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Medizingeschichte: Sind Masern ein Produkt der ersten Großstädte?

Masen sprangen einst vom Rind auf den Menschen über. Aber wann? Eine neue Studie datiert ihr Erscheinen jetzt auf das 6. Jahrhundert v. Chr.
In den ersten großen Städten könnte sich das Masernvirus verbreitet haben

Etwa im 6. Jahrhundert v. Chr. scheint das Masernvirus auf den Menschen übergesprungen zu sein. Zumindest spaltete es sich zu diesem Zeitpunkt vom eng verwandten Rinderpestvirus ab, verrät nun die Analyse seines Erbguts. Damit begann die Evolutionsgeschichte dieses hochansteckenden Virus rund 1400 Jahre früher, als historische Aufzeichnungen nahelegten.

Das Auftreten des Erregers fällt mit der Entwicklung der ersten großen Städte zusammen. Siedlungen mit bis zu 250 000 Einwohnern könnten den Masern die Möglichkeit geboten haben, sich dauerhaft im Menschen zu etablieren, erläutern die Forscher um Ariane Düx vom Robert Koch-Institut in Berlin in der Fachzeitschrift »Science«. So könnte das Virus auch vorher schon mehrfach übergesprungen sein. Die kleinen bäuerlichen Gemeinschaften der ersten Viehzüchter erwiesen sich aber wahrscheinlich als Sackgassen.

Sammlung im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité | Das mehr als 100 Jahre alte Masernvirus überdauerte in einem dieser Regale. Es half den Forschern, die »molekulare Uhr« seines Stammbaums zu kalibrieren.

Bei ihrer Untersuchung kam den Forschern um Düx der Zufall zur Hilfe: Sie entdeckten im medizinhistorischen Museum Berlins in einer Sammlung, die Anfang des 20. Jahrhunderts der Medizinpionier Rudolf Virchow zusammengetragen hatte, die Lunge eines Kindes. Laut Etikett war der Patient im Jahr 1912 an einer Lungenentzündung gestorben, die durch eine Maserninfektion hervorgerufen wurde. Düx und ihrem Team gelang es, die RNA des darin erhaltenen Erregers zu isolieren und mit weiteren verwandten Viren zu vergleichen, darunter eine Probe aus den 1960er Jahren, 127 heute verbreitete Stämme sowie die RNA der inzwischen ausgestorbenen Rinderpest und eines ähnlichen Virus. Dann bestimmten sie, mit welcher Geschwindigkeit sich Veränderungen in der Gensequenz anhäufen, und nutzten diese so genannte molekulare Uhr, um auf den Zeitpunkt der Trennung von Mensch- und Rindervariante zurückzurechnen. Dieser liegt den Rechnungen zufolge zwischen den Jahren 1174 v.Chr. und 165 n.Chr. – und am ehesten im Jahr 528 v. Chr.

Die erste eindeutige Erwähnung der Masern findet sich im 9. nachchristlichen Jahrhundert, weshalb Forscher bislang dieses Datum als Geburtsstunde des Masernerregers betrachteten. Vermutlich aber gehen einige weitere Epidemien, die in historischen Aufzeichnungen erwähnt werden, auf die Masern zurück, lassen sich jedoch wegen einer ungenauen Beschreibung der Symptome nicht mit diesem Erreger in Verbindung bringen.

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