Aliens: Eine einsame Insel im All
Am 15. Januar 1790 kamen neun Meuterer von der HMS Bounty, 18 Menschen aus Tahiti und ein Baby auf der Insel Pitcairn an, einem der isoliertesten bewohnbaren Orte der Erde. Umgeben von hunderten Kilometern offenem Meer ist das Eiland im Südpazifik der Inbegriff der Einsamkeit. Bis ins 15. Jahrhundert hatte eine Gruppe Polynesier auf der Insel gelebt, die dann jedoch ausgestorben ist. So betrat die Besatzung der Bounty eine menschenleere Insel – und erhielt erst 18 Jahre später Besuch von einem anderen Schiff.
Die Geschichte ist ein extremes Beispiel für die ungewöhnliche Dynamik der Besiedlung des Südpazifiks. In Polynesien, Mikronesien und Melanesien gibt es Zehntausende von Inseln, die über Millionen von Quadratkilometern verstreut sind. Bei vielen von ihnen handelt es sich bloß um schroffe Felsen oder Korallenriffe. Aber es sind auch paradiesische Eilande dabei, die immer wieder Menschen angelockt haben.
Damit weist die Südsee so manche Parallele zu unserem kosmischen Umfeld auf: In der Milchstraße gibt es hunderte Milliarden Sterne. Manchen Hochrechnungen zufolge kreisen um zehn Milliarden von ihnen Felsplaneten, auf deren Oberfläche gemäßigte Temperaturen herrschen könnten. Wie die Inseln der Erde könnten diese Exoplaneten Lebewesen einen Platz bieten. Und vielleicht haben einige von ihnen die Technologie entwickelt, die nötig ist für eine Reise zu den Sternen.
Ein berühmtes Mittagessen und Enrico Fermis Paradoxon
Dieses Gedankenspiel wirft allerdings eine Frage auf, die der Physiker Enrico Fermi bereits im Jahr 1950 gestellt haben soll. Bei einem Mittagessen mit Kollegen, so die berühmte Anekdote, platzte es auf einmal aus ihm heraus: »Fragt ihr euch nicht manchmal, wo die alle stecken?« Gemeint waren jene raumfahrenden Außerirdischen, die – sofern es sie gibt – doch längst auf der Erde angekommen sein müssten.
Die Frage entwickelte sich im Lauf der Zeit zu dem berühmten, wenn auch etwas unglücklich benannten »Fermi-Paradoxon«: Wenn technologisch versierte Spezies nicht extrem selten sind, sollten sie sich inzwischen praktisch überall in der Galaxie ausgebreitet haben. So legte es zumindest eine von Fermis blitzschnellen Überschlagsrechnungen nahe, für die der Wissenschaftler bei seinen Kollegen bekannt war.
1975 erstellte der Astrophysiker Michael Hart eine erste detaillierte Studie zu Fermis Idee. Er hielt zunächst »Fakt A« fest: Heute gibt es keine Außerirdischen auf der Erde, was für die meisten besonnenen Menschen wohl eine unumstößliche Tatsache sein dürfte. Sie führte Hart zu der Schlussfolgerung, dass es in unserer Galaxie derzeit keine anderen technologisch weit entwickelten Zivilisationen gibt – oder jemals gegeben hat. Die Argumentation ähnelte der von Fermi: Eine Spezies mit einigermaßen weit entwickelten Raumantrieben würde, wenn man in kosmischen Maßstäben denkt, nur recht wenig Zeit brauchen, um die 100 000 Lichtjahre messende Milchstraße zu besiedeln.
Der US-Physiker Frank Tipler rechnete 1980 vor, dass entsprechend motivierte Aliens binnen einer Million Jahren wohl jeden Fleck unserer Galaxie erreichen könnten. Wenn man bedenkt, dass es unser Sonnensystem seit 4,5 Milliarden Jahren gibt und dass sich die Milchstraße vor mindestens zehn Milliarden Jahren gebildet hat, sollten die Außerirdischen also mehr als genug Zeit gehabt haben, um sich auf allen bewohnbaren Welten niederzulassen.
Sowohl Hart als auch Tipler gingen davon aus, dass die Sternreisenden geeignete Planeten kolonisieren und diese dann als Ausgangsbasis für die weitere Expansion nutzen. Im Detail trafen die beiden Forscher jedoch unterschiedliche Annahmen: Hart ging von einer biologischen Spezies aus, deren Mitglieder sich selbst ins Raumschiff setzen. Tipler hingegen spekulierte über Schwärme von sich selbst replizierenden Sonden, die sich automatisiert über die Galaxis ausbreiten.
Die Unterschiede machen sofort eine der großen Herausforderungen dieser Art von Studien deutlich: die nicht überprüfbaren Grundannahmen. Einige sind vernünftig und leicht zu rechtfertigen, andere heikel. Beispielsweise enthalten alle Szenarien Vermutungen über die Technologie, die für interstellare Raumflüge nötig ist. Auch die Frage, ob intelligente Wesen Reisen von Stern zu Stern überhaupt überleben können, ist bisher offen.
Wir Menschen wissen bisher lediglich, dass solch ein Unterfangen eine große Herausforderung ist. Selbst ein Raumschiff, das zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht, übersteigt derzeit unsere technischen Möglichkeiten bei Weitem. Als Antrieb kämen hier wohl nur gezielt gezündete Wasserstoffbomben in Frage. Oder kolossale Lichtsegel, die von Laserstrahlen angetrieben werden.
Ein »großer Filter«, der alle Zivilisationen zu Fall bringt?
Außerdem müsste man Raumgleiter vor Gasatomen und Staubkörnern schützen. Bei derart hohen Geschwindigkeiten würde jedes von ihnen wie eine Granate einschlagen. Langsamere Raumschiffe wären daher sicherer, bräuchten jedoch viele Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende für eine Reise zum nächsten Stern. Diese Zeitspanne dürfte die Lebensspanne der meisten Organismen übersteigen – und stellt daher entsprechende Anforderungen an die Lebenserhaltungssysteme.
Die umstrittensten Annahmen betreffen wohl die Motivation fremder Zivilisationen sowie deren Überlebensdauer. Wenn zum Beispiel eine außerirdische Spezies einfach nicht daran interessiert ist, andere Sterne zu besuchen, führt die ganze Idee einer galaktischen Besiedlung buchstäblich ins Leere. Diesen Einwand brachten Carl Sagan und William Newman bereits im Jahr 1983 vor. Aber wie mein Kollege Jason Wright feststellt, ist die Behauptung wohl ein Trugschluss, zumindest wenn man damit Fermis Frage beantworten will. Denn es dürfte unmöglich sein, mit Gewissheit über das Verhalten einer ganzen Spezies zu spekulieren, solange diese aus Individuen besteht.
Zumindest bei uns Menschen hat jedenfalls jeder Einzelne eine eigene Sichtweise, und entsprechend wird es immer Menschen geben, die ins Weltall aufbrechen wollen. Und selbst wenn die überwiegende Mehrheit der mutmaßlichen Raumfahrer-Aliens keine galaktische Diaspora anstrebt: Es reicht schon aus, wenn eine einzige weit entwickelte Kultur aus diesem Rahmen fällt, um potenziell Lebensspuren über etliche Sternsysteme zu verteilen.
Da verwundert es wenig, dass in der Geschichte von Fermis Paradoxon viel über die zu Grunde liegenden Annahmen gestritten wurde und es eine Vielzahl angeblicher Lösungen gibt. So könnte man zum Beispiel für die schnelle Durchquerung des interstellaren Raums derart viele Ressourcen brauchen, dass dies selbst sehr weit entwickelte Aliens vor ein unüberwindbares Hindernis stellt. Das würde zweifellos Harts »Fakt A« erklären.
Oder aber das Bevölkerungswachstum ist keine so starke Motivation, den Heimatplaneten zu verlassen, wie manche Forscher annehmen. Im Gegenteil: Fremde Zivilisationen könnten eine komplett nachhaltige Existenz anstreben, die es unnötig macht, in die Ferne zu reisen. Eine weitere mögliche Erklärung für unsere kosmische Einsamkeit ist das Konzept des »großen Filters«: Vielleicht gibt es etwas, das jede Art früher oder später in ihre Schranken weist. Etwa ein unvermeidliches Scheitern der Vision einer komplett nachhaltigen Lebensweise, das unweigerlich zu großen Verwerfungen und gewaltsamen Konflikten führen könnte. Vielleicht sind es auch extreme Naturkatastrophen, die expansive Imperien regelmäßig zu Fall bringen, etwa Supernova-Explosionen oder Ausbrüche des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße.
Für großes Unbehagen sorgt auch die so genannte Zoo-Hypothese. Demnach isolieren fremde Mächte uns absichtlich und beobachten die Menschheit wie Versuchstiere. In eine ähnliche Richtung geht das, was ich das Paranoia-Szenario nenne: Es gibt andere Zivilisationen im Weltall, sie verstecken sich allerdings voreinander und verweigern die Kommunikation aus Angst vor einer Art kosmischer Fremdenfeindlichkeit.
Spuren technologischen Lebens würden auf der Erde keineswegs ewig erhalten bleiben
Womöglich lässt sich das Fermi-Paradoxon viel leichter auflösen. Hier kommen die Inseln des Südpazifiks ins Spiel. Sie zeigen uns, dass Lebensräume mitunter nur spärlich und in großen zeitlichen Abständen bewohnt werden. Wie im Weltall entscheiden verschiedene Faktoren über die Besiedlung – etwa die Zahl guter Plätze oder die Zeit, die eine Bevölkerung braucht, um zu neuen Ufern aufzubrechen.
Adam Frank von der University of Rochester und ich haben uns hierzu erstmals 2015 Gedanken gemacht, wie einst Fermi und seine Kollegen bei einem gemeinsamen Mittagessen. Wir gingen dabei von einem einfachen Gedanken aus: Genau wie auf der Insel Pitcairn könnte es auch im All immer wieder neue Wellen der Erkundung oder Besiedlung geben. Wir Erdlinge hätten in diesem Szenario die Blüte unserer Zivilisation während einer der Flauten erreicht.
Die Idee knüpft direkt an Harts »Fakt A« an, dass wir auf der Erde bisher nichts von Außerirdischen mitbekommen haben. Sie geht jedoch noch weiter. So erscheint es sinnvoll, den Zeitraum einzuschränken, in dem die Erde keine Kolonie einer fremden Spezies war. Der Gedanke mag abwegig klingen, aber vielleicht haben Außerirdische in der fernen Vergangenheit vorbeigeschaut – und sind dann wieder abgedüst.
Dass dies durchaus eine Möglichkeit ist, verdeutlicht eine Studie meiner Kollegen Gavin Schmidt und Adam Frank. Demnach würden Spuren technologischen Lebens auf der Erde keineswegs ewig erhalten bleiben, sondern mit der Zeit verschwinden. Nach mehr als einer Million Jahre wären bloß noch isotopische oder chemische Anomalien im Erdboden auffindbar, etwa in Form synthetischer Moleküle, Kunststoffe oder radioaktiven Fallouts. Fossile Überreste und andere paläontologische Marker wären hingegen so selten und abhängig von besonderen Entstehungsbedingungen, dass sie uns vermutlich nichts sagen würden. Tatsächlich bedecken Siedlungen heutzutage nur rund ein Prozent der Planetenoberfläche. Paläontologen der fernen Zukunft müssten also viel Glück bei der Suche nach Überresten der Menschheit haben.
Unser kosmisches Umfeld ändert sich laufend
Schmidt und Frank kommen außerdem zu dem Schluss, dass noch niemand erschöpfend nach Spuren technologischer Hochkulturen gesucht hat. Ihr Fazit: Wenn schon einmal eine Industriegesellschaft auf der Erde existiert hat, dann wüssten wir vielleicht nichts davon. Das bedeutet keineswegs, dass dies so sein muss. Es zeigt lediglich, dass die Möglichkeit nicht rigoros ausgeschlossen werden kann.
In den letzten Jahren haben wir die Implikationen dieser Ideen mit Blick auf unsere Galaxie ausgelotet. Die Leitung der Studie fiel dabei Jonathan Carroll-Nellenback von der University of Rochester zu, mit dabei war auch Jason Wright von der Pennsylvania State University. Mit Hilfe neuartiger Computersimulationen und altmodischer Papier-und-Bleistift-Mathematik konnten wir ein realistischeres Bild davon zeichnen, wie sich Spezies in unserer Galaxie ausbreiten würden.
Astronomen wissen schon lange, dass sich die Sterne im Umkreis von ein paar hundert Lichtjahren um die Sonne wie die Teilchen in einem Gas bewegen. Im Verhältnis zu jedem Fixpunkt in diesem Volumen kann sich ein Stern schnell oder langsam bewegen, in jede Richtung. Zoomt man weiter heraus, so dass man Tausende von Lichtjahren im Blick hat, registriert man eine gemeinsame Bahnbewegung, die unsere Sonne einmal in etwa 230 Millionen Jahren um den Mittelpunkt der Milchstraße transportiert. Sterne, die näher am galaktischen Zentrum sind, brauchen weniger Zeit für einen Umlauf. Auch ober- und unterhalb der galaktischen Scheibe gibt es sehr schnelle Sonnen, die immer wieder durch diese hindurchtauchen.
Für jede Zivilisation ändert sich das kosmische Umfeld daher laufend. Ein gutes Beispiel dafür ist unser eigenes Sonnensystem. Im Moment ist Proxima Centauri unser nächster Nachbar, in einer Distanz von 4,24 Lichtjahren. In rund 10 000 Jahren wird er jedoch nur noch 3,5 Lichtjahre entfernt sein – eine erhebliche Einsparung an interstellarer Reisezeit. In 37 000 Jahren ist der nächstgelegene Stern hingegen ein Roter Zwerg namens Ross 248, von dem uns dann bloß noch drei Lichtjahre trennen.
Unsere Simulation findet daher in einem dreidimensionalen Volumen statt, in dem Sterne sich nach einem ähnlichen Muster bewegen wie in dem uns bekannten Ausschnitt der Milchstraße. Der Computer weist dann manchen der Sterne eine Zivilisation zu. Diese haben eine begrenzte Lebensdauer, so dass sie von der Karte auch wieder verschwinden. Einprogrammiert ist eine Wartezeit, die vergehen muss, ehe eine Spezies eine Sonde oder ein Schiff mit Kolonisten zu ihrem nächsten Nachbarstern starten kann.
Wir können diese Details der Simulation beliebig verändern – und dadurch sehen, wie bestimmte Annahmen das Ergebnis beeinflussen. Bei einer Vielzahl der Durchläufe erkennen wir, dass sich eine leicht zerklüftete Siedlungsfront von System zu System ausbreitet. Die Geschwindigkeit der Kolonisierung scheint dabei der Schlüssel zur Überprüfung verschiedener Lösungen des Fermi-Paradoxons zu sein.
Tatsächlich läuft die Bewegung der Sterne in der Galaxie darauf hinaus, dass selbst die Siedlungsfronten langsamer Zivilisationen die Galaxie in weit weniger als einer Milliarde Jahren durchqueren würden. Mit »langsam« sind hier Sonden mit Geschwindigkeiten von 30 Kilometern pro Sekunde gemeint. Damit sind sie immerhin fast doppelt so schnell wie die 1977 gestartete Voyager-1-Sonde, erreichen aber lediglich ein Zehntausendstel der Lichtgeschwindigkeit.
Wenn wir die galaktische Rotation oder die durch die Scheibe schießenden Sterne aus dem galaktischen Vorhof mit einbeziehen, schrumpft die Zeit, die für die Erschließung der Galaxie nötig ist, sogar noch. Mit anderen Worten: Wie Fermi vermutete, ist es wirklich nicht schwer, die Milchstraße mit Leben zu füllen. Wie voll sie dann am Ende ist, hängt jedoch sowohl von der Anzahl der wirklich bewohnbaren Exoplaneten ab als auch von der Überlebensdauer der Zivilisationen.
Verringert man etwa die Anzahl der nutzbaren Planeten und geht von Spezies aus, die nur etwa 100 000 Jahre bestehen, erhält man eine sehr leere Galaxie. Wählt man hingegen optimistischere Werte für diese Parameter, füllt sich das Weltall mit Raumfahrernationen. Interessanterweise scheint es fast egal zu sein, wie lange sich Spezies durchschnittlich auf einem Planeten halten, wenn es genügend geeignete Welten zum Besiedeln gibt. Sofern die Aliens die für Raumreisen nötige Technologie bewahren, können sie von System zu System ziehen und letztlich die ganze Galaxie erschließen.
Galaktische Diaspora
Die abgebildete Momentaufnahme stammt aus einer Computersimulation. Sie zeigt, wie stark sich außerirdische Zivilisationen binnen zehn Millionen Jahren ausbreiten könnten. Den Kolonisten standen in diesem Fall 10 000 geeignete Welten in einem 464 Lichtjahre großen Modellkasten zur Auswahl (nicht besiedelbare Sternsysteme sind in der Grafik nicht abgebildet – sie sind Schätzungen zufolge 22-mal so häufig wie Sonnen mit lebensfreundlichen Planeten). Blickt man aus großer Ferne auf solch einen Ausschnitt des Weltalls, bewegen sich die Sterne darin kreuz und quer durcheinander, wie Moleküle in einem Gas. Raumsonden rasen mit 3000 Kilometern pro Sekunde durch das virtuelle Universum – 100-mal schneller als ein durchschnittlicher Stern in der Simulation.
Eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Erde lange nicht besucht wurde
Aber gerade zwischen diesen extremen Szenarien entstehen die überzeugendsten und potenziell realistischsten Situationen. Wenn lebensfreundliche Welten in einer Galaxie weder besonders häufig noch besonders selten sind, kann die Zahl geeigneter Welten von Region zu Region stark schwanken. Mancherorts entstehen dadurch Ansammlungen von attraktiven Systemen, die wiederholt von Besiedlungswellen heimgesucht werden. Sie erinnern damit an Inselgruppen im Ozean, an denen Seefahrer immer wieder vorbeikommen. Diese Häufung attraktiver Sternsysteme bringt jedoch mit sich, dass die Cluster typischerweise von großen, unbesiedelten Regionen umgeben sind. In ihnen mag es vereinzelt geeignete Welten geben. Sie sind einfach zu weit weg und zu spärlich verteilt, als dass man sich die Mühe machen würde, sie zu besuchen.
Dieses Galaktischer-Archipel-Szenario könnte unsere Situation auf der Erde erklären. Wenn Zivilisationen im Durchschnitt eine Million Jahre überdauern und nur drei Prozent der Sternsysteme tatsächlich kolonisierbar sind, besteht unseren Simulationen zufolge eine etwa zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein Planet wie die Erde seit ein paar Millionen Jahren nicht besucht wurde.
Umgekehrt impliziert dieses Szenario, dass es anderswo in der Galaxie Bereiche mit vielen interstellaren Spezies gibt, für die kosmische Nachbarn oder Besucher die Norm und nicht die Ausnahme sind. Für all dies sind keine extremen Hypothesen erforderlich: Basis dafür sind eine konservative Abschätzung der Planetenzahl und die Sternbewegungen in der Milchstraße. Natürlich fließen nicht überprüfbare Annahmen über die Durchführbarkeit interstellarer Reisen mit ein sowie die Frage, ob intelligente Lebewesen sich tatsächlich auf den Weg machen würden.
Mancherorts könnte es Ballungen lebensfreundlicher Welten geben – anderswo hingegen kaum welche
Andere Faktoren können wir hingegen zunehmend gut bestimmen. Wie häufig mit Leben kompatible Welten sind, grenzen Exoplaneten-Forscher beispielsweise immer weiter ein. Auch über andere Fragen, wie etwa die Langlebigkeit von Zivilisationen, lernen wir selbst immer mehr. Etwa indem wir selbst versuchen, eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen.
Darüber hinaus können wir nach besiedelten Sternarchipelen Ausschau halten oder nach Indizien für eine Welle der Kolonisation suchen. Eine interessante neue Strategie wäre beispielsweise, unsere Teleskope nicht bloß auf einzelne, bekannte Exoplanetensysteme zu richten. Stattdessen könnten wir galaktische Regionen in den Blick nehmen, in denen die Anordnung der Sterne die interstellare Expansion begünstigen würde. Bis vor Kurzem war unsere dreidimensionale Karte des galaktischen Raums leider nur sehr ungenau. Aber das Gaia-Weltraumteleskop der Europäischen Weltraumorganisation ESA hat in den vergangenen Jahren die Position von einer Milliarde astronomischer Objekte und Sternbewegungen in unserem Umfeld bestimmt. Auf Basis dieser Daten können wir potenzielle Hotspots vielleicht bald ausfindig machen.
Letztlich wäre Fermis Paradoxon damit in Wahrheit gar kein Paradoxon. Für eine Welt wie die Erde kann es ganz normal sein, für lange Zeit nicht von Außerirdischen besucht zu werden – selbst wenn es diese in den Weiten des Alls in Hülle und Fülle gibt. So wie Pitcairn im Pazifischen Ozean mehrere Jahrhunderte lang unbewohnt blieb, erlebt die Erde vielleicht gerade eine Periode kosmischer Isolation, bevor eine neue Welle pangalaktischen Lebens sie erreicht. Die Frage ist, ob unsere Zivilisation noch da sein wird, wenn es so weit ist.
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