" und "Terror" auf, um die legendäre Nordwest-Passage zu entdecken. Keiner der 129 Männer, die das gefährliche Gewirr aus Inseln und Packeis vor der Nordküste des amerikanischen Festlandes erreichten, sollte zurückkehren. Mehr als 160 Jahre nach dem Untergang der Expedition machen sich jetzt kanadische Forscher auf die Suche nach den Schiffen der Franklin-Expedition.
Wichtige Kartierungen in der Arktis
"Die englischen Suchexpeditionen leisteten Entscheidendes für die Kartografierung des Archipels", so Ryan Harris, Unterwasser-Archäologe in Diensten von "Parks Canada", einer der an der aktuellen Suche beteiligten Behörden. Harris und seine Kollegen konnten schon wenige Tage nach dem Start ihrer Expedition einen wichtigen Erfolg feiern: Jüngst meldeten sie die Entdeckung der "Investigator" – eines der Schiffe, die zur Suche nach Franklin aufgebrochen waren und das selbst vom Packeis eingeschlossen wurde. Während sich die Crew auf ein anderes Schiff retten konnte, blieb die "Investigator" verschollen – bis ihr die Forscher mit moderner Sonartechnik auf die Spur kamen.
Für die modernen Forscher sind die Erzählungen der Ureinwohner heute eine wichtige Quelle bei der Suche nach den Schiffen der Franklin-Expedition. Denn den Inuit jener Tage könnten die Schiffe eine gute Möglichkeit zur Versorgung mit Holz und Metall geboten haben, nachdem diese, im Eis eingeschlossen, von ihrer Besatzung aufgegeben worden waren. Und so begleitet mit Louis Kammokak ein Mann die Expedition, der sich mit den mündlichen Überlieferungen der Inuit bestens auskennt. Der Heimatforscher, dessen Ur-Urgroßvater einst selbst zu jenen Inuit gehörte, die Ausrüstungsgegenstände der Franklin-Expedition fanden, soll der Expedition Hinweise darauf geben, wo eine Suche mit dem Sonar die größten Erfolgschancen haben könnte.
Verzweifelter Überlebenskampf
Die Männer, die 1858 zu einer letzten Suche nach der Franklin-Expedition aufbrachen, konnten von solch moderner Technik nur träumen. Auf eigene Kosten hatte Lady Franklin noch eine Suchexpedition ausgerüstet, nachdem ihr Mann und seine Gefährten schon Jahre zuvor offiziell für tot erklärt worden waren. Die Crew um Kapitän Francis McClintock erkundete die Gegend um die trostlose King-William-Insel – ein Gebiet, das bei den Suchexpeditionen zuvor vernachlässigt worden war. Und hier, verborgen unter einem Steinhaufen, fanden sie tatsächlich zwei Nachrichten der Verschollenen – bis heute die einzigen schriftlichen Zeugnisse von Franklins verlorener Expedition.
Die zweite Nachricht, geschrieben an den Rand des Blattes, lässt die dramatische Lage der Männer im Eis erahnen. Datiert auf den 25. April 1848, berichtet Kapitän Francis Crozier, nach Franklin der ranghöchste Offizier der Expedition: "Terror und Erebus am 22. April 1848 fünf Meilen Nordnordwest von hier aufgegeben, im Eis gefangen seit dem 12. September 1846. Offiziere und Mannschaften, insgesamt 105 Seelen, gingen hier an Land. John Franklin starb am 11. Juni 1847, der Gesamtverlust der Expedition beträgt 9 Offiziere und 15 Mannschaften." Morgen, so schließt das Dokument, wolle man zum Great Fish River aufbrechen.
Offenbar plante die Crew den verzweifelten Versuch, über den Fluss mit seinen gefährlichen Stromschnellen menschliche Siedlungen zu erreichen. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt wohl schon katastrophalen Versorgungslage ein aussichtsloses Unterfangen. Hunger, Skorbut und wohl auch die schleichende Vergiftung durch bleiverseuchte Konservennahrung hatten die Mannschaft zu sehr geschwächt, um auch nur den Fußmarsch zur Flussmündung zu überstehen.
An anderer Stelle auf der Insel fanden McClintock und seine Männer Skelettteile, Kleidung und Ausrüstungsgegenstände, die keinen Zweifel über das Schicksal der letzten Überlebenden der Franklin-Expedition lassen. "Sie fielen einfach um und starben, während sie gingen", notierte McClintock in sein Tagebuch.
Unterwasserarchäologie und Geopolitik
Den Wissenschaftlern um Ryan Harris stellt sich nun die Aufgabe, den Ort der Katastrophe genau zu lokalisieren. Den Aufzeichnungen zufolge müssten die Schiffe seinerzeit an der Nordwestküste der King-William-Insel aufgegeben worden sein. Ob sie bereits dort vom Eis zerdrückt untergingen oder zuvor an eine andere Stelle drifteten, ist unklar.
Immerhin, die Rechte an der Hinterlassenschaft der Franklin-Expedition sind unumstritten. Zwar gehören die Schiffe nach wie vor der britischen Marine, doch hat Großbritannien schon vor Jahren die Nutzungsrechte an Kanada abgetreten. Sollten "Erebus" und "Terror" jemals geborgen werden, landen sie also in einem kanadischen Museum.
Dass Franklins verlorene Expedition bis heute ein Mythos geblieben ist, liegt auch an den Umständen, durch die das furchtbare Schicksal der Männer bekannt wurde. Denn nachdem "Erebus" und "Terror" wenige Monate nach dem Auslaufen von zwei Walfangschiffen noch einmal gesichtet wurden, verliert sich die Spur der Expedition für viele Jahre. Und dies, obwohl 1848 eine der größten Suchaktionen in der Geschichte der Seefahrt anlief. Eine Suche, die zunächst zwar keine Spuren von Franklins Expedition zutage förderte, die aber das Wissen über den kanadisch-arktischen Archipel erheblich erweiterte.
Wichtige Kartierungen in der Arktis
"Die englischen Suchexpeditionen leisteten Entscheidendes für die Kartografierung des Archipels", so Ryan Harris, Unterwasser-Archäologe in Diensten von "Parks Canada", einer der an der aktuellen Suche beteiligten Behörden. Harris und seine Kollegen konnten schon wenige Tage nach dem Start ihrer Expedition einen wichtigen Erfolg feiern: Jüngst meldeten sie die Entdeckung der "Investigator" – eines der Schiffe, die zur Suche nach Franklin aufgebrochen waren und das selbst vom Packeis eingeschlossen wurde. Während sich die Crew auf ein anderes Schiff retten konnte, blieb die "Investigator" verschollen – bis ihr die Forscher mit moderner Sonartechnik auf die Spur kamen.
Die "Investigator" gehörte zu den Dutzenden von Schiffen, die in den Jahren nach Franklins Verschwinden die Inselwelt vor der nordamerikanischen Arktisküste durchkämmten in der Hoffnung, Überlebende oder wenigstens Spuren der Verschollenen zu entdecken. Gefunden wurden zunächst nur drei Gräber auf der unwirtlichen Beechey-Insel, dazu ein paar Habseligkeiten, mühsam abgehandelt von umherziehenden Inuit. Die Ureinwohner waren es auch, die Geschichten vom großen Sterben im Eis erzählten, von Kannibalismus gar – eine Nachricht, welche die Heimat besonders aufwühlte: Dass zivilisierte Briten zu diesem letzten, verzweifelten Mittel gegen den Hunger gegriffen haben sollten, war der britischen Öffentlichkeit jener Tage nur schwer zu vermitteln.
Für die modernen Forscher sind die Erzählungen der Ureinwohner heute eine wichtige Quelle bei der Suche nach den Schiffen der Franklin-Expedition. Denn den Inuit jener Tage könnten die Schiffe eine gute Möglichkeit zur Versorgung mit Holz und Metall geboten haben, nachdem diese, im Eis eingeschlossen, von ihrer Besatzung aufgegeben worden waren. Und so begleitet mit Louis Kammokak ein Mann die Expedition, der sich mit den mündlichen Überlieferungen der Inuit bestens auskennt. Der Heimatforscher, dessen Ur-Urgroßvater einst selbst zu jenen Inuit gehörte, die Ausrüstungsgegenstände der Franklin-Expedition fanden, soll der Expedition Hinweise darauf geben, wo eine Suche mit dem Sonar die größten Erfolgschancen haben könnte.
Verzweifelter Überlebenskampf
Die Männer, die 1858 zu einer letzten Suche nach der Franklin-Expedition aufbrachen, konnten von solch moderner Technik nur träumen. Auf eigene Kosten hatte Lady Franklin noch eine Suchexpedition ausgerüstet, nachdem ihr Mann und seine Gefährten schon Jahre zuvor offiziell für tot erklärt worden waren. Die Crew um Kapitän Francis McClintock erkundete die Gegend um die trostlose King-William-Insel – ein Gebiet, das bei den Suchexpeditionen zuvor vernachlässigt worden war. Und hier, verborgen unter einem Steinhaufen, fanden sie tatsächlich zwei Nachrichten der Verschollenen – bis heute die einzigen schriftlichen Zeugnisse von Franklins verlorener Expedition.
Beide Nachrichten sind auf das gleiche Blatt geschrieben, ein herkömmliches Formblatt der Marine. Mit Datum vom 28. Mai 1847 berichtet Leutnant Graham Gore über die erste Phase der Expedition: Man habe noch im Jahr 1845 den Wellington Channel bis zum 77. Breitengrad erkundet und sei dann zum Überwintern nach Beechey Island zurückgekehrt. Am 12. September 1846 sei das Schiff vom Eis eingeschlossen worden. "All well", so das optimistisch klingende Ende der ersten Botschaft.
Die zweite Nachricht, geschrieben an den Rand des Blattes, lässt die dramatische Lage der Männer im Eis erahnen. Datiert auf den 25. April 1848, berichtet Kapitän Francis Crozier, nach Franklin der ranghöchste Offizier der Expedition: "Terror und Erebus am 22. April 1848 fünf Meilen Nordnordwest von hier aufgegeben, im Eis gefangen seit dem 12. September 1846. Offiziere und Mannschaften, insgesamt 105 Seelen, gingen hier an Land. John Franklin starb am 11. Juni 1847, der Gesamtverlust der Expedition beträgt 9 Offiziere und 15 Mannschaften." Morgen, so schließt das Dokument, wolle man zum Great Fish River aufbrechen.
Offenbar plante die Crew den verzweifelten Versuch, über den Fluss mit seinen gefährlichen Stromschnellen menschliche Siedlungen zu erreichen. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt wohl schon katastrophalen Versorgungslage ein aussichtsloses Unterfangen. Hunger, Skorbut und wohl auch die schleichende Vergiftung durch bleiverseuchte Konservennahrung hatten die Mannschaft zu sehr geschwächt, um auch nur den Fußmarsch zur Flussmündung zu überstehen.
An anderer Stelle auf der Insel fanden McClintock und seine Männer Skelettteile, Kleidung und Ausrüstungsgegenstände, die keinen Zweifel über das Schicksal der letzten Überlebenden der Franklin-Expedition lassen. "Sie fielen einfach um und starben, während sie gingen", notierte McClintock in sein Tagebuch.
Unterwasserarchäologie und Geopolitik
Den Wissenschaftlern um Ryan Harris stellt sich nun die Aufgabe, den Ort der Katastrophe genau zu lokalisieren. Den Aufzeichnungen zufolge müssten die Schiffe seinerzeit an der Nordwestküste der King-William-Insel aufgegeben worden sein. Ob sie bereits dort vom Eis zerdrückt untergingen oder zuvor an eine andere Stelle drifteten, ist unklar.
Bei ihrer Suche können die Forscher auf eine ganze Batterie von Hochleistungsgeräten zurückgreifen. Ihr Team ist Teil einer aufwändig angelegten Forschungsexpedition zur Vermessung des Meeresbodens, mit der Kanada seine Ansprüche auf die in dieser Gegend vermuteten Rohstoffe bekräftigen will. Auch die Konkurrenz ist vor Ort: Der Eisbrecher, der die Kanadier befördert, könnte im arktischen Eis einem Schiff begegnen, von dem aus US-Geologen die wirtschaftlichen Ansprüche ihres Landes wissenschaftlich zu untermauern suchen.
Immerhin, die Rechte an der Hinterlassenschaft der Franklin-Expedition sind unumstritten. Zwar gehören die Schiffe nach wie vor der britischen Marine, doch hat Großbritannien schon vor Jahren die Nutzungsrechte an Kanada abgetreten. Sollten "Erebus" und "Terror" jemals geborgen werden, landen sie also in einem kanadischen Museum.
© Handelsblatt
© Handelsblatt / Golem.de
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben