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Artenschutz: Sippenhaft

Amsel, Drossel, Fink und der Star - ist bald keiner mehr da? Allen apokalyptischen Umweltnachrichten zum Trotz, so schlimm dürfte es wohl nicht werden. Doch wirklich sicher kann sich keine Vogelart fühlen - erst recht nicht, wenn sie Verwandte auf der Roten Liste hat.
An der Futtersäule
Bei der bundesweit veranstalteten "Stunde der Gartenvögel" des Naturschutzbundes NABU und des bayerischen Landesbundes für Vogelschutz (LBV) hatten sie ihre Schnäbel ziemlich weit vorne: Die allseits bekannte Amsel belegte den zweiten, der Grünfink immerhin den neunten Platz unter insgesamt 200 gemeldeten Arten. Mit Fug und Recht kann man daher wohl behaupten, dass sowohl die schwarze Drossel als auch der grüne Fink zu den Allerweltsvögeln der Republik zählen.

Ähnlich zahlreich flattern die beiden Piepmätze durch Großbritanniens Gärten und Fluren. Doch stehen die Zeichen dort vielleicht bald auf Abschied – auch wenn gegenwärtig noch nichts daraufhin deutet. Gavin Thomas vom Imperial College London hegt jedoch die Befürchtung, dass sich das in naher Zukunft ändern könnte. Der Biologe nutzt dafür aber keine hellseherische Begabung, sondern setzt ganz auf genetische Zusammenhänge und statistische Berechnungsverfahren.

Deshalb machte Thomas sich ans Werk, erstmals einen umfassenden phylogenetischen Stammbaum (fast) aller britischer Brutvögel und regelmäßiger Wintergäste zu entwerfen, den er anhand bestimmter Abschnitte der Mitochondrien-DNA aufstellte. Sie bestätigte im Großen und Ganzen die früheren taxonomischen Zuordnungen der Arten zu den verschiedenen Gattungen – mit Ausnahme des Waldlaubsängers, der neben den Grasmücken auch überraschenderweise mit der Schwanzmeise vereint wurde: Bislang galten sie eigentlich als eher großräumig miteinander verbunden.

All den Spezies wies der Forscher ihren jeweiligen Gefährdungsgrad zu, den die Vögel laut der britischen Roten Liste einnehmen – unabhängig davon, ob sie nun gefährdet waren, weil ihr Lebensraum oder ihre Zahl schrumpfte. Beides kann Arten auf Dauer zum Verhängnis werden, doch bedingt das eine nicht immer unbedingt das andere: Der Bestand der Stare (Sturnus vulgaris) etwa schrumpft, weil sie weniger Nistmöglichkeiten oder Nahrung finden. Sie besiedeln aber noch fast ganz Großbritannien. Anders sieht es dagegen mit dem Kernbeißer (Coccothraustes coccothraustes) oder dem Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus) aus. Sie sind ohnehin seltener als der Star, gehen nun jedoch durch den Verlust geeigneter Lebensräume zurück und weniger durch großflächige Bestandseinbrüche.

Verwandtschaft als Vorwarnung

Vertreter dieser zweiten Kategorie schloss Thomas aus seiner Analyse aus, um ein klareres Bild zu bekommen: Diese Arten haben oft spezielle Ansprüche, was sie beispielsweise auf bestimmte kleinräumige Habitate beschränkt und anfällig macht. Sie taugen also nicht unbedingt für verallgemeinernde Aussagen. Von 22 Rote-Liste-Vögeln Großbritanniens leiden in der höchsten Kategorie nur zwei unter Lebensraumverlusten, die restlichen 20 dagegen haben ihre einstige Verbreitung weitest gehend beibehalten und schrumpften nur zahlenmäßig.

Werden diese wenigen "Spezialisten" aus der Analyse entfernt, kristallisiert sich so etwas wie eine Erbkrankheit heraus: Nahe verwandte Arten laufen eher Gefahr, bedrohten Vettern auf die schiefe Bahn in die Rote Liste zu folgen. So büßten drei von vier Finkenarten der Gattung Emberiza (zu der unter anderem die Goldammer gehört) einen großen Teil ihres Bestands ein, was es für Thomas nahelegt, dass auch der vierte Vertreter bald den selben Weg geht. Selbst die Amsel (Turdus merula) oder der Grünfink (Carduelis chloris) können sich daher nicht sicher sein: Beide leben noch zahlreich auf der Insel, doch sowohl unter den Drosseln als auch unter den Finken mehren sich die weit verbreiteten und dennoch gefährdeten Arten.

Die enge Verwandtschaft lässt vermuten, dass die einzelnen Gattungsvertreter ähnliche Ansprüche an ihren Lebensraum und die Ernährung haben oder sich ähnlich stark oder schwach vermehren – kurz gesagt: Ihre Biologie gleicht sich. Und dass könnte sie alle über kurz oder lang den gleichen Risiken aussetzen, weshalb Thomas hofft, dass seine Untersuchung als eine Art Vorwarnstufe begriffen wird. Denn selbst wenn es gegenwärtig unwahrscheinlich erscheint, dass die von fast jedem Dach pfeifende Amsel rar wird, das Beispiel der Schwesternart Singdrossel (Turdus philomelos) sollte mahnen: Einst sehr häufig, ertönt ihr Gesang heute immer seltener.
  • Quellen
Thomas, G.: Phylogenetic distributions of British birds of conservation concern. In: Proceedings of the Royal Society B 10.1098/rspb.2008.0549, 2008.

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