Marsmission der Emirate: »So etwas hat noch kein arabischer Staat versucht«
Als erste arabische Nation haben die Vereinigten Arabischen Emirate am Montagmorgen (Ortszeit) eine Sonde Richtung Mars gesendet. Der Start der Mission war vorab mehrfach wegen schlechten Wetters verschoben worden. Die Sonde hob vom südjapanischen Weltraumbahnhof auf der Insel Tanegashima ab, soll im Februar 2021 nach sieben Monaten ihre Umlaufbahn um den Roten Planeten erreichen und von dort aus dessen Atmosphäre untersuchen. »Spektrum.de« hat mit dem Wissenschaftshistoriker Jörg Determann vor dem Start über die Ziele und die Bedeutung der Mission für das Land gesprochen.
»Spektrum.de«: Herr Determann, am 19. Juli um 23:58 Uhr MESZ haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) ihre Raumsonde zum Roten Planeten geschickt. Ist das Land im Marsfieber?
Jörg Determann: Es ist nicht so, dass tausende Menschen auf den Straßen unterwegs sind, die Mission feiern und auf den Start hinfiebern – schließlich ist das Land noch immer im Corona-Lockdown. Allerdings versuchen die staatlich kontrollierten Medien, die Mission wo immer möglich zu propagieren. Das geht sogar so weit, dass Anzeigen in ausländischen Zeitschriften geschaltet werden, die wie redaktionelle Beiträge aussehen sollen.
Und die Bevölkerung zieht mit?
Ich würde sagen ja – allerdings muss ich hinzufügen, dass ich im Nachbarstaat sitze, in Katar, der von den Vereinigten Arabischen Emiraten seit einigen Jahren durch einen Disput und eine Blockade getrennt ist. Trotzdem glaube ich, dass es sehr viel Enthusiasmus für die Marsmission gibt.
Was macht Sie so sicher?
Raumfahrt steht in den Emiraten derzeit hoch im Kurs. Bereits vergangenes Jahr hatte das Land seinen ersten Astronauten ins All geschickt: zur Internationalen Raumstation ISS. Das hat viele Bürger und Bewohner sehr stolz gemacht.
Ist diese Faszination für die Raumfahrt ein neues Phänomen in den Emiraten?
Nicht unbedingt. Es gibt bereits aus den 1960er Jahren Briefmarken mit allen möglichen Weltraumthemen. In den 1970ern, da hatten die Emirate gerade ihre vollständige Unabhängigkeit von Großbritannien erreicht, kamen Amerikas Apolloastronauten vorbei, brachten Mondgestein mit und besuchten die Herrscher in der Region. Das hat Eindruck hinterlassen.
Trotzdem wurde die eigene Raumfahrtagentur, die UAE Space Agency, erst 2014 gegründet.
Wirklich in die Raumfahrt investiert haben die Emirate erst in den vergangenen zehn, vielleicht zwanzig Jahren. Mittlerweile sind die VAE in der arabischen Welt aber der ambitionierteste Staat, wenn es um Investitionen in den Weltraum geht. Trotzdem: Als das Land im Jahr 2014 ankündigte, eine Raumsonde zum Mars schicken zu wollen, kam das selbst für viele Staatsbürger überraschend.
Was sind die Motive hinter der Mission? Offiziell wird sie damit beworben, Klima und Atmosphäre des Mars zu untersuchen, doch ist Wissenschaft wirklich der Hauptgrund?
Sie ist ein Grund von vielen. Noch vor 50 Jahren, vor ihrer Unabhängigkeit, waren die VAE in der Tat kein anerkanntes Zentrum der Wissenschaft, weder weltweit noch in der arabischen Welt. Kein Vergleich mit Damaskus, Kairo oder Beirut, wo seit Jahrhunderten Bibliotheken existierten oder Universitäten eine große Tradition hatten. Mittlerweile hat sich das allerdings geändert, und das Land investiert stark in Universitäten und Technologien.
»Mittlerweile sind die VAE in der arabischen Welt der ambitionierteste Staat, wenn es um Investitionen in den Weltraum geht«
Die Emirate wollen ihre Abhängigkeit vom Öl hinter sich lassen?
Die VAE haben in den zurückliegenden Jahrzehnten immens vom Ölboom profitiert, keine Frage. Sie sind dadurch allerdings auch sehr abhängig geworden von Preisschwankungen. Sinkt der Ölpreis, müssen die Emirate sparen und Menschen entlassen. Als konservative Monarchie fürchten die VAE solch eine Situation. Sie haben Angst vor jugendlichen Arbeitslosen, frustrierten Bürgern, drohenden Revolutionen. Um dem entgegenzuwirken, investieren die Emirate in eine Wissensgesellschaft, die – trotz Zensur, fehlender Meinungsfreiheit und politischer Gefangener – vom Verkauf von Wissen leben soll: von Publikationen, Patenten, Hochtechnologie.
Und die Raumfahrt soll dazu beitragen?
Ganz klar, damit will man dieser Wissensgesellschaft näherkommen. Andererseits geht es bei Raumfahrtmissionen auch stets darum, die Jugend zu inspirieren.
Wollen also jetzt alle Kinder dort Astronaut oder Astronautin werden?
Nein, so weit ist es noch nicht. Ein Job in der Verwaltung oder der Wirtschaft steht nach wie vor höher im Kurs als die Arbeit als Wissenschaftler oder Ingenieur. Auf lange Sicht können Weltraummissionen aber Kinder inspirieren, Mathematik zu studieren oder Physik oder vielleicht doch Astronaut zu werden. Raumfahrt und Astronomie haben in dieser Hinsicht viel Potenzial. Daneben sind solche Investitionen auch Teil einer längerfristigen Strategie in Richtung Infrastruktur und Transport.
Transport ins Weltall?
Ja, warum nicht? Dubai war vor 50 Jahren noch relativ unbekannt. Mittlerweile ist sein Seehafen einer der wichtigsten der Welt. Gleiches gilt für den Flughafen. Und derzeit versucht man, gemeinsam mit Virgin Galactic, einem Anbieter für Touristenflüge ins All, einen »Raumhafen« zu gründen. In meinen Augen ist das der nächste logische Schritt: vom Hafen zum Flughafen zum Raumhafen.
Alle 26 Monate stehen Erde und Mars auf ihren jeweiligen Bahnen um die Sonne in einem derart günstigen Winkel, dass Flüge zum Roten Planeten mit vergleichsweise wenig Aufwand möglich werden. Im Juli und August 2020 ist es wieder so weit. Gleich vier Nationen wollten dieses Mal die Gelegenheit nutzen; Europa, der Vierte im Bunde, musste wegen technischer Probleme mit seiner Exomars-Mission allerdings kurz vor Abflug aufgeben. Aus dem diesjährigen Mars-Vierkampf ist daher ein Dreikampf geworden: Er umfasst die USA mit einem Roboterfahrzeug namens »Perseverance«, China mit einer Sonde und einem Rover unter dem Missionsnamen »Tianwen 1« und die Vereinigten Arabischen Emirate, die ihre »erste Marssonde »Al-Amal«« getauft haben – zu Deutsch »Hoffnung«. Al-Amal startete am 20. Juli 2020 erfolgreich, drei Tage später, am 23. Juli, folgte Tianwen-1. Perseverance wird voraussichtlich am 30. Juli um 13.50 Uhr MEZ starten. Die NASA wird in einem Livestream berichten. Klappt alles wie geplant, werden alle drei Missionen den Mars im Februar 2021 erreichen.
Aber ist die Marsmission für das Regime nicht auch eine Machtdemonstration?
Sicherlich. Raumfahrt eignet sich unglaublich gut für Propagandazwecke, das haben die Sowjetunion und die USA im Kalten Krieg ja gezeigt. Auch wenn die VAE ein kleines Land sind, können sie mit solchen Missionen zeigen, dass sie eine Führungsrolle in der Region beanspruchen. In der Vergangenheit wurden die Scheichtümer immer als sehr konservativ kritisiert, als rückwärtsgewandt, als reaktionär – zu Recht. Jetzt wollen sie zeigen, dass sie auch Stätten der Zukunft sein können.
»Auf lange Sicht können Weltraummissionen aber Kinder inspirieren, Mathematik zu studieren oder Physik oder vielleicht doch Astronaut zu werden«
Doch warum ausgerechnet zum Mars, mit allen damit verbundenen Risiken? Schließlich sind die Hälfte aller Missionen zum Roten Planeten bislang fehlgeschlagen.
Es besteht immer ein Risiko, klar. Allerdings ist die VAE-Mission nicht die ambitionierteste, da keine Landung geplant ist, sondern lediglich eine Sonde in einer Marsumlaufbahn. Das ist nicht ganz so kompliziert. Insofern glaube ich, dass die Erfolgsaussichten ziemlich groß sind, zumal die VAE sehr erfahrene Partner haben: Gebaut wurde die Sonde an der University of Colorado in den USA, gestartet wird sie mit einer japanischen Rakete.
Und wenn es doch schiefgeht? Wäre das ein großer Rückschlag für das autoritäre Regime?
Natürlich kann solch eine Mission in jeder Stufe scheitern. Doch alleine ein erfolgreicher Start wird viel Aufsehen erregen. So etwas hat noch kein Staat in der arabischen Welt versucht, und auch nicht im Nahen Osten.
Israel hat vergangenes Jahr immerhin eine Sonde zum Mond geschickt, ist dann aber an der Landung gescheitert. Warum versuchen es die Emirate nicht erst einmal mit dem Erdtrabanten?
Eine Mondlandung hat etwas vom Kalten Krieg, von den 1960er Jahren. Der Mars hingegen wird als nächster Schritt für die Menschheit angesehen. Und Missionen dorthin sind riskant, nur relativ wenige Länder wagen sich daran: Dieses Jahr sind es – nachdem Europa seine Mission verschieben musste – nur China, die USA und eben die Vereinigten Arabischen Emirate. Dieser kleine Staat, der erst seit 50 Jahren existiert, konkurriert mit den USA, der vielleicht einzig verbliebenen Supermacht, und einer Jahrtausende alten Zivilisation wie China um einen Flug zum Mars. Das ist schon bemerkenswert.
Der Mars wurde nicht etwa deshalb ausgewählt, weil die Emirate die israelische Mondmission übertreffen wollten?
Israel war zwar lange erklärter Feind fast aller arabischer Staaten, mittlerweile gibt es aber recht viel Kooperation zwischen den VAE und Israel, auch wenn das niemand öffentlich zugegeben will. Insofern glaube ich nicht, dass Israel übertrumpft werden soll – eher Katar, Iran oder Saudi-Arabien.
Inwiefern?
Ich sehe die Marsmission auch als Teil einer Rivalität der arabischen Staaten um Megaprojekte: Katar will mit der Fußball-WM im Jahr 2022 in der höchsten Liga mitspielen. Saudi-Arabien plant eine Megacity im Westen des Landes, mit Robotern und künstlicher Intelligenz. Und die VAE wollen eben zum Mars.
Iran hat im April seinen ersten Militärsatelliten gestartet, Israel brachte vor wenigen Tagen einen weiteren Spionagesatelliten ins All. Nun zeigen auch die Emirate Ambitionen in der Raumfahrt. Heizt das nicht die Spannungen in der Region an?
Bislang nicht. Allerdings – da sollten wir uns keine Illusionen machen – hat Weltraumtechnologie stets zweifachen Nutzen: friedlich und militärisch. Das Raumfahrtprogramm der VAE ist zwar friedlich, es folgt aber vermutlich auch einem langfristigen Hintergedanken: Das Land möchte genügend Technologie und Expertise aufbauen, damit es notfalls relativ schnell Weltraumstreitkräfte schaffen kann – sofern ein Konflikt es dazu zwingt.
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