Sonnenaktivität: Gefahr durch solare Superstürme
Die Sonne ist nicht immer so ruhig und unveränderlich, wie sie aus der Ferne scheint. Vielmehr gibt es auf unserem Stern von Zeit zu Zeit gewaltige Eruptionen, bei denen aus der Oberfläche unvorstellbare Mengen an energiereichen Teilchen hervorbrechen. Solche »koronalen Massenauswürfe« dauern zwar nur einige Stunden, aber können auf der Erde verheerende Schäden anrichten. Ein Beispiel dafür sticht in der Geschichtsschreibung besonders hervor: das Carrington-Ereignis von 1859, benannt nach dem englischen Astronomen Richard Christopher Carrington, der es seinerzeit genau dokumentierte.
Dabei überrollte ein so genannter magnetischer Sturm die Erde, das heißt, die elektrisch geladenen Teilchen aus dem Sonnenplasma brachten das Magnetfeld unseres Planeten durcheinander. Das erzeugte nicht nur prachtvolle Polarlichter bis in tiefe Breitengrade, sondern außerdem Spannungsspitzen im weltweiten Telegrafienetz, die sogar Brände auslösten. Damals hinterließ das exotische Phänomen nur begrenzte Schäden an der Infrastruktur. Heute jedoch gilt ein magnetischer Sturm, der mit dem Carrington-Ereignis vergleichbar wäre, als Katastrophenszenario, bei dem die induzierten Ströme etwa Transformatoren und Signalverstärker in Leitungsnetzen zerstören würden. Beobachtungen aus jüngerer Zeit sowie Daten zu weiteren Vorkommnissen aus der Vergangenheit verdeutlichen die ständige Gefahr.
Sonnenstürme können sogar noch energiereicher sein. 2012 hat ein Team um die japanische Physikerin Fusa Miyake Hinweise auf einen Teilchenschauer entdeckt, der sich etwa im Jahr 775 ereignete und rund 10- bis 100-mal gewaltiger war als das Carrington-Ereignis. Nicolas Brehm von der ETH Zürich, der die Sonnenaktivität in der Vergangenheit untersucht, meint dazu: »Wir hatten ein Ereignis so einer Größenordnung bis dahin nicht für möglich gehalten.« Miyake und ihr Team konnten sich die Ursache anfangs nicht erklären; andere Forscher spekulierten bald, es könnte das Ergebnis einer »Superflare« sein, die viel stärker wäre als eine normale Sonneneruption. Schätzungen zufolge sollte so etwas nur einmal im Verlauf von 10 000 Jahren passieren.
Nun stellt sich heraus: Solche Phänomene treten wohl häufiger auf als zunächst gedacht. Gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen hat Brehm 2021 bei geochemischen Untersuchungen zwei weitere, beunruhigend heftige Sonnenstürme ausgemacht. Der erste ereignete sich 7176 v. Chr., der zweite 5259 v. Chr. Beide dürften mindestens so stark gewesen sein wie jener von 775. Nach ihrer Entdeckerin heißen derartige Superflares heute Miyake-Ereignisse.
Die Suche nach Sonneneruptionen in der irdischen Geschichte basiert auf Analysen von Proben aus dem Eis an den Polkappen sowie von alten Bäumen, die in Mooren oder auf Berggipfeln konserviert wurden. Wenn Teilchen von der Sonne auf die Atmosphäre treffen, erzeugen sie radioaktive Varianten verschiedener Elemente. Diese Isotope reichern sich in der Umwelt an. Dergestalt gebildeter Kohlenstoff-14 wird etwa von wachsenden Bäumen eingelagert. Mit Hilfe der charakteristischen Jahresringe im Stamm lassen sich die erhöhten Isotopenkonzentrationen konkreten Zeiträumen zuordnen. Je mehr Kohlenstoff-14 in einem Abschnitt vorhanden ist, desto mehr energiereiche Teilchen von der Sonne haben zum Zeitpunkt seiner Entstehung die Atmosphäre bombardiert.
Die natürlichen Datenschreiber der vergangenen Jahrtausende sind nur zum Teil ausgewertet
Die Isotopenkonzentrationen von Beryllium-10 und Chlor-36 in Eisbohrkernen liefern ähnliche, wenn auch zeitlich etwas weniger genau eingrenzbare Datensätze. Zusammengenommen ermöglichen die beiden Methoden Einblicke in die irdische Vergangenheit. Dabei gibt es zwar Jahresringdaten für den größten Teil des Holozäns, der gegenwärtigen geologischen Epoche, die vor etwa 12 000 Jahren begann. Es ist jedoch aufwändig, das Material nach Ausschlägen bei der Kohlenstoff-14-Konzentration zu durchsuchen. Für ein einzelnes Jahr müssen in der Regel wochenlang mehrere Proben von Jahresringen analysiert und miteinander korreliert werden. »Von den 12 000 Jahren des Holozäns haben wir erst 16 Prozent geschafft«, kommentiert Alexandra Bayliss, Umweltwissenschaftlerin und Datierungsspezialistin an der britischen University of Stirling und Koautorin von Brehms Studie. »Letztlich ist es eine Frage von Zeit und Geld.«
Brehm und sein Team hatten Glück. Für das Ereignis im Jahr 7176 v. Chr. haben sie in Eisbohrkernen erste Hinweise auf außergewöhnlich viel Beryllium-10 gefunden. Sie untersuchten daraufhin Jahresringe und erkannten einen dazu passenden Ausschlag bei der Kohlenstoff-14-Menge. Beim Fall von 5259 v. Chr. hatte Bayliss, die Objekte aus der Jungsteinzeit untersucht, eine Lücke in den archäologischen Daten festgestellt. Beim Versuch, diese mit der Analyse von Baumstämmen aus jener Zeit zu schließen, fand das Team wiederum reichlich Kohlenstoff-14. In beiden Fällen entsprach die Menge etwa den Isotopenkonzentrationen, die Miyake in ihren Nachweisen des Ereignisses von 775 gemessen hatte.
Bereits kurz nach Miyakes Fund 2012 sprachen sich die US-Physiker Adrian Melott und Brian Thomas für die Sonne als Verursacherin solcher Isotopenspitzen aus. »Schon damals vermuteten einige dahinter stattdessen eine Supernova oder sogar einen Gammastrahlenausbruch«, erinnert sich Thomas, der nicht an der Studie von Brehm beteiligt war. »Aber so etwas passiert einfach zu selten. Eine Erklärung auf Grundlage solarer Aktivität passt deutlich besser.« Solche starken, häufigen Ausschläge seien demnach eher das Ergebnis erhöhter Sonnenaktivität, möglicherweise begleitet von einem geomagnetischen Sturm ähnlich dem Carrington-Ereignis – bloß erheblich intensiver. Bayliss stellt nämlich fest: »Das Carrington-Ereignis ist in Baumringen und Eisbohrkernen nicht einmal nachweisbar.« Das Spektakel von 1859 scheint also vergleichsweise harmlos gewesen zu sein.
Indes bleibt unklar, wie eine größere Menge von Partikeln von der Sonne und ein begleitender magnetischer Sturm zusammenhängen. »Ein intensives Niederprasseln von Teilchen wird oft mit einem magnetischen Sturm in Verbindung gebracht, aber das muss nicht unbedingt sein«, sagt Thomas. Es könnte sogar sein, dass Vorgänge wie das Carrington-Ereignis überhaupt keine Spitzen bei der Menge von Kohlenstoff-14 verursachen. Das würde dessen Abwesenheit in zugehörigen Jahresringen und Eisbohrkernen erklären. Zumindest das Vorkommnis im Jahr 775 scheint immerhin von intensiven Polarlichtern begleitet worden zu sein, wie Aufzeichnungen aus China nahelegen. Das deutet auf einen magnetischen Sturm neben dem gewaltigen Teilchenbombardement hin. »Die sicherste Wette dürfte sein, bei all diesen Ereignissen auf starke magnetische Stürme zu setzen«, glaubt Thomas. Das hieße, dass die Erde allein in den letzten 10 000 Jahren von mindestens drei Superflares heimgesucht wurde. Beweise für weitere könnten in den 84 Prozent der Jahresringdaten stecken, die noch ihrer Untersuchung harren.
Wenn sich ein derart kräftiger Sonnensturm heutzutage ereignen und uns treffen würde, hätte das verheerende Auswirkungen auf die Satelliten in der Erdumlaufbahn und auf die Infrastruktur am Boden. Die Computerwissenschaftlerin Sangeetha Abdu Jyothi von der University of California in Irvine hat 2021 für einen Sturm vom Ausmaß des Carrington-Ereignisses sogar eine »Internetapokalypse« prophezeit. Die induzierten Ströme könnten Unterseekabel unbrauchbar machen, da alle rund 100 Kilometer Signalverstärker in die Kabel eingearbeitet sind, die womöglich massenhaft zerstört würden. Das könnte den weltweiten Internetverkehr über Wochen oder gar Monate lahmlegen. Allein in den USA läge der Schaden durch eine solche Katastrophe nach Schätzungen von Abdu Jyothi bei täglich sieben Milliarden Dollar. Ein noch heftigeres Miyake-Ereignis hätte fast unkalkulierbare Folgen. »Von einem Ereignis der Carrington-Größenordnung könnten wir uns erholen, weil keine Daten gelöscht werden«, erläutert Abdu Jyothi. »Bei etwas, das 10- oder 100-mal stärker ist, bin ich mir nicht mehr sicher. Möglicherweise verlieren wir alle Aufzeichnungen.«
Allerdings dürfte die Gefahr für unsere Zivilisation, in absehbarer Zeit von einem Miyake-Ereignis in ein dunkles Zeitalter gestürzt zu werden, rein mathematisch eher gering sein. Bezüglich eines Vorkommnisses auf Carrington-Niveau im Lauf der nächsten zehn Jahre werden jedoch Wahrscheinlichkeiten von bis zu zwölf Prozent gehandelt. Wir können eine drohende Katastrophe am besten abwenden, indem wir die Sonnenaktivität überwachen und kritische Infrastruktur abschalten, bevor ein koronaler Massenauswurf rund einen Tag später hier auftrifft.
In alten Jahresringen und Eisbohrkernen finden Fachleute unterdessen immer wieder Hinweise auf weitere extreme Sonnenstürme. »Wir erkennen allmählich, dass die Sonne viel aktiver sein kann als gedacht«, resümiert Thomas. »Nach der Entdeckung von Superflares bei anderen Sternen war umstritten, ob auch unserer zu so etwas in der Lage wäre. Den Daten zufolge scheint das der Fall zu sein.«
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