Solarspitzen: Fotovoltaikanlagen dienen jetzt dem Stromnetz

An Pfingsten freuen sich die meisten Menschen über einen sonnenreichen Tag, Betreiber von Stromnetzen hingegen haben alle Hände voll zu tun. »Es droht Stress im Stromnetz, sowohl technisch als auch finanziell für uns alle«, brachte der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller es in der »FAZ« auf den Punkt. Wie an kaum einem anderen Tag drohen an den sonnenreichen Feiertagen Solarspitzen. Fotovoltaikanlagen erzeugen dann sehr viel Strom, während zahlreiche Industriebetriebe ihre Produktion heruntergefahren haben.
Speisen Windkraftanlagen dazu noch große Mengen an Windstrom ins Netz, ist die »Hellbrise« perfekt, das Gegenstück zur berüchtigten Dunkelflaute. Im besten Fall darf sich das Land dann über 100 Prozent Erneuerbare im Strommix freuen. Wenn Solar- und Windenergieanlagen allerdings mehr Strom ins Netz speisen, als überhaupt verbraucht wird, wird es kritisch: Das Stromnetz wird überlastet, im schlimmsten Fall droht der Blackout – ein großflächiger Stromausfall.
Noch geben Netzbetreiber Entwarnung; sie sind auf solche Fälle vorbereitet. Steht absehbar eine Solarspitze an, lassen sie beispielsweise Gaskraftwerke, Windenergieanlagen oder, wo möglich, auch Solaranlagen herunterfahren und bringen die Bilanz im Stromnetz so wieder ins Gleichgewicht. Erst wenn das nicht mehr genügt, nehmen sie betroffene Regionen zeitweise komplett vom Netz. Bislang sind solche so genannten Brownouts in Deutschland unwahrscheinlich. »Im Lauf des Jahres 2025 erwarten wir in unserem Netzgebiet keine kritische Situation, die nicht mit den verfügbaren Instrumenten zu bewältigen ist«, sagt etwa Frank Reyer vom Übertragungsnetzbetreiber Amprion.
Und doch stieg auch bei Netzbetreibern zuletzt die Nervosität, denn der Ausbau der volatilen erneuerbaren Energien geht zügig voran, während das Netz in weiten Teilen noch auf konstante Stromflüsse aus fossilen oder kerntechnischen Anlagen ausgelegt ist. Um satte 16 Gigawatt ist der deutsche Solarpark im Jahr 2024 gewachsen, maßgeblich vorangetrieben durch Module auf Hausdächern oder an Hauswänden. Solche Anlagen bis 25 Kilowatt machen etwas weniger als die Hälfte des Zubaus aus. Knapp 100 Gigawatt sind heute insgesamt am Netz und damit um ein Achtel mehr, als sich die Bundesregierung für das Jahr zum Ziel gesetzt hat. Insgesamt lieferte die Sonnenenergie 14 Prozent des Stroms. Eine erfreuliche Entwicklung; aber die zahlreichen Solarspitzen, die in diesem Mittelwert verborgen sind, machen den Netzbetreibern zu schaffen. Immer häufiger müssen sie aktiv eingreifen, um Übertragungsnetze zu stabilisieren.
Besonders eminent war das in der sonnenreichen Zeit von April bis Juni 2024. An etlichen Tagen mussten Netzbetreiber hier Solaranlagen abregeln. 600 Gigawattstunden an elektrischer Energie gingen dadurch verloren – etwa zwei Prozent des eigentlich verfügbaren Solarstroms. Damit wurde fast 80 Prozent mehr Solarenergie abgeregelt als im Vorjahreszeitraum.
Doch was Netzbetreiber im Jahr 2024 noch problemlos in den Griff bekommen haben, könnte mit dem weiteren Ausbau der Solarenergie an Grenzen stoßen. Denn ein beträchtlicher Teil der Fotovoltaikanlagen lässt sich auch im Ernstfall nicht ohne Weiteres vom Netz nehmen. Sie speisen selbst dann weiter Strom ein, wenn das Netz kurz vorm Kollaps steht. 40 Prozent der installierten Solarleistung ist nicht regelbar; großteils finden sich die dafür verantwortlichen Module auf Hausdächern.
Entsprechend laut wurde der Ruf, dass auch diese kleineren Anlagen ihren Teil zur Netzstabilität beitragen sollen, oder anders ausgedrückt: dass der Netzbetreiber sie fernsteuern darf. Hierfür haben Bundestag und Bundesrat Anfang 2025 mit dem so genannten Solarspitzengesetz den Weg frei gemacht. Genau genommen handelt es sich dabei um eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes. Seit dem 25. Februar 2025 ist sie in Kraft. Sie betrifft ausschließlich neue Solaranlagen, es sei denn, Inhaber von Bestandsanlagen unterwerfen sich – gegen einen finanziellen Anreiz – ebenfalls den neuen Regeln. Balkonkraftwerke sind von der Regelung ausgenommen.
Die Einspeiseleistung von Solaranlagen bis 100 Kilowatt darf von nun an per Fernsteuerung abgeregelt werden , entweder durch den Netzbetreiber oder durch einen Direktvermarkter, sofern der Strom einer Solaranlage direkt an der Strombörse verkauft wird. Das Fernsteuern gelingt allerdings nur, wenn die Anlage mit einem intelligenten Messsystem, auch Smart Meter genannt, und einer Steuerbox vernetzt ist. Darüber kann der Netzbetreiber mit dem System kommunizieren. Neue Anlagen ohne Steuerbox dürfen lediglich mit 60 Prozent ihrer Leistung Strom ins Netz einspeisen – bis die Technik nachgerüstet ist.
Das Gesetz zielt allerdings nicht nur auf ein stabileres Stromnetz, es soll auch die Staatsfinanzen entlasten. Besitzer von Aufdachanlagen erhalten 20 Jahre lang für jede eingespeiste Kilowattstunde Solarstrom eine feste Vergütung von derzeit acht Cent – unabhängig davon, wie viel die eingespeiste Energie an den Strombörsen überhaupt wert ist. Der Staat zahlt die Differenz zwischen dem tatsächlichen Börsenstrompreis und diesen acht Cent. So ist es im Erneuerbaren-Energien-Gesetz geregelt. Geschätzte 9,4 Milliarden Euro hätte der Bundeshaushalt 2025 für diese Art der Förderung aufbringen müssen.
Negative Strompreise vor allem durch Solarenergie
Absurd schien dieses Modell, wenn an sonnenreichen Tagen so viel Strom erzeugt wurde, dass der Strompreis ins Negative rutschte. Wer in solchen Zeiten Strom an der Strombörse »kauft«, bekommt ihn nicht nur geschenkt, sondern noch zusätzlich vergütet. Im Jahr 2024 war das in 457 Stunden der Fall. 2023 waren es noch 300 Stunden, 2015 nur 110. Hauptverursacher dieser Negativpreise sind Aufdachanlagen. Bei ihnen fehlte bislang jeglicher Anreiz, sich netzdienlich zu zeigen. »Der zeitliche Zusammenhang von negativen Preisen mit der Erzeugung von Solarstrom ist zuletzt sehr deutlich geworden«, bestätigt Wolf-Peter Schill vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. »In den meisten Stunden mit negativen Preisen war das Preisniveau allerdings bisher nur schwach negativ.« Nicht zuletzt liegt das daran, dass Netzbetreiber bei absehbaren Solarspitzen an anderer Stelle weniger Strom ins Netz einspeisen lassen.
Dennoch, mit dem Fehlanreiz für Solaranlagen ist nun Schluss. Fällt der Börsenstrompreis an sonnenreichen Tagen ins Negative, vergütet der Staat den Solarstrom nicht mehr. Stattdessen werden die Zeiträume entgangener Vergütung aufaddiert und an den 20 Jahre währenden Förderzeitraum angehängt.
Das macht es reizvoll, den Strom in Zeiten ohne Vergütung in der eigenen Batterie zu speichern. Wer Solarspitzen über den Heimspeicher abpuffern kann, hat laut dem Bundesverband Solarwirtschaft nahezu keine finanziellen Nachteile durch die neue Regelung zu erwarten. Wer aber nicht über eine eigene Batterie verfügt, muss im schlimmsten Fall damit rechnen, dass bis zu neun Prozent seines eigentlich erzeugbaren Stroms nicht in Netz eingespeist werden können, also verloren sind, wie der Bundesverband Solarwirtschaft unter Berufung auf die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin berichtet. Der Solartechnikanbieter 1komma5 rechnet im Extremfall mit finanziellen Einbußen von rund 20 Prozent.
Die Investition in den Heimspeicher rentiert sich aber auch aus einem anderen Grund. Die eigene Batterie darf man nun nämlich selbst stärker ins Stromnetz integrieren. Mit den neuen Regeln ist es erlaubt, seinen Heimspeicher in Zeiten günstigen Stroms aus dem Netz aufzuladen und ihn später Gewinn bringend wieder ins Netz zurückzuspeisen.
Stromsystem bleibt trotz Solarausbau stabil
Verschiedene Sachverständige haben das Gesetz vorab begrüßt. Stefan Kapferer vom Netzbetreiber 50Hertz bezeichnete die Maßnahmen noch vor ihrem Beschluss als »dringend erforderlich«, um Brownouts zu vermeiden. Der Bundesverband Solarwirtschaft wertet die Anpassungen als »unumgänglich und verhältnismäßig«, um Solarenergie besser in den Markt zu integrieren.
»Fotovoltaikanlagen dürften in den Spitzenstunden insgesamt eher noch mehr als weniger Strom einspeisen«Wolf-Peter Schill, Energiewirtschaftler
Doch wird das Stromsystem durch die neuen Regeln tatsächlich stabiler? Und wird die Zahl negativer Strompreis kurzfristig sinken? »Das lässt sich im Voraus kaum prognostizieren«, sagt Wolf-Peter Schill, denn es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Wie häufig es an Sonn- und Feiertagen sonnig und windig wird, lässt sich nicht vorhersehen. Auch ist unklar, wie viele neue Solaranlagen wirklich mit einer Steuerbox ausgestattet werden und wie viele bestehende Anlagen sich künftig aktiv fernsteuern lassen. Und wenn Schill trotzdem eine Prognose wagt? »Dann vermute ich, dass das neue Gesetz noch keinen stark dämpfenden Effekt auf das Auftreten von negativen Preisen haben wird, da es ja vor allem auf Neuanlagen abzielt.«
Nach den Plänen der Bundesregierung soll der Ausbau der Solarenergie 2025 gegenüber dem Vorjahr noch einmal gesteigert werden. Dann rechnet Schill damit, »dass Fotovoltaikanlagen in den Spitzenstunden insgesamt eher noch mehr als weniger Strom einspeisen«. Kurzfristig dürfte die Zahl der Stunden mit negativen Strompreisen also noch weiter steigen. Gleichzeitig geht der Energiewirtschaftler aber davon aus, dass das Stromsystem nach wie vor damit umgehen kann: »Unmittelbar drohen keine Brownouts.« Auf lange Frist betrachtet könnte sich die Situation in den Stromnetzen dann jedoch insgesamt entspannen: »Ich gehe davon aus, dass die Flexibilisierung auf Angebots- und Nachfrageseite dazu führen wird, dass negative Preise weniger relevant werden oder irgendwann ganz verschwinden.«
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