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Zeitmessung: Sonnenlicht sorgte für konstante Tageslänge

Eigentlich nimmt die Tageslänge beständig zu. Astrophysiker konnten nun zeigen, dass vor etwa zwei Milliarden Jahren die von der Sonne aufgeheizte Erdatmosphäre den Tag auf 19,5 Stunden Länge einfror.
Erde-Mond-System mit Sonne
Die drei Körper stehen in einem komplexen Abhängigkeitsverhältnis. Nun wurde klar, dass die Einstrahlung der Sonne für Milliarden Jahre einen gleich langen Erdtag bewirkte.

Der Tag hat 24 Stunden – es klingt wie eine Binsenweisheit, aber das war nicht immer so. Tatsächlich weiß man das schon seit Längerem, aber nun legen Norman Murray und sein Team ein neues Resultat vor, das im Fachblatt »Science Advances« erschienen ist. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Einstrahlung der Sonne auf die Erdatmosphäre für lange Zeit während der Erdgeschichte für eine konstante Tageslänge von 19,5 Stunden sorgte.

Lunare Gezeiten

Unser Mond entstand nach gängiger Lehrmeinung vor 4,5 Milliarden Jahren in einer verhängnisvollen Kollision mit einem etwa marsgroßen Körper mit der Urerde. Damals war die Erdkugel ein flotter Rotator und die Tageslänge betrug weniger als zehn Stunden. Sie war demnach vergleichbar mit der aktuellen Rotationsperiode des Planetengiganten Jupiter.

Seither bildet die Erde ein enges System mit dem Mond. Die beiden rotierenden Massen wechselwirken miteinander. Hier tritt das Phänomen der Gezeitenreibung auf. Dabei ziehen die Gravitationskräfte des Mondes an der Erde und verformen sie: Es gibt Flutberge, aber auch die Landmassen geraten in Bewegung. Umgekehrt zieht die Schwerkraft der Erde an unserem Begleiter und verformt ihn in ähnlicher Weise. Die Erde dreht sich unter den Flutbergen weiter. Man kann sich vorstellen, dass sie wie Bremsbacken wirken und allmählich die Rotation der Erdkugel verlangsamen. Der Trend ist klar: Die Tageslänge nimmt zu, und zwar derzeit um 1,7 Millisekunden pro Jahrhundert.

Kosmisches Kräftemessen

Aber auch die Sonne trägt zu den irdischen Gezeiten bei. Zum einen geschieht dies gravitativ, jedoch mit geringerer Ausprägung als durch den Mond, weil die Sonne weiter entfernt ist. Zum anderen gibt es thermische Auswirkungen, denn das Sonnenlicht trifft auf die Erdatmosphäre und erwärmt sie. Das erzeugt thermische Tiden, die in der vorliegenden neuen Studie genau untersucht wurden. Dabei wandern atmosphärischen Gasmassen angetrieben von der Wärme der Sonne durch die Erdatmosphäre. Es kann zu Resonanzeffekten kommen, nämlich dann, wenn die Umlaufzeit der atmosphärischen Welle zur Rotationszeit der Erde passt. Das kann ein 1 : 1-Verhältnis oder auch ein anderes Verhältnis aus ganzen Zahlen sein. Im Resonanzfall verlangsamen die thermischen Tiden nicht die Rotation, sondern beschleunigen sie sogar. Murray vergleicht das mit einem Kind auf einer Schaukel, die man genau zum richtigen Zeitpunkt anschubst.

Sonne stabilisiert Erdrotation

Die meiste Zeit war der Einfluss des Erdmonds größer als derjenige der Sonne. Doch im Zeitraum vor ungefähr zwei Milliarden Jahren bis vor 600 Millionen Jahren glichen die von der Sonne angetriebenen Effekte in der Erdatmosphäre den Einfluss unseres Trabanten aus, so dass die Erde ihren Rotationszustand halten konnte. Entsprechend blieb die Tageslänge über diese lange Zeit konstant auf rund 19,5 Stunden. Ohne dieses Pausieren hätten wir heute keinen 24-, sondern einen 60-Stunden-Tag!

Die Wissenschaftler erklären das abweichende Verhalten in der betreffenden Epoche damit, dass vor zwei Milliarden Jahren die Erdatmosphäre heißer war. Entsprechend schlugen die atmosphärischen Wogen mehr aus. So konnte das Sonnenlicht die Drehung der Erde stabilisieren. Die Verhältnisse waren damals gerade richtig für einen Resonanzeffekt: Die Zeit, welche die atmosphärischen Gezeitenberge für eine Reise um die Erde benötigten, etwa zehn Stunden, stand in einem resonanten, ganzzahligen Verhältnis zur damaligen Tageslänge, nämlich rund 20 Stunden.

Murray und sein Team kamen dem Phänomen mit Modellen für die globale atmosphärische Zirkulation auf die Schliche. Im Prinzip sind das Klimamodelle. Mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen identifizierten sie, welche Eigenschaften im System aus Sonne, Erde und Mond geherrscht haben mussten.

Heutzutage benötigt die atmosphärische Welle 22,8 Stunden für einen Umlauf um den Erdball. Sie ist nicht mit der Tageslänge von 24 Stunden synchronisiert. Daher sind die atmosphärischen Tiden gering und der Mond hat die Oberhand.

Die neuen Forschungsergebnisse legen auch nahe, dass der Klimawandel die Tageslänge beeinflusst. Durch die Zunahme der mittleren Temperatur in der Erdatmosphäre entfernen sich die Verhältnisse von der Resonanz. Das verstärkt den Effekt der zunehmenden Tageslänge.

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