Stammzellforschung: Krimi um japanische Stammzellstudie
An mindestens zwei Stellen ihrer "Säurebad-Studie" soll Haruko Obokata vom japanischen Riken-Institut Daten manipuliert oder gefälscht haben. Mit diesem Urteil, das die institutseigene Untersuchungskommission in Tokio gerade sprach, dürfte die Karriere der erst 30-jährigen, einst als schillerndes Nachwuchstalent gefeierten Stammzellforscherin zu Ende sein.
Suspendiert ist sie seit Wochen. Öffentlich muss Haruko Obokata den Kopf allein hinhalten für Fehler in einer Arbeit, an der im engeren Kreis 8, im weiteren 14 Forscher mitgeschrieben haben.
An dieser Stelle könnte die Geschichte enden. Tut sie aber nicht. Denn gleichzeitig hat ein unabhängiger Forscher, der Biologe Kenneth Ka-Ho Lee von der Chinese University of Hong Kong, auf dem Portal ResearchGate verkündet, wesentliche Teile des von Obokata in "Nature" vorgestellten Experiments erfolgreich wiederholt zu haben. Ist an der Herstellung von Stammzellen durch ein simples Säurebad also doch noch etwas dran?
Trotz fehlerhafter Daten kann das Ergebnis stimmen
Kenneth Ka-Ho Lee war bisher mehrfach bei dem Versuch gescheitert, Obokatas Experiment zu verifizieren. Doch er versuchte es weiter. Schließlich habe er die Zellen, nachdem er sie in Säure gebadet habe, zusätzlich mit einer Pipette entnommen und wieder abgesetzt, so wie es Obokatas Kollege Charles Vacanti in einem nachträglich hinzugefügten Protokoll zu dem Experiment beschrieben hatte. Durch diese Prozedur werden die Zellen immer wieder durch die kleine Öffnung der Pipette gepresst. Die Zellen seien dadurch kontinuierlich geschrumpft, bekamen aber auf einmal ihre Pluripotenz, schreibt Lee.
Es scheint also, als sei nicht das Säurebad, sondern die Pipetten-Prozedur der entscheidende Schritt, der die Zellen reprogrammiert. Schon in ihrer Publikation hatten Obokata und ihre Koautoren geschrieben, sie seien sich nicht sicher, was genau den Zellen den Impuls zur Verjüngung gegeben habe.
Allerdings muss auch Lees Erfolg mit Vorsicht betrachtet werden. Weder hat er seine Ergebnisse mehrfach wiederholen können noch haben andere Forscher im Rahmen eines geregelten Verfahrens seine Arbeit begutachtet.
Sollte sich aber bestätigen, dass sich pluripotente Stammzellen durch einen einfachen Reiz – sei es nun die ätzende Säure oder die Pipetten-Prozedur – ohne komplexe gentechnische Verfahren herstellen lassen, hieße das: Obokatas Team hätte einen großen Erfolg zu Recht feiern können, hätte die Studienleiterin nicht Abbildungen in der Arbeit frisiert. Vielleicht tat sie das, um Zeit zu sparen, vielleicht auch, um die Methode noch eindeutiger, beeindruckender oder schlüssiger erscheinen zu lassen.
Konkret geht es um zwei Stellen in der Hauptveröffentlichung [1]: In Abbildung 1i soll der dritte Lymphozyten-DNA-Strang aus einem zweiten Bild eingefügt worden sein, um ein besseres Ergebnis darzustellen. Zudem taucht in der Arbeit ein Foto auf, das Gewebe zeigen soll, welches aus den im Säurebad verwandelten Zellen entstanden sein soll. In Wahrheit zeigt es Gewebe, das Obokata schon während ihrer Dissertation auf andere Weise gezüchtet hatte.
Obokata weist in einem Statement, das ihr Anwalt an japanische Medien weitergab, die Vorwürfe von sich und spricht von einer falschen Darstellung im Kommissionsbericht. Sie habe nicht bewusst manipuliert oder gefälschte Ergebnisse genutzt. "Die Abbildung 1i würde auch so aussehen, wenn sie auf den Rohdaten basieren würde", schreibt sie. Des Weiteren habe sie keine Daten erfunden, sondern es sei zu einem Fehler in der Auswertung gekommen. Auf den habe sie die "Nature"-Redaktion selbst am 9. März hingewiesen.
Der Fall macht deutlich, wie sehr die Stammzellforschung zu so etwas wie der Formel 1 der Wissenschaft geworden ist. Die Erwartungen sind gewaltig, die Entwicklungen rasant, und der Grat zwischen Sensation und Scheitern ist so schmal, dass mancher Forscher mit unlauteren Methoden versucht, das Wettrennen zu gewinnen. So gaben in einer aktuellen Umfrage des "New Scientist" 5 von 112 Stammzellforschern anonym an, selbst schon einmal Ergebnisse manipuliert zu haben oder dies von Kollegen zu wissen. Knapp 20 Prozent berichteten, sie stünden bei ihrer Arbeit unter enormem Druck.
Keine Rückendeckung für die Forscherin
Dieser Druck könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum das Riken-Institut seine einstige Vorzeige-Forscherin jetzt im Regen stehen lässt. Nur zögerlich hatten ihre Vorgesetzten Mitte März bei der Veröffentlichung des ersten Zwischenberichts der Untersuchungskommission angedeutet, im Ernstfall eine Mitverantwortung zu übernehmen. Persönlich war Obokata zu keiner der Pressekonferenzen eingeladen – eine Chance, sich öffentlich zu verteidigen, bekamen auch ihre Koautoren nicht.
Immer wieder war es in der Vergangenheit zu Skandalen in der Stammzellforschung gekommen. 2005 war der Koreaner Hwang Woo-suk berühmt geworden, als er eine neue, besonders effektive Methode des Klonens vorstellte. Nachdem in seinem Land bereits Briefmarken mit seinem Konterfei gedruckt wurden, kam heraus, dass seine Forschung fast komplett auf Fälschungen basierte.
Ob von Obokatas Studie am Ende trotz handwerklicher und vorsätzlicher Fehler noch etwas übrig bleibt, wie im Fall des Klonforschers Shoukhrat Mitalipov, kann jetzt nur noch eine Instanz entscheiden: die Redaktion des Magazins "Nature", die vor der Veröffentlichung der Säurebad-Studie keine Fehler fand. Bevor das passiert, sollen Obokata und ihre Koautoren nun endlich auch die Chance bekommen, selbst öffentlich etwas zu den Anschuldigungen zu sagen.
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