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Sexualität: Sie tun es

Die Vorzüge von Sexualität sind vielfältig und oft gelobt - Verzicht übt nur, wer auf Quantität statt Qualität setzt. Ganz offenbar sind dazu noch weniger Arten bereit als vermutet.
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Über manches in der Natur wissen Durchschnittsbürger zwar wenig, trotzdem aber irgendwie auch genug. Ein Beispiel: Schimmelpilze. Die sind einzeln klein, in der Fläche aber an Mauer oder Graubrot eklig und gesundheitsschädlich. Wo sie wuchern, tun wir alle einiges, sie zu vertreiben. Reicht das nicht, als notwendige Information?

Mathieu Paoletti und eine Reihe anderer Forscher sind da ganz anderer Meinung. Schimmel, so ihre Meinung, ist vielmehr ein Quell spannender Sex-and-Crime-Geschichten, über die es sich immer zu reden lohnt. Und Paoletti, der an der Universität von Nottingham forscht, tut daher, was wir alle im Allgemeinen eher verhindern: er züchtet Schimmel. Praktisches Fernziel bleibt natürlich, die Bekämpfung der Pilze zu perfektionieren – immerhin können Infektionen durch Aspergillus und seine toxinproduzierende Sippe nicht nur gesunde Personen schwächen, sondern auch bereits gesundheitlich angegriffene töten.

Aber zurück zu den Geschichten, Genre "Crime": Berühmteste Opfer von Aspergillus niger (Beiname "Der Fluch des Pharao") waren wohl an die 30 Graböffner der letzten Ruhestätte von Tut-Anch-Amun. Sie starben an den Spätfolgen einer Aflatoxin-Vergiftung durch Pilze, die sie in der Grabkammer aufgewirbelt und eingeatmet hatten. Die giftigen Schimmelsubstanzen schädigen angegriffene Organe, weshalb die Betroffenen je nach medizinischer Vorgeschichte mal an Leber-, mal an Nierenversagen und mal an verschieden Krebsarten starben.

Und Genre "Sex"? Da, zugegeben, schwächelt Schimmel. Bislang galt das Aspergillus-Pilzwesen per se als Sexverweigerer, der sich nur rein ungeschlechtlich, damit immerhin aber auch effektiv und schnell fortpflanzt und vermehrt. Bislang – denn nun sind Paoletti und Kollegen auch hier anderer Meinung. Ihr Versuchsobjekt Aspergillus fumigatus hatte es vor kurzem geschafft, als häufiger Bewohner von Biomüll, Komposthaufen, feuchten Tapeten und überwässerten Blumentöpfen auf die Liste der Arten gesetzt zu werden, deren Genom vollständig entziffert werden sollte. Seit kurzem stand daher nun die gesamte DNA-Sequenz der Schimmelart interessierten Augen zur Begutachtung zur Verfügung – und Paoletti und neun Wissenschaftler aus drei Ländern stürzten sich in die Arbeit.

Auch Aspergillus fumigatus, so das Fazit der Genomanalysen, tut im Verborgenen offenbar mit seinesgleichen etwas, was Menschen bei Schimmel noch nie beobachteten. Zum einen war schon bald klar, dass der Pilz alle Gene besitzt, die ihm eine Halbierung seines Chromosomensatzes per Meiose ermöglichen. Verblüffend, denn immerhin besitzt der Pilz nur einen schlanken haploiden, also einfachen, Satz an Genen, der weiter zu halbieren gar nicht mehr möglich ist.

Vergleiche der DNA-Sequenzen von 290 Aspergillus-Individuen aus aller Herren Länder verraten nun zudem, dass ein bestimmter Abschnitt weltweit immer in genau zwei Varianten vorkommt – ein Abschnitt, der bei sexuell aktiven Pilzarten als "mating type locus" so etwas wie das Geschlecht eines Sexualpartners charakterisiert. Auch bei Aspergillus scheint dieser DNA-Abschnitt einige von den Proteinbauanleitungen zu enthalten, die für sexuelle Vorgänge zwischen zwei Pilzpartnern unverzichtbar sind. Dazu zählen etwa Gene für die Produktion und Erkennung von Sexuallockstoffen.

Dass die Schimmelpize prinzipiell meiosefähig sind und immer in zwei Geschlechtern – oder, auf gut biologisch, "mating types" – vorkommen, kann niemals Zufall sein, schlussfolgern die Wissenschaftler. Ihr Szenario: Zwei Pilze mit ihrem einfachen Chromosomensatz können verschmelzen und – wie die als sexuell aktiv schon entlarvten Pilzarten – Organismen mit doppelter Chromosomenausstattung bilden. Erst diese Form muss dann ihre Gen-Ausstattung halbieren, um in der nächsten Runde wieder verschmelzungfähig zu werden. Kurz, es findet ein Wechsel zwischen einfachem und doppeltem Satz an Genen statt, die dem Zweck der Durchmischung der DNA-Sätze zweier Organismen einer Art dient. Es findet Sex statt, auf gut deutsch.

Mit allen Vorteilen, die dieser mit sich bringt, etwa der erhöhten Flexibilität einer Spezies mit ständig neuen Kombinationen im Genpool bei wechselnden Umweltbedingungen. Für den pilzfaszinierten Laborvoyeur war ohnehin klar, dass strikt sexlose, selbstbefruchtende Pilze eher Ausnahme als Regel sein dürften. Spannend bleibt dabei etwa die Frage, welche Bedeutung der Gelegenheitssex bei pathogenen Spielarten der Pilze spielt – Grund genug, die Suche nach Sexindizien auch auf andere vermeintlich enthaltsame Pilzarten auszudehnen.

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