Ada Yonath: »Sie nannten mich eine Verrückte«
Rund 15 Jahre lang versuchte Ada E. Yonath, das Rätsel der Ribosomen zu entschlüsseln. Dabei glaubte nur eine Hand voll Menschen in dieser Zeit an ihre Vision: Die Israelin wollte die räumliche Struktur der Proteinfabriken aufklären und auf diese Weise dazu beitragen, dass wir den grundlegenden Prozess der Proteinentstehung im menschlichen Körper verstehen. Anfang 2000 gelang der damals 61-Jährigen schließlich der Durchbruch – obwohl viele Wissenschaftler ihr Scheitern vorausgesagt hatten. Diese Stimmen verstummen jedoch nachhaltig, als sie 2009, im Alter von 70 Jahren, den Nobelpreis für Chemie erhielt. Sie war damals erst die vierte Frau, der die Auszeichnung in dieser Disziplin zuteilwurde.
Was hat sich danach für Ada Yonath verändert? »Sie hätten mich bis vor zwei Jahren nicht besucht, um mir Fragen zu stellen«, meint sie verschmitzt, als wir uns im Februar 2011 in Heidelberg treffen, kurz vor einem Vortrag, den sie am Deutsch-Amerikanischen Institut hielt.
In ihrer Heimat Israel wird die kleine Frau dank ihrer wirren Locken, die der verschlungenen Struktur der Makromoleküle ähneln, liebevoll als »die Frau mit dem Kopf voller Ribosomen« bezeichnet. Aufgewachsen war sie in den 1940ern in einem Stadtteil von Jerusalem. Trotz der Armut ihrer Familie und des frühen Tods ihres Vaters konnte Yonath eine weiterführende Schule besuchen, durch Nachhilfeunterricht in Mathematik verdiente sie sich Geld hinzu. »Als Miternährerin der Familie konnte ich aber nie weit weg, obwohl ich hinaus in die Welt strebte«, erzählt Yonath. Eine entscheidende Reise trat sie trotzdem an: Als sie das Chemiestudium an der Hebräischen Universität in Jerusalem aufnimmt, erschließt sich ihr die weite Welt der Wissenschaft. »Ich bin ein sehr neugieriger Mensch«, sagt die Forscherin, »und hatte viele Fragen, auf die ich eine Antwort suchte.«
Wie wird die genetische Information in Proteine übersetzt?
Nach ihrer Promotion am Weizmann-Institut im israelischen Rehovot wechselt Yonath mit 30 Jahren an das Massachusetts Institute of Technology (MIT). Angeregt durch den Chemiker und Nobelpreisträger William N. Lipscomb, Jr., beginnt sie, mittels der Röntgenkristallografie molekulare Strukturen zu analysieren. Mitte der 1970er Jahre kehrt sie ans Weizmann-Institut zurück, um dort an Ribosomen zu forschen. Yonath will verstehen, wie sie den genetischen Code eines Organismus, die DNA, in Proteine übersetzen. »Um die Funktion der Ribosomen oder auch anderer biologischer Makromoleküle zu verstehen, muss aber deren Struktur bekannt sein«, schildert die Israelin, die zeitweilig auch die Synchrotronstrahlungsquelle am Hamburger DESY nutzte, den Kern ihrer Forschung.Die hochrangigsten Wissenschaftler auf dem Gebiet der Biochemie prophezeiten jedoch Yonaths Scheitern. Ribosomen galten als nicht kristallisierbar, denn sie sind zu groß und zu instabil. Doch erst in kristallisierter Form lässt sich durch Röntgenstrahlung ihre Struktur entschlüsseln. »Sie nannten mich eine Träumerin, eine Verrückte«, lacht Yonath.
Polarbären und stabile Ribosomen
Doch ein Artikel über Winterschlaf haltende Polarbären brachte sie auf eine bahnbrechende Idee. Während der winterlichen Ruhephase der Tiere werden die Ribosomen in deren Zellen deaktiviert, indem sie entlang der Zellmembran kristallähnlich nebeneinander aufgereiht werden. So bleiben die Ribosomen über einen langen Zeitraum stabil, was wiederum die Voraussetzung für ihre Kristallisierbarkeit ist. »Als ich das las, dachte ich mir: Was der Bär kann, das kann ich auch!« Mit Hilfe des besonders robusten Bakteriums Geobacillus stearothermophilus, das im Toten Meer lebt, gelingt es ihr nach jahrelanger Arbeit tatsächlich, die ribosomalen Makromoleküle in kristallisierter Form herzustellen. Und im Jahr 2000 schafft sie es, durch den Beschuss der Proben mit Röntgenstrahlen die ersten Details der komplexen Struktur von Ribosomen aufzudecken. »Es gab Tage, an denen habe ich darüber nachgedacht, aufzuhören. Aber jeder kleine Fortschritt ließ mich daran glauben, dass wir die richtige Richtung eingeschlagen hatten«, erklärt sie ihren Durchhaltewillen.
»Auf E-Mails antworte ich sogar noch persönlich«
Der Nobelpreis habe sie jedoch nicht verändert. »Ich bin noch immer dieselbe – ich beantworte sogar noch persönlich E-Mails«, witzelt sie. Auch ihrem charmanten Charakterzug, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, tat die hohe Auszeichnung keinen Abbruch. Ihren hohen Bekanntheitsgrad nutze sie, vermehrt junge Menschen für die Wissenschaft zu begeistern. Dabei geht es Yonath nicht primär um die Förderung von Frauen in der Wissenschaft: »So etwas wie die Frauenquote in der Wissenschaft treibt mich in den Wahnsinn. Man überlegt sogar, den Nobelpreis zu 50 Prozent an Frauen zu verleihen. Aber der Preis sollte nicht auf Grund des Geschlechts, sondern auf Grund der erbrachten Leistung vergeben werden!«
Bis zu ihrem 80. Lebensjahr hat die Israelin noch ihre Stelle am Weizmann-Institut. »Ich möchte wissen, wo der evolutionäre Ursprung der Ribosomen liegt und damit auch der Ursprung allen Lebens«, skizziert sie ihr Ziel. »Außerdem forschen wir an der Wirksamkeit von Antibiotika.« Denn »fast die Hälfte der heute bekannten 8000 antibiotischen Substanzen bindet zuerst an Ribosomen und blockiert diese«. Offenbar besteht darin ein großer Teil ihrer therapeutischen Wirkung. Verstünde man also im Detail die Funktionsweise der Ribosomen, ließen sich spezielle Antibiotika entwickeln, die weniger Resistenzen hervorrufen und selektiver arbeiten. »Dadurch greift das Medikament allein das Bakterium und nicht den Patienten an.« Ein weites Forschungsfeld, das Yonath auch nach fast 40 Jahren mit ansteckender Begeisterung verfolgt.
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