News: So bald sie haften, bist du dran
Diese Adhäsion ist die erste Stufe einer jeden bakteriellen Infektion. Dabei ist es egal, ob es sich um eine Infektion des Atmungstraktes, des Urogenitaltraktes oder irgendeines Bereiches dazwischen handelt. Deshalb entwickelte Charles Kelly von den United Medical and Dental Schools der Guy's and St. Thomas' Hospitals in London mit seinen Kollegen eine neue Strategie zur Bekämpfung der Mikroorganismen. Sie beugen einer Infektion nicht dadurch vor, daß sie die Bakterien abtöten, sondern indem sie ihnen "den Weg versperren". Im großen und ganzen lautet die Argumentation der Wissenschaftler: Wenn Sie nicht haften können, haben sie verloren.
Wie Kellys Team in Nature Biotechnology vom Januar 1999 berichtet, haben die Forscher ein Protein entworfen und synthetisiert, das als p1025 bezeichnet wird. p1025 imitiert einen bestimmten Teil von Streptococcus mutans, des Bakteriums, welches die Hauptschuld am Zahnverfall trägt. Die Einheit, die "nachgeahmt" wird, ist diejenige, welche sonst an den pellicle bindet. Durch ein effektives "Auffüllen" der Rezeptoren im Speichel, an welche sich die Streptococcen normalerweise anhaften würden, kann p1025 das Andocken der Bakterien an die Zahnoberfläche und somit deren Infektion verhindern.
Die Gruppe führte einen klinischen Doppelblind-Vorversuch mit elf Teilnehmern durch, deren Mundinnenraum durch Chlorhexidin, ein äußerst starkes Antiseptikum, völlig von Streptococcus mutans befreit wurden. In der Kontrollgruppe, die lediglich mit Kochsalzlösung behandelt worden war, wurde der erste Streptococcus zwei Monate nach der Reinigung entdeckt. Bei den vier Patienten, denen in den ersten drei Wochen nach der Mundsäuberung zweimal wöchentlich p1025 direkt auf die Zähne aufgetragen wurde (und die in den ersten beiden Wochen dieser Zeit eine tägliche Mundspülung mit p1025 durchführten), dauerte es vier Monate, bis wieder Streptococcus mutans zu finden war. Dagegen blieb die Adhäsion einer anderen Bakterienart, der Actinomyceten, an der Zahnoberfläche völlig unverändert. Das legt nahe, daß die antibakterielle Wirkung von p1025 außerordentlich spezifisch ist.
Es wäre natürlich sehr zu begrüßen, wenn wir durch die Ergebnisse dieser Forschung irgendwann weniger Zeit auf dem Zahnarztstuhl verbringen müßten. Außerdem könnten die Erkenntnisse aber auch auf eine elegante und (hinsichtlich des zunehmenden Problems der Immunität gegen Antibiotika) äußerst notwendige, neue Strategie hindeuten, mit der es vielleicht möglich ist, allgemein Infektionskrankheiten zu bekämpfen.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 29.4.1998
"Damit der Zahnarzt überhaupt nicht bohrt"
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