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Covering Climate Now: Sollten Wissenschaftler fürs Klima protestieren?

Der breite Protest gegen die Klimapolitik fordert Forscher heraus: Sollten sie sich beteiligen? Oder beschädigt ein Engagement ihre Integrität? »Spektrum.de« hat sich umgehört.
Demonstration für Klimaschutz

Für den Freitag, den 20. September 2019, hatten Aktivisten zu einem globalen »Klimastreik« aufgerufen, um die Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) zu unterstützen. Aufgefordert sind nicht allein Schüler und Studierende, sondern alle Bürgerinnen und Bürger. Umweltverbände begrüßen das Vorhaben, genauso wie Gewerkschaften und Kirchen.

Sollte die Wissenschaft sich ebenfalls beteiligen? Ist es angesichts der gravierenden Probleme, die sich aus dem Klimawandel ergeben, nicht sogar Pflicht für Forscher, die Politik an ihre Verantwortung zu erinnern? Oder verlieren sie damit ihre Position als neutrale Analytiker – und damit das Vertrauen, das große Teile der Gesellschaft in sie haben?

Forscherinnen und Forscher kommen zu unterschiedlichen Antworten, wenn es um öffentliches Engagement für mehr Klimaschutz geht. Eine kleine Umfrage von »Spektrum.de« an zehn Universitäten, Forschungsgemeinschaften oder wissenschaftsnahen Behörden zeigt: Grundsätzlich wird Klimaschutz als wichtig erachtet.

Ist Klimaprotest eine Privatangelegenheit?

Bei der Frage, ob die Leitung Mitarbeiter bei der Teilnahme an Demos unterstützt und womöglich dazu aufruft, gehen die Antworten jedoch weit auseinander: Manche Institutionen antworten hier frei heraus mit Ja, einige lockern immerhin die Kernarbeitszeiten. Andere hingegen wiegeln ab, verweisen auf »rechtliche Rahmenbedingungen« oder sagen kurzum, Klimaprotest sei »eine Privatangelegenheit«.

Die wohl eindeutigste Haltung findet man an der TU Berlin. Hier unterstützt die Unileitung geschlossen die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung. Präsident Christian Thomsen hat neben Greta Thunberg auf einer Demo gesprochen und auch die Kritik des Youtubers Rezo an der Politik, insbesondere der CDU, wohlwollend bewertet.

Covering Climate Now | »Spektrum der Wissenschaft« beteiligt sich wie rund 200 andere Zeitungen, Nachrichtenmagazine und Onlineportale an der globalen Aktion »Covering Climate Now«, um in der Woche vor dem Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York (21. bis 23. September) verstärkt über Klimaschutz und Klimawandel zu berichten.

»Dafür gab es in den sozialen Medien sehr viele Likes, auch von Uni-Angehörigen«, sagt Steffi Terp, Leiterin der Kommunikation an der TU Berlin, die das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit offensiv platziert. »Ich habe bisher keine kritische Stimme aus der Universität dazu wahrgenommen, anders als wir es beim Thema Gender erleben.«

Andere Wissenschaftler tasten sich eher langsam an das Thema »Klimakrise« heran. So hatte es beispielsweise bei Gregor Hagedorn begonnen. Seit den 1980er Jahren befasst sich der Bioinformatiker mit Artenvielfalt, wie man Spezies und ihre Vielfalt bestimmen kann, welche Managementansätze hilfreich sind, um Biodiversität zu erhalten. »Kleine Schritte eben«, sagt Hagedorn.

»Bei 50 Prozent der Bevölkerung ist noch nicht angekommen, wie dramatisch die Lage ist«
Volker Quaschning, Energiesystem-Professor

Bis er nach rund 25 Jahren im Beruf zu der Erkenntnis kam, dass es sehr wohl Fortschritte gebe, diese jedoch keinesfalls ausreichten, um das Problem zu lösen. Das gelte für Biodiversität wie für den Klimawandel: Beides seien dramatische Entwicklungen, denen die Politik viel zu wenig entgegensetzt. »Die Fakten waren lange bekannt aus den Berichten des Weltklimarats, aber die hat keiner wirklich ernst genommen«, sagt er.

Die ungewöhnliche Karriere des Klimathemas

Als 2018 die Proteste der Schülerinnen und Schüler begannen, hat Hagedorn fasziniert beobachtet, wie das Thema nun endlich in die Medien gelangte und öffentliche Debatten bestimmte. Allerdings anders als erhofft. »Mit den Argumenten hat sich kaum jemand auseinandergesetzt, eher wurde vermeintliches Fehlverhalten thematisiert, ob man der Schule fernbleiben oder Erdbeeren aus Plastikschalen essen darf.«

Für den Berliner Forscher war klar, dass hier Solidarität gefragt ist, denn die Argumente der FFF-Bewegung seien fachlich weitgehend korrekt. So dachten etliche Wissenschaftler und bildeten die »Scientists for Future«. Sie sagen: Die Schüler haben Recht – und ohne entschlossenen Klimaschutz wird die Erderwärmung deutlich voranschreiten, mit gravierenden Folgen. 26 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben im Frühjahr 2019 eine entsprechende Stellungnahme unterzeichnet.

Eine politische Rolle strebe man dabei aber nicht an, sagt Hagedorn, der zugleich einer der Koordinatoren der Scientists for Future in der Region Berlin-Brandenburg ist. »Wir wollen den Schülern den Rücken stärken, anstatt uns bei ihnen unterzuhaken.« Das bedeute beispielsweise, Experten für ihre Fragen zu vermitteln.

»Wissenschaftler sind nicht per se schlauer als Handwerker oder Frisöre«
Hans von Storch, Klimaforscher

Über den Vorwurf, die Scientists for Future seien Aktivisten, ärgert er sich. »Wir sind keine Kampagnenorganisation. Wir wollen die nötigen Informationen bereitstellen, um den Diskurs rationaler zu machen, im Grunde also eine Form der Wissenschaftskommunikation.« Wie viele Forscher bei den Scientists for Future aktiv sind, lässt sich Hagedorn zufolge nur schätzen. 500 bis 1000 im gesamten Bundesgebiet sollen es sein, die sich regelmäßig einbringen, ehrenamtlich in ihrer Freizeit.

Längst nicht alle Scientists for Future sind öffentlich präsent

Längst nicht alle sind dabei öffentlich so präsent wie Volker Quaschning, im Hauptberuf Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. In den sozialen Medien schildert Quaschning immer wieder, wie er und seine Familie sich für Klimaschutz engagieren, auf Demos und indem sie darauf verzichten zu fliegen. »Ich sehe ein Existenzproblem für die nachfolgenden Generationen«, sagt er. »Und ich sehe ein Kommunikationsproblem der Wissenschaft.« Die Politik bekomme die Fakten durch zahlreiche Gutachten präsentiert, doch sie handle nicht entsprechend. »Also müssen die Ergebnisse in die Öffentlichkeit.«

Das heißt für Quaschning: vereinfachen. Journalisten mögen das, Fachkollegen nicht unbedingt. »Ich erlebe immer wieder, dass Leute die Nase rümpfen und sagen, ich stelle die Zusammenhänge zu simpel dar.« Aber aus seiner Sicht ist das schlicht nötig, um viele Menschen für das Thema zu sensibilisieren. »Bei 50 Prozent der Bevölkerung ist noch nicht angekommen, wie dramatisch die Lage ist.«

Vielleicht liegt das daran, dass die Politik so träge auf die Klimabedrohung reagiert. Keine der politischen Parteien hat bisher ein Programm vorgelegt, das dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, auch nur nahekäme. Zwar hat sich mittlerweile die Rhetorik von Spitzenpolitikern gewandelt: Auch sie rufen seit einigen Wochen dazu auf, mit Nachdruck gegen die globale Erwärmung vorzugehen. Gleichzeitig müht sich die Große Koalition sichtlich damit ab, ein konsensfähiges und zugleich effektives Klimaschutzpaket vorzulegen.

Zeit für eine Revolution also? »Demokratie ist eine gute Sache«, sagt Quaschning. Sie habe starke Selbsterhaltungskräfte und könne radikale Veränderungen abfedern. Ob sie jedoch in der Lage sei, adäquat auf die Klimakrise zu reagieren, wisse er nicht. Der mitteilsame Energiesystem-Professor hat sich fürs Erste entschlossen, auf die bestehenden Gesetze und Verträge zu dringen. Gemeinsam mit weiteren Einzelpersonen und Verbänden hat er im November 2018 eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie richtet sich gegen das Unterlassen geeigneter gesetzlicher Vorschriften und Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels durch die Bundesrepublik Deutschland.

Kritiker der Klimaproteste

Wer mit mehreren Scientists-for-Future-Anhängern redet, kann leicht vergessen, dass es auch innerhalb der Wissenschaft abweichende Stimmen gibt. Längst nicht alle demonstrieren fürs Klima. Auch Hans von Storch nicht: »Den meisten geht es doch darum, zu zelebrieren: Ich bin besser als mein Nachbar«, sagt der Klimaforscher vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht.

Grundsätzlich kann von Storch den Wunsch nachvollziehen, als Bürger aktiv zu werden und etwa an einer Demonstration teilzunehmen. Schwierig wird es seiner Meinung nach, wenn sich seine Kollegen als Forscher präsentieren und den Klimaschutz als wichtigste Aufgabe darstellen. »Wissenschaftler sind nicht per se schlauer als Handwerker oder Frisöre«, findet er. »Sie haben in ihrem Fachgebiet Ahnung, doch das ist nur ein winziger Ausschnitt dessen, was die Gesellschaft ausmacht.«

Welches Thema das vordringliche sei, ob Gesundheit, der Ausgleich gravierender sozialer Ungleichheiten, das Klima oder etwas ganz anderes, das könnten sie schlicht nicht beurteilen. Eines herauszugreifen und dies im Namen der Wissenschaft über andere zu erheben, findet von Storch jedenfalls anmaßend.

Außerdem beobachtet er, dass in der öffentlichen Debatte zwei andere Themen kaum stattfinden: zum einen die Frage, wie Menschen nicht nur in Deutschland oder Europa ihren CO2-Ausstoß senken können, sondern weltweit, bei möglichst hohem Lebensstandard. Und zum zweiten die Frage nach der Anpassung: was konkret zu tun ist, um mit den Folgen des globalen Wandels zurechtzukommen.

Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, geht offensiv mit der Sonderrolle der Wissenschaft um. »In unserem Selbstverständnis sind wir eine elitäre Ingroup, wir haben viel Wissen, das anderen nicht zugänglich ist«, sagt er – und sieht sich in der Pflicht, das zu ändern.

»Auch Wissenschaftler haben Vorannahmen, die zu Urteilsfehlern beitragen können«
Rainer Bromme, Psychologe

»Wir haben täglich tausende Besucherinnen und Besucher und erleben ihren Hunger nach Wissen, nach Austausch.« Als die Fridays-for-Future-Bewegung begann, hat Vogel sein Haus geöffnet: ein neutraler Ort, wo freitags hunderte Schüler mit Forschern ins Gespräch kommen. Auf die Neutralität legt er großen Wert: »Fridays for Future ist eine super Bewegung, aber die brauchen mich nicht als Fürsprecher.«

Wie neutral müssen Wissenschaftler sein?

Wobei das mit der Neutralität so eine Sache ist. Forscher berufen sich gern auf ihren Status als sachliche Wissensvermittler, gerade im Umgang mit der Öffentlichkeit. Das Bild war noch nie ganz richtig, doch die Klimaproteste scheinen es nun definitiv ins Wanken zu bringen. »Das wurde vielfach untersucht, und der Befund ist klar: Auch Wissenschaftler haben Vorannahmen, die ihre Sicht bestimmen und zu Urteilsfehlern beitragen können«, erklärt Rainer Bromme, Psychologe an der Universität Münster, der unter anderem zum Vertrauen in die Wissenschaft forscht.

Für Forscher sind starke Einzelmeinungen an und für sich nichts Neues. Die Wissenschaft verfügt über Mechanismen, die das System vor logischen Fehlschlüssen Einzelner schützen. Von diesem Nimbus profitieren Forscher auch dann, wenn sie ihre Meinung in die Öffentlichkeit tragen. Lange Zeit reklamierten sie für sich: Wir stellen die Fakten bereit, entscheiden muss die Gesellschaft.

Teilnehmer des Heidelberger March for Science

Die Scientists for Future tragen aus Sicht von Rainer Bromme dazu bei, dass sich diese Trennlinie zwischen Wissenschaft und Politik weiter verschiebt. »Das begann bereits vor Jahrzehnten, man denke nur an Initiativen wie IPPNW – Ärzte gegen Atomkrieg – oder den March for Science vor zwei Jahren, wo Forscher ihre Position in die Gesellschaft getragen haben.«

Der Wandel zeige sich beispielsweise bei einer Äußerung des FDP-Chefs Christian Lindner, der die Schüler aufforderte, doch auf die Experten zu hören. Noch vor einiger Zeit hätten Wissenschaftler darauf wohl nicht reagiert. »Nun aber haben viele Forscher gesagt: Okay, wenn so klar auf uns verwiesen wird, dann positionieren wir uns und bestätigen: Die Schüler haben Recht«, sagt Bromme. Wie viele Forscher durch die Klimaproteste politisiert wurden, ist allerdings offen.

Bisher kann man dies allenfalls auf Basis von Anekdoten schätzen. Am Heidelberg Center for the Environment (HCE) beispielsweise wurde lebhaft über eine Unterstützung der lokalen Fridays for Future diskutiert, erzählt dessen Leiter Thomas Meier. Am Ende gab es eine Stellungnahme, knapp die Hälfte der 80 Mitglieder hat unterschrieben. »Das waren erstaunlich viele«, sagt Meier.

Er ergänzt allerdings, dass man dieses Engagement nicht überbewerten solle. Gerade im Umweltbereich sei es derzeit groß in Mode, sich mit der Bewegung zu solidarisieren. In Gesprächen höre er viele positive Äußerungen zu der Stellungnahme. »Mir scheint, das sind oft Lippenbekenntnisse, weil bisher keine persönlichen Anforderungen damit verbunden sind.« Ob die Zustimmung erhalten bleibe, sehe er eher skeptisch.

Forscher gewinnen an Vertrauen, wenn sie sich für das Allgemeinwohl einsetzen

Psychologe Bromme sagt dazu: »Ich habe den Eindruck, dass es mehr werden, aber es gibt noch keine belastbaren Daten.« Für ihn ist besonders spannend, ob sich damit auch das Vertrauen in die Wissenschaft verändert. Seine bisherigen Untersuchungen, die Befragungen des Wissenschaftsbarometers sowie die von Fachkollegen hätten grundsätzlich gezeigt: Je deutlicher wahrgenommen wird, dass ein Experte Eigeninteressen verfolgt, er womöglich »aggressive« Sprache nutzt, desto eher kommt es zu Vertrauensverlust. Wer sich jedoch erkennbar für das Allgemeinwohl einsetze, werde sogar noch ein bisschen mehr geschätzt.

Zugleich stellt der Klimawandel seiner Meinung nach die Idee des völlig neutralen Wissenschaftlers in Frage. Hat ein Fachexperte nicht sogar die Verantwortung, brisante Ergebnisse seiner Forschung mit mahnenden Worten in die Öffentlichkeit zu tragen? Bromme verweist auf das Buch »The Discovery of Global Warming« von Spencer Weart und die Anfänge des Weltklimarats.

Dieser wollte zu Beginn nicht nur Daten sammeln, sondern das Thema auch auf die politische Agenda bringen. »Wir verdanken die heutige Klimadebatte dem Einsatz der Forscher von damals«, betont Bromme. »Sie haben sich nicht auf eine neutrale Position zurückgezogen, sondern das Thema bewusst in Politik und Gesellschaft gebracht.« Vielleicht ist nun, 30 Jahre später, erneut eine Zeit gekommen, in der das nötig ist.

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