Immunbiologie: SOS mit ATP
Unser Immunsystem hat ständig zu tun: Absterbende oder entartete Zellen, fremde Eindringlinge, gesundheitsschädliche Substanzen, sie alle wollen erkannt, gemeistert und letztlich entsorgt werden - und das möglichst schnell. Doch dafür braucht der Körper ein gutes Alarmsystem.
Unser Immunsystem wehrt nicht nur körperfremde Substanzen und Mikroorganismen ab, es beseitigt kontinuierlich auch anomale – zum Beispiel maligne, also bösartig entartete – körpereigene Zellen. Viele zelluläre Mechanismen, die an der Immunabwehr beteiligt sind, kennen die Forscher inzwischen, doch die wesentliche Frage wird immer noch diskutiert: Welche Prozesse lösen letztendlich die Immunantwort des Körpers aus?
Diese Prozesse sind komplex, denn die der jeweiligen Situation angemessene Antwort ist eine Gratwanderung: Um Infektionen bekämpfen zu können, muss das Immunsystem zunächst körpereigene Substanzen und körperfremde Substanzen unterscheiden. Es muss zuverlässig auf Krankheitserreger reagieren, darf jedoch auf keinen Fall durch körpereigene Proteine aktiviert werden, weil es dann zu Autoimmunkrankeiten wie zum Beispiel Multipler Sklerose kommen kann. Andererseits dürfen bestimmte körperfremde Substanzen nicht zu einer Aktivierung des Immunsystems führen: Zum Beispiel muss sich das Immunsystem gegenüber nicht krankheitserregenden Keimen im Magen-Darm-Trakt oder Fremdproteinen des Embryos im Mutterleib "tolerant" verhalten.
Neben dem angeborenen Immunsystem, zu dem unter anderem auch Makrophagen – die Fresszellen – gehören, verfügen höher entwickelte Säugetiere wie der Mensch auch über ein adaptives, also "lernendes" Immunsystem. Bei letzerem spielen die Lymphozyten durch Erkennung fremder Proteine – der Antigene – und Produktion von Antikörpern eine wichtige Rolle.
In den 1990er Jahren erweiterte Charles Janeway das klassische Bild der Regulation des Immunsystems um die Erkenntnis, dass das adaptive Immunsystem durch das angeborene Immunsystem gesteuert wird. Er konnte zeigen, dass Zellen des angeborenen Immunsystems – zum Beispiel Makrophagen – durch zwei parallele Mechanismen zur Aktivierung des adaptiven Immunsystems beitragen. Erstens dadurch, dass sie Krankheitserreger in sich aufnehmen und deren körperfremde Proteinfragmente an ihrer Oberfläche "präsentieren", sodass diese von den Lymphozyten erkannt werden können. Zweitens aber auch dadurch, dass sie, ebenfalls an ihrer Oberfläche, körpereigene Signalmoleküle, so genannte costimulatorische Moleküle, präsentieren. Letzteres geschieht dann, wenn die Zellen typische molekulare Strukturelemente von Krankheitserregern als eine Art Infektionssignal erkennen. Fehlen diese Infektionssignale, reagieren die Lymphozyten nur schwach oder gar nicht auf Fremdproteine.
Allerdings war Janeways Erkenntnis nur eine Verlagerung des Problems, denn es stellte sich nun die Frage, warum die Zellen des angeborenen Immunsystems in manchen Situationen durch Infektionssignale aktiviert werden und in anderen nicht. Außerdem blieb weiterhin unklar, wie das angeborene Immunsystem aktiviert wird, wenn es zu Immunreaktionen kommt, die nicht von Erregern ausgelöst werden.
Diesem Problem scheinen nun Marburger Forscher um Peter Hanley auf die Spur gekommen zu sein. Ihre Arbeit bestätigt die Hypothese der amerikanischen Immunologin Polly Matzinger, dass bei der Aktivierung des Immunsystems neben der Antigenerkennung und den Infektionssignalen noch ein dritter Mechanismus eine wichtige Rolle spielt: die Freisetzung von Alarmsignalen. Matzinger vermutete, dass die Zellen des angeborenen Immunsystems bevorzugt dann auf körperfremde Substanzen reagieren, wenn körpereigene Zellen aufgrund einer Infektion durch pathogene Keime oder nach mechanischer Beschädigung Alarmsignale aussenden. Als hypothetische Alarmsignale sah sie Moleküle an, die sich normalerweise ausschließlich innerhalb der Zellen befinden und daher von den Immunzellen nicht wahrgenommen werden. Über die Natur dieser Signalstoffe war bisher jedoch wenig bekannt.
Die Mitarbeiter der Marburger Arbeitsgruppen zeigten nun, dass die Freisetzung von ATP zu einer Aktivierung des angeborenen Immunsystems führen kann. ATP ist in allen Zellen unseres Körpers vorhanden und als Überträger von Energie an fast allen wichtigen Stoffwechselwegen beteiligt. Außerhalb der Zellen kommt ATP normalerweise nicht oder nur in geringsten Konzentrationen vor, es wird jedoch von infizierten, mechanisch geschädigten oder an Sauerstoffmangel leidenden Zellen abgegeben.
Das freigesetzte ATP, so fanden Hanley und seine Kollegen heraus, löst in Makrophagen "Kalziumoszillationen" aus: Es bindet an bestimmte Rezeptoren an der Membran der Makrophagen, was in diesen Zellen rhythmische Schwankungen der Kalziumkonzentration mit einer Frequenz von etwa zwölf Kalziumpulsen pro Minute auslöst. Diese Oszillationen führen zu einer vermehrten Synthese des entzündungsfördernden Zytokins Interleukin-6 durch die Makrophagen und schließlich, über mehrere Zwischenschritte, zu einer Aktivierung der Lymphozyten und damit des adaptiven Immunsystems.
Die Resultate der Wissenschaftler, die in vitro, also mit kultivierten Zellen, nicht im lebenden Organismus, gewonnen wurden, deuten darauf hin, dass die Entscheidung des Immunsystems zwischen aktiver Immunantwort oder Toleranz wesentlich davon abhängt, ob ein Alarmsignal wie ATP im Raum außerhalb der Zellen vorhanden ist oder nicht. Sollten sich diese Ergebnisse in vivo bestätigen, wäre damit ein wichtiger Fortschritt bei einem der grundlegenden Probleme der Immunologie erzielt.
Diese Prozesse sind komplex, denn die der jeweiligen Situation angemessene Antwort ist eine Gratwanderung: Um Infektionen bekämpfen zu können, muss das Immunsystem zunächst körpereigene Substanzen und körperfremde Substanzen unterscheiden. Es muss zuverlässig auf Krankheitserreger reagieren, darf jedoch auf keinen Fall durch körpereigene Proteine aktiviert werden, weil es dann zu Autoimmunkrankeiten wie zum Beispiel Multipler Sklerose kommen kann. Andererseits dürfen bestimmte körperfremde Substanzen nicht zu einer Aktivierung des Immunsystems führen: Zum Beispiel muss sich das Immunsystem gegenüber nicht krankheitserregenden Keimen im Magen-Darm-Trakt oder Fremdproteinen des Embryos im Mutterleib "tolerant" verhalten.
Neben dem angeborenen Immunsystem, zu dem unter anderem auch Makrophagen – die Fresszellen – gehören, verfügen höher entwickelte Säugetiere wie der Mensch auch über ein adaptives, also "lernendes" Immunsystem. Bei letzerem spielen die Lymphozyten durch Erkennung fremder Proteine – der Antigene – und Produktion von Antikörpern eine wichtige Rolle.
In den 1990er Jahren erweiterte Charles Janeway das klassische Bild der Regulation des Immunsystems um die Erkenntnis, dass das adaptive Immunsystem durch das angeborene Immunsystem gesteuert wird. Er konnte zeigen, dass Zellen des angeborenen Immunsystems – zum Beispiel Makrophagen – durch zwei parallele Mechanismen zur Aktivierung des adaptiven Immunsystems beitragen. Erstens dadurch, dass sie Krankheitserreger in sich aufnehmen und deren körperfremde Proteinfragmente an ihrer Oberfläche "präsentieren", sodass diese von den Lymphozyten erkannt werden können. Zweitens aber auch dadurch, dass sie, ebenfalls an ihrer Oberfläche, körpereigene Signalmoleküle, so genannte costimulatorische Moleküle, präsentieren. Letzteres geschieht dann, wenn die Zellen typische molekulare Strukturelemente von Krankheitserregern als eine Art Infektionssignal erkennen. Fehlen diese Infektionssignale, reagieren die Lymphozyten nur schwach oder gar nicht auf Fremdproteine.
Allerdings war Janeways Erkenntnis nur eine Verlagerung des Problems, denn es stellte sich nun die Frage, warum die Zellen des angeborenen Immunsystems in manchen Situationen durch Infektionssignale aktiviert werden und in anderen nicht. Außerdem blieb weiterhin unklar, wie das angeborene Immunsystem aktiviert wird, wenn es zu Immunreaktionen kommt, die nicht von Erregern ausgelöst werden.
Diesem Problem scheinen nun Marburger Forscher um Peter Hanley auf die Spur gekommen zu sein. Ihre Arbeit bestätigt die Hypothese der amerikanischen Immunologin Polly Matzinger, dass bei der Aktivierung des Immunsystems neben der Antigenerkennung und den Infektionssignalen noch ein dritter Mechanismus eine wichtige Rolle spielt: die Freisetzung von Alarmsignalen. Matzinger vermutete, dass die Zellen des angeborenen Immunsystems bevorzugt dann auf körperfremde Substanzen reagieren, wenn körpereigene Zellen aufgrund einer Infektion durch pathogene Keime oder nach mechanischer Beschädigung Alarmsignale aussenden. Als hypothetische Alarmsignale sah sie Moleküle an, die sich normalerweise ausschließlich innerhalb der Zellen befinden und daher von den Immunzellen nicht wahrgenommen werden. Über die Natur dieser Signalstoffe war bisher jedoch wenig bekannt.
Die Mitarbeiter der Marburger Arbeitsgruppen zeigten nun, dass die Freisetzung von ATP zu einer Aktivierung des angeborenen Immunsystems führen kann. ATP ist in allen Zellen unseres Körpers vorhanden und als Überträger von Energie an fast allen wichtigen Stoffwechselwegen beteiligt. Außerhalb der Zellen kommt ATP normalerweise nicht oder nur in geringsten Konzentrationen vor, es wird jedoch von infizierten, mechanisch geschädigten oder an Sauerstoffmangel leidenden Zellen abgegeben.
Das freigesetzte ATP, so fanden Hanley und seine Kollegen heraus, löst in Makrophagen "Kalziumoszillationen" aus: Es bindet an bestimmte Rezeptoren an der Membran der Makrophagen, was in diesen Zellen rhythmische Schwankungen der Kalziumkonzentration mit einer Frequenz von etwa zwölf Kalziumpulsen pro Minute auslöst. Diese Oszillationen führen zu einer vermehrten Synthese des entzündungsfördernden Zytokins Interleukin-6 durch die Makrophagen und schließlich, über mehrere Zwischenschritte, zu einer Aktivierung der Lymphozyten und damit des adaptiven Immunsystems.
Die Resultate der Wissenschaftler, die in vitro, also mit kultivierten Zellen, nicht im lebenden Organismus, gewonnen wurden, deuten darauf hin, dass die Entscheidung des Immunsystems zwischen aktiver Immunantwort oder Toleranz wesentlich davon abhängt, ob ein Alarmsignal wie ATP im Raum außerhalb der Zellen vorhanden ist oder nicht. Sollten sich diese Ergebnisse in vivo bestätigen, wäre damit ein wichtiger Fortschritt bei einem der grundlegenden Probleme der Immunologie erzielt.
© Philipps-Universität Marburg
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