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Masken-Debatte: Späte Kehrtwende

WHO und RKI sprachen sich lange gegen das Tragen von Mund-Nasen-Schutz aus. Dabei gab es schon recht lange Hinweise, dass Masken schützen. Wichtig ist, dass sie gut sitzen.
Eine junge Frau schaut zweifelnd auf einen Mund-Nasen-Schutz und denkt: »To be, or not to be, that is the question.«

Die Kehrtwende der Weltgesundheitsorganisation kam Anfang Mai. Als Konsequenz aktueller Forschungsergebnisse gab sie ihre vorherige Ablehnung von Masken auf. »Die WHO rät Regierungen, die generelle Öffentlichkeit zu bestärken, dort Masken zu tragen, wo es verbreitete Übertragung gibt und wo es schwierig ist, physische Distanz zu wahren, wie etwa im öffentlichen Verkehr, in Geschäften oder in anderen Situationen, in denen viele Menschen zusammenkommen«, fasste CNN den Meinungsumschwung zusammen.

Zwei der wichtigsten Wissenschaftsjournale hatten zuvor eine hartnäckige Fehleinschätzung renommierter Gesundheitsorganisationen zu Fall gebracht. Erst schrieben Autoren um Kimberly Prather von der University of California am 27. Mai in »Science«: »Masken bilden eine Barriere, indem sie die Anzahl ausgeatmeter infektiöser Viren verringern, besonders von asymptomatischen Personen und solchen mit milden Symptomen. […] Masken können außerdem nichtinfizierte Individuen vor Sars-CoV-2-Aerosolen und -Tröpfchen schützen.« Gemeint waren wohlgemerkt einfache Mund-Nasen-Bedeckungen, wie OP-Masken oder aus Stoff genähte Varianten, die in diesem Text Alltagsmasken genannt werden sollen.

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Fünf Tage später folgte Lancet: »[…] sogar in Bereichen außerhalb des Gesundheitswesens sind Gesichtsmasken assoziiert mit Schutz, entweder durch Wegwerf-OP-Masken oder durch wiederverwertbare, bestehend aus 12 bis 16 Schichten Baumwolle […]«, konstatierten die Autoren um Derek Chu von der McMaster University in Hamilton, Kanada, in der ersten Metaanalyse über Sars-CoV-2- und die eng verwandten Erreger von Sars und Mers.

Eine späte Kehrtwende

Die Bedeutung der Arbeiten wird klar, wenn man sich an die letzten Tage im März erinnert. Tschechien und Österreich führten Maskenpflichten ein; in Taiwan, Japan und Südkorea, wo die Pandemie unter Kontrolle war, trug die Bevölkerung bereits flächendeckend Masken. Zur selben Zeit postete die WHO hingegen noch ein Video, in dem es hieß: »Wenn Sie keine Symptome wie Fieber, Husten oder eine laufende Nase haben, brauchen Sie keine medizinische Maske zu tragen.« Die Medizinerin im Video zeigte eine OP-Maske und betonte, eine solche solle ausschließlich von Kranken sowie medizinischem Personal und Altenpflegern benutzt werden.

Auch in Deutschland rieten im Einklang damit das Robert Koch-Institut (RKI) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Menschen ohne Covid-19-Symptome ausdrücklich davon ab, Masken jedweder Art zu tragen. Erst am 3. April verkündete RKI-Chef Lothar Wieler dann die Kehrtwende. Stoffmasken seien doch sinnvoll für die gesamte Bevölkerung, weil es asymptomatische Verbreiter des Virus gebe. Diese Erkenntnis war zwar zu jenem Zeitpunkt allerdings alles andere als neu. Schon im Februar lagen entsprechende Studien vor.

Doch eine am gleichen Tag, dem 3. April, in »Nature Medicine« erschienene Untersuchung setzte das RKI unter Druck. Für diese Studie, die vor Beginn der aktuellen Pandemie gemacht wurde, atmeten und husteten Patienten mit Erkältungssymptomen mit und ohne Mund-Nasen-Schutz. Die Partikel wurden jeweils mit einem riesigen Trichter aufgefangen. Es zeigte sich, dass bei den 17 Menschen, die mit Coronaviren infiziert waren, diese Erreger komplett vom Mund-Nasen-Schutz zurückgehalten wurden – im Trichter wurde keine Virus-RNA nachgewiesen.

Warum also sahen sich die ehrenwerten Institutionen WHO und RKI zu so einer Kehrtwende gezwungen? Beide hatten lange argumentiert, es gebe keinen wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit von Masken gegen die Verbreitung von Sars-CoV-2. Allerdings gab es sehr wohl Studien, die für einen generellen Gebrauch von Masken in der Allgemeinbevölkerung gesprochen hätten.

Es gab Hinweise auf die Wirksamkeit von Masken

So gibt es zum Beispiel eine Untersuchung aus der Zeit der Sars-Epidemie 2003, deren Erreger genetisch zu 80 Prozent identisch mit Sars-CoV-2 ist. Sars-Patienten und eine Kontrollgruppe in Peking wurden dabei nach ihren Gewohnheiten gefragt. Es zeigte sich, dass Menschen, die einfache Chirurgen-Masken getragen hatten, ein um 70 Prozent geringeres Risiko hatten, sich mit Sars zu infizieren, als solche, die sich nicht auf diese Weise geschützt hatten.

»Wir hätten uns in der Frühphase der Epidemie den generellen Maskengebrauch von asiatischen Ländern abschauen sollen«Nora Szech

In einer Übersichtsarbeit von 2011 analysierte die Cochrane-Stiftung diese und alle anderen epidemiologischen Masken-Studien, die zu jenem Zeitpunkt verfügbar waren. Sie kam zu dem Ergebnis, dass das Tragen einer Maske jedweder Art widerspruchsfrei die beste Begleitmaßnahme sei, um das Infektionsrisiko für respiratorische Viren – die Daten bezogen sich vor allem auf Sars 1 – zu verringern.

In der Wissenschaft spricht man in so einem Fall »von guten Hinweisen«, dass etwas – hier das Maskentragen – einen Effekt haben könnte. Schon im März mahnte ein internationales Forscherteam im Journal »Lancet Respiratory Medicine«, es sei zu unterscheiden zwischen »absence of evidence« (Fehlen von Beweisen) und »evidence of absence« (dem Beweis, dass dieser nicht existiere).

Einige Wissenschaftler bewerten deswegen die gegen Masken vorgebrachten Argumente als wenig schlüssig. »Masken können sogar ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln«, hieß es etwa in besagtem WHO-Video. »Wer behauptet, dass derjenige, der eine Maske trägt, sich weniger vorsichtig verhält, kann auch gleich die Sicherheitsgurte im Auto abschaffen«, sagt Nora Szech, Verhaltensökonomie-Professorin am Karlsruher Institut für Technology (KIT), die über Normen in Asien und Europa forscht. »Wir hätten uns in der Frühphase der Epidemie den generellen Maskengebrauch von asiatischen Ländern abschauen sollen.« Sie kritisiert die Kommunikation des RKI und WHO: »Für die Motivation, eine Mund-Nasenbedeckung zu tragen, ist immer besser, wenn die Menschen wissen, dass sie damit auch etwas für sich selbst tun«, sagt sie. »Es ist deshalb schlimm, dass die Alltagsmasken von RKI und WHO so schlechtgemacht wurden und werden.« Denn diese Einschätzung habe sich bei vielen nun festgesetzt.

Maskenverzicht gegen Maskenmangel?

Die WHO rückte ihre Empfehlung, die breite Bevölkerung solle eben keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, in den Zusammenhang mit der weltweiten Knappheit an Masken. »Wir haben einen globalen Mangel«, hieß es am 31. März. »Wir priorisieren die Benutzung von Masken für diejenigen, die sie am meisten brauchen.« Gemeint war das medizinische Personal. Noch immer gibt es weltweit nicht genügend Schutzmasken, es fehlt an den FFP2- und FFP3-Masken, die sicher auch vor Aerosolen schützen. Im Frühjahr war der Mangel an solchen Masken, aber auch an OP-Masken eklatant. Doch viele Menschen wollten etwas tun gegen die Ausbreitung des Virus und trotzdem nicht die Knappheit für das medizinische Personal verstärken. So produzierten sie ihre Masken selbst, und die einfache, aus Stoff genähte Alltagsmaske war geboren.

Wenn eine Maske nicht gut sitzt, verringert das die Schutzwirkung drastisch

Schon damals gab es Studien, die darauf hinwiesen, dass diese ebenfalls helfen können, sowohl in Sachen Fremdschutz, als auch – in geringerem Maß – zum Eigenschutz. Eine Maske aus T-Shirt-Stoff hielt demnach in der Ausatem-Situation Partikel zwischen 23 Nanometer und 1,25 Mikrometer zu 70 Prozent zurück, in der Einatmen-Situation immerhin zur Hälfte.

Inzwischen haben Materialwissenschaftler nachgelegt und in einer ganz neuen Studie wiederum eine gute Effektivität von normalen Stoffen gefunden. Sie lag bei Baumwolle, Naturseide und Chiffon meist über 50 Prozent, stieg zum Beispiel bei dichter gewebter Baumwolle auf 79 bis 98 Prozent – wohlgemerkt bei Partikelgrößen zwischen zehn Nanometern und sechs Mikrometern, also von Aerosol- bis Tröpfchengröße. Noch besser seien mehrlagige Hybride, etwa eine Lage Baumwolle plus eine Lage Naturseide.

Die Maske muss sitzen!

Allerdings ist der Sitz der Maske – das räumen die Autoren dieser Untersuchung ein – extrem wichtig für ihre Wirksamkeit. »Unsere Studie impliziert, dass Lücken, etwa verursacht durch einen schlechten Sitz der Maske, zu einer um 60 Prozent schlechteren Filterleistung führen.« Auch die WHO weist in ihrer neuen Leitlinie auf das Problem hin: »Wenn die Ecken der Maske nicht dicht am Gesicht anliegen und sich bewegen, zum Beispiel beim Reden, strömt die Luft von innen/außen an den Ecken der Masken vorbei, anstatt durch den Stoff gefiltert zu werden.«

Diese Kehrtwende bei Maskentragen unterstreicht, dass die Zögerlichkeit der WHO und des Robert Koch-Instituts wertvolle Zeit kostete. In Deutschland verstrichen mehrere Wochen, in denen diese einfache und günstige Variante der Infektionseindämmung nicht zum Einsatz kam. So kommen Fachleute von der Universität Mainz zu dem Ergebnis, dass die Maskenpflicht in Jena ab dem 6. April die Ausbreitung des Virus dort verlangsamte. Die deutsche Maskenpflicht kam erst – je nach Bundesland – zwischen dem 20. und dem 27. April. Es ist zumindest möglich, dass sie zusammen mit Abstandsregeln das Virus so stark hätte bremsen können, dass der Lockdown weniger hart ausgefallen wäre.

Zweitens sind viele Menschen auch heute noch alles andere als überzeugt, dass Alltagsmasken sinnvoll sind – die Kommunikation der Gesundheitsorganisationen hat hier zumindest nicht geholfen. Bei der Pressekonferenz am 3. April betonte RKI-Chef Wieler zum Beispiel, dass man mit einfachem Mund-Nasen-Schutz nur andere, nicht aber sich selbst schütze. »Hingegen gibt es für einen Eigenschutz keine Hinweise.« Das ist bis heute die Linie des RKI.

Das steht allerdings im Gegensatz zur veröffentlichten Literatur, die solche Hinweise sehr wohl enthält. So stellte die oben zitierte »Lancet«-Studie von Anfang Mai anhand von Daten der aktuellen Pandemie sowie der Sars- und Mers-Coronaviren eine Reduktion des Infektionsrisikos durch Maskentragen von 82 Prozent in der Praxis fest. Eines ist spätestens jetzt klar: In Innenräumen oder wenn ein Sicherheitsabstand von ein bis zwei Metern nicht eingehalten werden kann, sollte jeder eine tragen.

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