Sonnensystem: Keine Spur von Planet Neun
Existiert irgendwo da draußen, in den äußeren Bereichen des Sonnensystems, ein neunter, unsichtbarer Planet, der mindestens die fünffache Masse der Erde hat? Darüber diskutieren Forscher schon seit Jahren. Jetzt hat diese Hypothese allerdings einen Rückschlag erlitten: Laut einer Analyse von Objekten aus dem potenziellen Einflussbereich dieses neunten Planeten sieht es nicht so aus, als ob die Himmelskörper unter der Anziehungskraft eines riesigen Planeten stehen. Die Ergebnisse schließen die Möglichkeit eines neunten Planeten zwar nicht aus, aber die Astronomen betonen, es bräuchte mehr Daten, um hier eindeutige Aussagen zu treffen.
Die Debatte um einen neunten Planeten wurde 2016 von den Astronomen Mike Brown und Konstantin Batygin am California Institute of Technology in Pasadena losgetreten, als diese beobachteten, dass die Bahnen von sechs transneptunischen Objekten (TNOs) – Teil des Kuipergürtels, einer Sammlung von kleinen Körpern, die die Sonne jenseits des Neptuns umkreisen – auffällig gebündelt erschienen.
Diese Anhäufung, so die Forscher, müsse auf den Gravitationseinfluss eines riesigen Planeten zurückzuführen sein, der sich irgendwo im äußeren Sonnensystem versteckt, mindestens 400-mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde oder etwa zehnmal so weit wie der berühmteste TNO, der Zwergplanet Pluto. Sollte sich die Existenz dieser fernen Welt bestätigen, wäre dies eine große Entdeckung – ein Riese jenseits des Neptuns, der zweifelsfrei als Planet eingestuft werden würde.
Zu wenig Daten aus der ersten Untersuchung?
Doch nicht alle Astronomen waren überzeugt. Andere Untersuchungen ließen Zweifel aufkommen, ob TNOs tatsächlich gehäuft vorkommen – oder ob es nur so aussah, weil die Forscher lediglich bestimmte Daten erhoben. Ein Team unter der Leitung von Kevin Napier, einem Physiker an der University of Michigan, hat diese Analyse nun weitergeführt. Die Forscher kombinierten drei Untersuchungen der Bahnen von 14 »extremen« TNOs (ETNOs) – also jenen, die weit jenseits des Neptuns kreisen –, und ihre Analyse ergab, dass die Bahnen der Objekte ohne die Anwesenheit eines nahen Planeten erklärt werden können. Nach Berücksichtigung von Selektionsverzerrungen – der Tatsache, dass Forscher nur einen kleinen Teil des äußeren Sonnensystems beobachtet haben – legen die Daten nahe, dass ETNOs gleichmäßig über den Himmel verteilt sind. Die Ergebnisse des Teams wurden am 10. Februar 2021 auf dem Preprint-Server arXiv veröffentlicht.
Um zu untersuchen, ob es sich bei den Objekten wirklich um Cluster handelt, erstellte Napiers Team ein Computermodell, das zehn Milliarden gleichmäßig verteilte ETNOs im äußeren Sonnensystem simulierte, und berechnete dann die Chancen, dass die Beobachtung einer kleinen Stichprobe davon Ergebnisse liefern würde, die mit den bestehenden Beobachtungen übereinstimmen. Das Team kam zu dem Schluss, es gebe zumindest keinen Grund, anzunehmen, ETNOs seien nicht gleichmäßig verteilt, und es sei möglich, dass beobachtete Objekte nur auf Grund von Selektionsverzerrungen gehäuft auftauchen. »Das bedeutet nicht, dass Planet Neun nicht da ist, doch seine Anwesenheit ist nicht notwendig, um die Daten zu erklären«, sagt Napier.
»Wir müssen wissen, wann und wohin das Teleskop zeigte und wie schwach ein Objekt war, das das Teleskop erkennen konnte«
Kevin Napier, Physiker
Brown ist anderer Meinung. »Ich habe alle ihre Daten auf unser altes Papier geplottet, und wenn man sich das einfach anschaut, dann sieht es sehr geclustert aus«, sagt er. »Es gibt tatsächlich starke Beweise für Planet Neun in ihren Daten.« Er weist darauf hin, dass das Papier nicht die sechs TNOs enthält, die er und Batygin in ihrer ursprünglichen Forschung verwendet haben. Zudem argumentiert er, die Forscher hätten ein gewisses Rauschen in ihren Daten, weil ihre Analyse Objekte berücksichtigt, deren Umlaufbahnen durch ihre Nähe zu Neptun beeinflusst werden könnten.
Laut Napier hingegen hat das Team die ursprünglichen sechs Objekte von Brown und Batygin nicht in seine Analyse einbezogen, weil nicht genügend Daten über diese aus den früheren Erhebungen verfügbar waren, um sie einzuschätzen. »Wir müssen wissen, wann und wohin das Teleskop zeigte und wie schwach ein Objekt war, das das Teleskop erkennen konnte«, sagt er. »In der Vergangenheit war das bei den Erhebungen eher nicht der Fall.«
Unterstützung bekommt er von Samantha Lawler, einer Astronomin an der University of Regina in Kanada, die am Outer Solar System Origins Survey gearbeitet hat – einer der Erhebungen, die Napiers Team in seiner Analyse verwendet hat: Sie stimmt mit den Schlussfolgerungen des Teams überein und sagt ebenfalls, dass es keinen eindeutigen Hinweis auf den Planeten Neun gibt, wenn die einfachere Erklärung der Selektionsverzerrung die Daten erklärt.
»Ich kann nicht sagen, dass die Theorie von Planet Neun tot ist. Allerdings gibt es keine Beweise dafür«
Samantha Lawler, Astronomin
»Es gibt keinen Hinweis auf irgendeine Art von Clusterung in den Bahnen dieser entfernten TNOs, sie sind gleichmäßig verteilt«, sagt sie. »Ich kann nicht sagen, dass die Theorie von Planet Neun tot ist. Allerdings gibt es keine Beweise dafür.«
Tausende weitere Objekte
Lawler zufolge sind neue Untersuchungen des äußeren Sonnensystems nötig, um nach weiteren Beweisen für eine Häufung zu suchen. Eine der besten Chancen, solche Beweise zu finden – wenn es sie gibt –, hat das Vera C. Rubin Observatory in Chile, das 2022 eine zehnjährige Studie zur Untersuchung des Himmels beginnen wird.
»Sie werden Tausende weiterer Kuipergürtel-Objekte entdecken«, sagt Lawler. »Ich denke, wir haben wirklich alles getan, was wir mit den Daten, die wir derzeit haben, tun können.« Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es Planet Neun nicht gibt, habe er bei den Astronomen eine Menge nützliches Interesse am äußeren Sonnensystem geweckt. »Die Theorie von Planet Neun war fantastisch für die Erforschung des Kuipergürtels.«
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