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Ig-Nobelpreise 2006: Spaghetti, Stechmücken und Schluckauftherapie

Warum bekommen Spechte keine Kopfschmerzen? Warum brechen Spaghetti in tausend Stücke? Und warum macht es Gänsehaut, wenn einer mit Kreide über die Tafel kratzt? Auch schlichte Kinderfragen beschäftigen die Forschung - nur bekommt man für die Antworten selten einen "richtigen" Nobelpreis. Honoriert werden sie trotzdem - mit einer Ehrung der besonderen Art.
Ig-Nobelpreise
"Die Preise sollen das Ungewöhnliche zelebrieren, Erfinderisches, Einfallsreiches, Fantasievolles ehren – und das Interesse der Menschen an Wissenschaft, Medizin und Technik ankurbeln", sagt Marc Abrahams über die Ig-Nobelpreise. Der Redakteur der Annals of Improbable Research weiß, wovon er redet: Das humoristische Magazin sponsert die Aktion zu Forschungsergebnissen, die Leute erst zum Lachen und dann zum Denken anregen soll. "Schmählich" – wie die Wortentlehnung ignoble vermuten ließe – ist die Auszeichnung aber keineswegs. Und auch echte Nobelpreisträger lassen sich gern bei der Verleihung sehen – um beispielsweise wie Roy Glauber, Physik-Nobelpreisträger von 2005, die Treppe frei von den traditionell auf die Bühne geworfenen Papierfliegern zu kehren.

Am kuriosesten wohl dieses Jahr ist eine unerwartete Therapie für ein unangenehmes Übel: Schluckauf. 1987 war Francis Fesmire von der Universität von Tennessee auf eine Fallbeschreibung gestoßen, in der ein Arzt Herzrasen mit einer Anusmassage erfolgreich behandelt hatte.
"Die Preise sollen das Ungewöhnliche zelebrieren, Erfinderisches, Einfallsreiches, Fantasievolles ehren"
(Marc Abrahams)
Als eines Tages ein 27-Jähriger in der Notaufnahme stand, der seit drei Tagen an Schluckauf litt und dem von Luftanhalten, Druck auf die Augäpfel, Halsschlagadermassage bis hin zu Nase-zu-Mund-zu-kräftig-Ausatmen nichts half, griff der Mediziner zum Handschuh. Langsam ließ er den Finger rund um die hintere Körperöffnung kreisen – und schon nach dreißig Sekunden hörten die Hickser auf. Als der Patient auch nach einer halben Stunde keine Beschwerden mehr zeigte, schickte Fesmire ihn nach Hause. Nicht ohne aber das ganze Prozedere nachträglich zu veröffentlichen und mit Erklärung auszustatten: Ähnlich wie andere gängige Behandlungsmethoden stimuliere die Massage wohl letztendlich den Vagusnerv, was den Reflex stoppt [1].

Obwohl Fesmire nie wieder so intim werden musste, um Schluckauf zu behandeln, so diente sein Beispiel Majed Odeh, Harry Bassan und Arie Oliven von Bnai Zion Medical Center nur zwei Jahre später als erfolgreiches Vorbild [2]. Daher teilen sich die vier Ärzte den Ig-Nobelpreis für Medizin. Ein abschließender Tipp von Fesmire: Sex hilft auch – ein Orgasmus stimuliert den Vagus-Nerv noch weitaus effektiver.

Teenagerschreck – Teenagergag

Auch stimulierend, aber sehr unangenehm, wirkt das Geräusch von Fingernägeln auf der Tafel: Allein der Gedanke daran macht Gänsehaut. Ob die Freiwilligen in Randolph Blakes Untersuchungen daher Schmerzensgeld bekamen, ist nicht überliefert. Jedenfalls stuften sie das Kratzen einer dreizackigen Harke auf der Skala unerträglicher Laute ganz oben ein, gefolgt von Metall auf Metall und aneinander reibenden Styropor-Stücken. Insbesondere Töne mittlerer Frequenzbereiche wurden als unangenehm empfunden – interessanterweise genau der Bereich, in dem Schimpansen Warnrufe abgeben [3]. Gibt es also eine evolutionsbiologische Begründung für unser Zusammenschrecken? Vielleicht. Auf jeden Fall aber den Ig-Nobelpreis für Akustik für Blake und seine früheren Kollegen Lynn Halpern und James Hillenbrand.

Mosquito-Anlage | Mit schrillen Tönen Teenager erschrecken? Mag funktionieren. Aber Jugend denkt mit: Wenn Ältere die Frequenzen nicht mehr hören, bietet ihnen das einen lehrersicheren Klingelton fürs Handy.
Einen ähnlich auf- und abschreckenden Effekt beabsichtigte die Halbstarken- Abwehranlage von Compound Security Systems: Sie sollte mit schrillem Ton herumlungernde Jugendliche an Einkaufszentren vertreiben, damit Erwachsene ungestört einkaufen können. Der Clou an der Sache: Die Entwickler arbeiteten mit Frequenzen, die über Zwanzigjährige nicht mehr hören. Was die einen verscheucht, nehmen die anderen gar nicht wahr. Doch Jugend sollte man nie unterschätzen. Schon kurz nach der Markteinführung programmierte ein schwedischer Teen das Signal um in einen Klingelton fürs Handy – Prädikat lehrersicher. Compound Security Systems beweist Marktinstinkt und bietet nun selbst einen solchen Jingle an. Ihren Beitrag zum reibungslosen Miteinander der Generationen honorierte die Jury mit dem Ig-Nobelpreis für Frieden. Ob sie dabei auch an schreiende Kleinkinder dachten, die vom Lärm geplagt an der Kasse noch nachdrücklicher ruhigstellende Süßigkeiten fordern?

Das System hieß übrigens Mosquito, inspiriert durch das unerträgliche Summen der winzigen Stechgeier. Ihnen widmen sich auch Bart Knols und Ruurd de Jong von der Universität Wageningen, allerdings in lebender Form. So erkundeten die beiden Insektenforscher zunächst im Selbstversuch, welche Stechmücken welche Körperregionen für die Blutmahlzeit bevorzugen – Knols saß in Unterhosen im tropisch temperierten Klimaraum, und de Jong markierte penibelst die Bissabsichtsstellen. Dann stolperten sie über eine Veröffentlichung, derzufolge Bakterien in der Käseproduktion von der menschlichen Haut stammten – also riechen nicht Füße nach Käse, sondern Käse nach Füßen. Das brachte die Forscher zum Grübeln: Wenn Fußgeruch manche Moskitos anzieht – funktioniert es dann auch mit Käse? Und ob. Fotografischer Beweis: eine niederländische Stechmücke, sitzend auf einem Stück Limburger, das Titelbild der April-Ausgabe von Parasitology Today [4]. Trotzdem kein Aprilscherz, wie weitere Studien zeigten: Die käsigen Duftstoffe locken die Tiere sogar regelrecht in die Falle. Für diese grundlegende Aufklärung mückiger Geruchsvorlieben und die neue Variante der Malariabekämpfung gebührte den beiden Wissenschaftlern der Ig-Nobelpreis für Biologie.

Küche, Käse, Kopfschmerzen

Dass Forschung an Käse kein Käse ist, demonstrierten zudem Antonio Mulet, José Javier Benedito und José Bon von der Universität Valencia. Sie erkundeten, welchen Einfluss die Temperatur auf die Ausbreitung von Ultraschall in Cheddar hat. Mag der praktische Nutzen ihrer Arbeit nun weniger direkt erkennbar sein wie bei den voran Genannten, so wissen wir doch jetzt, dass schmelzendes Fett im Käse die Geschwindigkeit der Schallwellen beeinflusst – und zuverlässigste Messungen nur bei unter 17 Grad Celsius erreicht werden [5]. Ihren Ig-Nobelpreis für Chemie durften sie aber bei Raumtemperatur entgegen nehmen.

Eine weitere Küchenfrage beschäftigt dagegen die beiden französischen Wissenschaftler Basile Audoly und Sébastien Neukirch: Warum brechen eigentlich Spaghetti, wenn man sie biegt, nicht in der Mitte, sondern irgendwo und mehrfach? Ausgeklügelte Experimente zeigten, dass eine Nudel beim Entspannen noch stärker gestresst wird – und dadurch regelrecht zersplittert [6]. Für dieses bahnbrechende Ergebnis verlieh ihnen die Jury den Ig-Nobelpreis für Physik.

Ob gebrochen oder nicht, Pasta macht Kinder glücklich – die meisten jedenfalls. Sträuben sie sich auch gegen Gemüse, Salat und Kartoffeln, so sind Nudeln in der Regel genehm. Ähnlich wählerisch offenbarten sich Pillendreher: Sie naschen am liebsten flüssigen Pferdemist, gefolgt von Schaf- und Kameldung. Auch Hinterlassenschaften von Hund und Fuchs werden akzeptiert, doch ein Grasfressermenü wird bevorzugt [7]. Dieser Einblick in insektuäre Ernährungsvorlieben brachte Wasmia Al-Houty von der Universität Kuwait und Faten Al-Musalam von der kuwaitischen Umweltbehörde den Ig-Nobelpreis für Ernährung.

Wem nun so langsam der Kopf schwirrt, der sollte sich glücklich schätzen, dass er kein Specht ist, würden Ivan Schwab von der Universität von Kalifornien in Davis und Philip May von der Universität von Kalifornien in Los Angeles sagen. Dank der Studien von May aus den späten 1970er Jahren konnte Schwab 2002 den Lesern eines Fachmagazins für Augenkunde erklären, dass ein besonders stabil konstruierter Schädel mit eingebauter Stoßdämpfung in Form schwammartiger Knochen das Leben als Schlagbohrmaschine ermöglicht. Damit den Tieren bei ihren zwanzig Hämmereien pro Sekunde nicht buchstäblich die Augen aus dem Kopf fallen, schließt außerdem die verdickte Nickhaut kurz vor dem Aufprall [8]. Zum Vergleich: Ein Mensch müsste dafür seinen Kopf mit 26 Kilometern pro Stunde gegen eine Wand donnern. Diese Aufklärungsarbeit honorierte die Jury mit dem Ig-Nobelpreis für Ornithologie.

Wort und Bild optimal

Ob Daniel Oppenheimer von der Universität Princeton bei Schwabs Text auch Probleme mit der unnötigen Verwendung langer Wörter hätte, ist nicht überliefert. Für Wissenschaftler aber ist dessen Studie keineswegs irrelevant: Wer zu oft mit Wortmonstern um sich wirft, der wirkt nicht etwa besonders, sondern eher wenig schlau. Das zumindest urteilten Versuchsteilnehmer quer über verschiedene Experimente hinweg, in denen sie aus der Lesbarkeit und der Wortwahl eines Textes auf die Intelligenz des Verfassers schließen sollten [9]. Fazit: Je komplexer, desto dumm. Ein erschütterndes Ergebnis, das der Jury der Ig-Nobelpreis für Literatur wert war.

Wenn sich nun nach all der Lobpreisung die Laureaten zum freudigen Gruppenbild versammelt, dann wird auch die Bedeutung des letzten Beitrags eindrücklich klar: Endlich gibt es eine Formel für die Zahl der Bilder, die ein Fotograf machen muss, damit bei bekannter Leutezahl wenigstens eins dabei ist, auf dem keiner blinzelt. Aus der Fotografennot half der Australier Piers Barnes: aus der Blinzelhäufigkeit, der Belichtungszeit und der Anzahl der Personen entwickelte er eine simple Rechenvorschrift. Wem pi mal Daumen genau genug ist und nicht mehr als zwanzig Gesicher vor der Linse hat, der kann bei guten Lichtverhältnissen auch einfach die Zahl der Leute durch drei teilen, ist die Umgebung düster, darf er nur halbieren. Dankbar für den Tipp war nicht nur Nic Svenson, der sich mit Barnes den Ig-Nobelpreis für Mathematik teilt. Und nun alle: Cheese!

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