COPSY-Studie: Kinder und Jugendliche weiter psychisch gefährdet
Die Pandemie hat Kindern und Jugendlichen in Deutschland zugesetzt. Am eindrücklichsten belegt das die bundesweite »COPSY«-Studie: Ein Team des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf untersucht dafür seit Mai 2020 in Online-Umfragen an je über 1000 7- bis 22-Jährigen das Befinden junger Menschen. In regelmäßigen Abständen veröffentlichen die Forschenden ihre neuesten Resultate.
Jetzt sind die aktuellen Ergebnisse der repräsentativen Längsschnittstudie erschienen – bisher noch als Preprint, also in einer vorläufigen Form, die noch nicht von anderen Experten begutachtet wurde. Die Daten aus dem Herbst 2023 und 2024 beleuchten neben möglichen Langzeitfolgen der Pandemie auch die Wirkung der sonstigen Weltlage auf die Psyche junger Menschen. Denn Krieg und Klimakrise erschweren der Jugend die seelische Erholung nach der entbehrungsreichen Coronazeit, worauf auch eine groß angelegte Studie der Universität des Saarlandes hinweist.
Ähnlich wie die Shell Jugendstudie 2024 zeigt auch die COPSY-Studie, dass die globalen Krisen vielen Kindern und Jugendlichen nahegehen. In der COPSY-Erhebung im Herbst 2024 gaben zwischen 57 und 72 Prozent der Befragten an, sich über Kriege, Terrorismus, die Wirtschaft und das Klima Sorgen zu machen. Außerdem fühlten sich 2024 rund 20 Prozent manchmal, oft oder immer einsam. Damit hat die Einsamkeit im Vergleich zur Coronazeit abgenommen, ist aber immer noch verbreiteter als vor der Pandemie.
Diesem Muster folgen fast alle Indikatoren für die psychische Gesundheit, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erheben. Viele der Anfang 2020 Rekrutierten nahmen auch 2024 wieder an der COPSY-Studie teil und beantworteten Fragen zu ihrer körperlichen Gesundheit, ihrem seelischen Wohlbefinden und ihrer sonstigen Zufriedenheit. Anhand der Ergebnisse wurden sie in drei Gruppen eingeteilt: die mit hoher, normaler und geringer Lebensqualität.
Die Gruppe mit geringer Lebensqualität wuchs zu Beginn der Coronazeit stark. 2022 setzte eine Erholung ein, die sich 2023 – als die Corona-Pandemie offiziell endete – fortsetzte. 2024 stagniert die positive Entwicklung jedoch. Das bedeutet: Noch immer geht es mehr Kindern und Jugendlichen schlecht als vor der Pandemie.
Psychische Auffälligkeiten wie Unruhe, Nervosität und Lustlosigkeit, die die Macher der COPSY-Studie ebenfalls ermittelten, betrafen während Corona rund 30 Prozent der jungen Menschen in besorgniserregendem Maße. Vor Corona waren es 18 Prozent, 2024 immerhin noch 22 Prozent. Die gefundenen Auffälligkeiten können Symptome einer behandlungsbedürftigen psychischen Krankheit sein oder auch nur Anzeichen, dass jemand gefährdet ist, eine Störung zu entwickeln. »Wenn wir das hochrechnen, haben wir in einer Klasse mit 25 Kindern bei fünf einen Abklärungsbedarf, wie es ihnen psychisch geht«, sagt Ulrike Ravens-Sieberer, die Leiterin der COPSY-Studie. »Mit Beginn der Corona-Pandemie haben wir eine deutliche Verschlechterung gesehen, die sich jetzt über die letzten Jahre wieder erholt hat, aber auf schlechterem Niveau stagniert.«
Manche Kinder sind gefährdeter als andere, auch das zeigen die neuen Daten: Wer einen Migrationshintergrund oder Eltern mit geringer Bildung hat, mit einem psychisch erkrankten Elternteil zusammenlebt oder auf engem Raum wohnt, leidet eher. Diese Gruppen hatten ein etwa zwei- bis dreifach höheres Risiko, psychische Probleme zu entwickeln. Mädchen waren insgesamt stärker beeinträchtigt als Jungen – mit niedrigeren Werten bei der Lebensqualität und höheren Raten an depressiven Symptomen und Ängsten.
Umgekehrt suchte das Team um Ulrike Ravens-Sieberer aber auch nach Bedingungen, die Kinder und Jugendliche vor psychischen Krisen bewahrt hatten. Als eine der wichtigsten erwies sich die Unterstützung durch das soziale Umfeld. Auch gemeinsam verbrachte Zeit mit der Familie trug zur psychischen Stabilität bei. Ebenso schützten eine zuversichtliche Lebenseinstellung und die Überzeugung, Herausforderungen meistern zu können. Diese Schutzfaktoren gingen mit einem bis zu zehnmal geringeren Risiko für psychische Probleme einher.
Laut dem COPSY-Team sei es höchste Zeit für eine durchdachte Präventions- und Versorgungsstruktur: »Wir brauchen ein allumfassendes und wirklich gutes Konzept für ganz Deutschland und nicht ein Nebeneinander von Modellprojekten, die immer wieder aussterben. Das könnte einen echten Unterschied machen«, so Ravens-Sieberers Appell.
Marcel Romanos, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, der nicht an der COPSY-Studie mitwirkte, sieht das ähnlich: »Im Grunde zeigt sich hier, dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen noch schlechter geworden ist. Sie war schon vorher nicht gut. Wenn jedes fünfte Kind in Deutschland psychische Symptome hat, dann können wir damit nicht zufrieden sein. Vielleicht haben wir jetzt die Chance auf eine Veränderung.«
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