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News: Spannung ist gut für die Nerven

Die langen Ausläufer von Nervenzellen sehen aus wie kleine Finger, die sie neugierig in alle Richtungen ausstrecken, auf der Suche nach Kontakt zu ihren Nachbarn. Über die einen Zellfortsätze - die Dendriten - erhalten sie Neuigkeiten aus ihrer Umgebung, während sie mit dem Axon selbst Informationen weiterleiten. Und dieses Axon kann auch bei ausgereiften Nervenzellen noch tüchtig wachsen, was es allerdings unter normalen Umständen im Körper unterlässt. Sonst gäbe es die größte Unordnung in der Kommunikation. In Laborversuchen hingegen strecken sie bereitwillig ihre Fühler aus, wenn man sie in eine Streckbank einspannt und somit immer weiter voneinander entfernt. Ist Spannung also gut für die Nerven?
Normalerweise ist das komplexe Geflecht aus Nervenzellen perfekt und benötigt keiner Verbesserung. Im Falle einer verletzten Wirbelsäule oder eines durchtrennten Muskels sieht es allerdings ganz anders aus. Hier wären verlängerte Neurone sehr von Nutzen. Eine der bisherigen Therapien, um neuronale Netzwerke zu überbrücken, verwendet ein künstliches Gerüst, das dem Erkrankten transplantiert wird. Es soll das verletzte Gewebe überspannen und die Neuronen mit Hilfe von anziehenden Molekülen dazu veranlassen, aus dem einen Ende der Wunde herauszuwachsen und mit den Nervenzellen auf der gegenüberliegenden Seite zu verschmelzen. Doch während diese Versuche unter Laborbedingungen wenigstens einen eingeschränkten Erfolg erzielen, sind sie im lebenden Organismus gehemmt – wahrscheinlich durch das Grundbedürfnis des Körpers, kein nachträgliches Wachstum zuzulassen, um die bestehende Ordnung aufrecht zu erhalten.

"Hat sich das Nervensystem erstmal gebildet, könnte weiteres Wachstum viel Verwirrung stiften. So produziert der Körper aktiv Chemikalien, die das Axon am Wachstum hindern", beschreibt Douglas Smith vom University of Pennsylvania Medical Center die Ausgangslage. Um so mehr ein Anreiz für sein Team, einen neuen Ansatz zu verfolgen. Sie begannen mit einer Gruppe von Neuronen, die in Zellkultur über zwei Membranen wuchsen. Dann trennten sie die Membranen schrittweise voneinander, indem ein Motor sie mit minimaler Geschwindigkeit auseinander zog. Nur ein paar Tausendstel Zentimeter in wenigen Minuten entfernten sich die Schichten. Für menschliche Wesen eine winzige Strecke, doch auf Zellebene eine ganze Welt. Aber die Wissenschaftler gewannen durch die permanente Dehnübung einen ganzen Zentimeter hinzu. Und wenn sich die Nervenzellen schon so weit ausstreckten, warum sollte es dann nicht noch weiter gehen?

Während dieser Experimente bemerkte Smith noch ein anderes seltsames Phänomen: Die gedehnten Nervenfasern, die aus Tausenden von Axonen bestanden, ordneten sich selbstständig in noch größere Einheiten. Diese Strukturen könnten wie eine Brücke das verletzte Gewebe überspannen, beide Seiten miteinander verbinden und so das Nervensignal passieren lassen.

Für eine Transplantation scheint dieses Modell allerdings noch nicht geeignet. Der Körper würde die Membranen, an denen sich die verlängerten Nervenzellen festhalten, einfach absorbieren. Doch Smith hofft auf die eigene Verbindungsfähigkeit der Zellen, die möglicherweise eine transplantierte Axonbrücke erlaubt. "Axone sind promiskuitive kleine Dinger", sagt Smith. "Und wir zählen auf ihre angeborene Tendenz, herumzuspähen und neue Verbindungen einzugehen."

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