Transplantation: Spenderorgane aus dem Schwein
Die blasse Lunge liegt auf einer dicken Schicht zerstoßenem Eis und erinnert an Schlachtabfälle. Vor nur sechs Stunden hatten sie die Chirurgen von der University of Maryland in Baltimore aus einem kräftigen, ausgewachsenen Schwein entnommen, um sie nun bald wieder – hoffentlich gut durchblutet und funktionsfähig – in die Brust eines sechsjährigen Pavians einzusetzen.
Einer der Assistenten bringt das Organ zu Lars Burdorf und seinen Kollegen, deren Hände gerade inmitten des gespreizten Brustkastens des Tiers stecken. In mühevoller Kleinarbeit werden sie nun das Organ mit der Luftröhre des Pavians verbinden und die passenden Arterien und Blutgefäße einzeln aneinandernähen – eine fünfstündige, 50 000 US-Dollar teure Operation. Diese ist aber nur ein weiterer Schritt auf der Suche nach einer verlässlichen und sicheren Quelle für Organe zur Transplantation beim Menschen: Seit Jahrzehnten beteiligen sich daran dutzende Laboratorien mit immunologischen und gentechnischen Projekten. Wenn das Immunsystem des Pavians die Ersatzlunge toleriert, wäre dies eine Bestätigung dafür, dass die Forscher auf dem richtigen Weg sind.
Robin Pierson leitet das Maryland Labor, das bisher schon etwa 50 solcher Transplantationen vom Schwein zum Primaten durchgeführt hat, um verschiedenste Kombinationen genetischer Veränderungen im Schwein zu testen und den Einsatz immunsuppressiver Medikamente bei den Primaten zu untersuchen. Doch bisher hatten die Tiere nie länger als ein paar Tage nach der Transplantation überlebt. Da die Komplexität des Immunsystems und die Infektionsgefahr durch Schweineviren so erheblich sind, haben sich große Unternehmen Anfang der Jahrtausendwende aus diesem Forschungsfeld zurückgezogen.
Doch das kann sich nun ändern – dank verbesserter Medikamente und neuer Fortschritte bei Gene-Editing-Technologien wie dem CRISPR/Cas9-System. Hiermit lassen sich inzwischen viel einfacher und präziser als früher auch jene Gene verändern, die an Abstoßung und Infektionen beteiligt sind. Im Oktober berichtete das Life-Sciences-Unternehmen eGenesis aus Boston in Massachusetts vom Editing des Schweinegenoms an gleich 62 Stellen.
Laut einiger Forscher stehen schon für die nächsten Jahre Studien an, bei denen Nieren aus genetisch veränderten Schweinen in den Menschen transplantiert werden sollen. Das Biotech-Unternehmen United Therapeutics aus Silver Spring in Maryland investierte letztes Jahr 100 Millionen US-Dollar in die Entwicklung transgener Schweine, um die Lungentransplantation voranzubringen; dies war seit mehr als einem Jahrzehnt die erste große Investition der Industrie. Klinische Studien mit Schweinelungen sollen nun bis 2020 beginnen. Und dies, obwohl ein solcher Zeitrahmen nach Meinung so mancher Wissenschaftler unrealistisch ist – vor allem wegen Bedenken der Zulassungsbehörden zur Sicherheit und dem Risiko, dass Krankheiten von den Schweineorganen auf immunsupprimierte Menschen übertragen werden könnten.
"Wissenschaftlich gesehen nähern wir uns der Anwendung", kommentiert das der Transplantationschirurg Jeremy Chapman vom University of Sydney’s Westmead Hospital in Australien. "Wir haben aber sicherlich noch nicht alle Probleme gelöst. Die Xenotransplantation ist nicht einfach und sobald wir eine Hürde überwunden haben, steht die nächste vor der Tür."
Lange Geschichte
Schon seit den 1960er Jahren versuchen Chirurgen, Pavian- und Schimpansennieren in den Menschen zu übertragen. Bisher hatten sie allerdings wenig Erfolg, denn die Patienten verstarben schon nach wenigen Monaten, meist weil ihr Immunsystem das transplantierte Organ angriff und abstieß. Aber die Idee ist geblieben und könnte laut ihrer Befürworter zur Rettung zehntausender Menschen beitragen, die alle bisher vergeblich auf einen geeigneten Organspender warten. Gäbe es einen steten Vorrat an Transplantaten aus so genannten Organfarmen, könnten die Patienten schon Tage vor der Operation mit immunsuppressiven Medikamenten behandelt und ihre Überlebenschance verbessert werden.
Als die Grundlagenforschung in den 1990er Jahren immer klarer zeigte, warum die nicht humanen Organe abgestoßen werden, stieg auch das Interesse des Transplantationfelds wieder. Forscher um den Chirurgen David Cooper von der University of Pittsburgh in Pennsylvania fanden heraus, wie die Mehrzahl der Immunreaktionen von einem einzigen Schweine-Antigen angetrieben werden: das Zuckermolekül alpha-1,3-Galaktose, auch alpha-Gal genannt, sitzt auf der Zelloberfläche und kann innerhalb von Minuten die Abstoßung eines Fremdorgans auslösen. Das Enzym alpha-1,3-Galactosyltransferase ist verantwortlich für die Produktion des Zuckers. Wenn es die Transferase ausschaltet, sollte das die Immunreaktion abschwächen.
Die Fortschritte in der Transplantationsmedizin machten das Thema für große Pharmakonzerne wieder attraktiver. Ab dem Jahr 1996 investierte die Schweizer Firma Novartis aus Basel massiv in die Forschung zur Xenotransplantation, erklärt Geoffrey MacKay, der damals Businessdirektor für den Bereich Transplantation und Immunologie war und die Untersuchungen leitete. "Sie wollten den Organmangel nicht nur mildern, sondern das Problem mit Hilfe transgener Schweine wirklich lösen." MacKay ist derzeit Interimsleiter bei eGenesis.
Novartis wollte ursprünglich mehr als eine Milliarde US-Dollar für den Bereich Xenotransplantation ausgeben, einschließlich der Forschung und der Entwicklung entsprechender Infrastrukturen, die zur Zucht von Schweinen in keimfreien Farmen auf der ganzen Welt nötig wären. Auch andere investierten kräftig, wie das in Boston ansässige Unternehmen Genzyme und die britische Firma PPLs Therapeutics, die schon an der Entwicklung des Klonschafs Dolly beteiligt war. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) legte Richtlinien und Standards fest, die im Vorfeld klinischer Studien mit den neuen Technologien zu beachten waren.
Aber das Immunsystem ist wesentlich komplexer als anfangs gedacht. Die Paviane überlebten die Transplantation nicht länger als ein paar Wochen, auch dann als es den Forschern gelang, die Produktion der alpha-Gal medikamentös zu unterdrücken. Das Infektionsrisiko war das zweite große Problem, besonders für die Zulassungsbehörde. Denn selbst wenn die Schweine völlig steril aufgezogen werden, finden sich bei ihnen Dutzende ruhender endogener Retroviren (PERVs, porcine endogenous retroviruses) und zur Frage, ob diese im Menschen aktiviert werden könnten, gibt es bisher nur widersprüchliche Aussagen.
Wegen all dieser Schwierigkeiten stampfte Novartis vor mehr als zehn Jahren seine Forschungsaktivitäten im Bereich der Xenotransplantation wieder ein und ließ von weiteren Arbeiten erst einmal ab. Andere Unternehmen folgten und laut Pierson wurden "Projekte zur Xenotransplantation zum Tabuthema im Businessplan jeder Biotechfirma".
In den folgenden zehn Jahren war es in Richtung Transplantation parenchymatöser Organe bei den größeren Unternehmen erst einmal zappenduster. Einzelne Forscherteams und Start-ups beschäftigten sich aber mit der Transplantation von Geweben aus Schweinen – ein wesentlich einfacheres Ziel, weil diese nicht so heftige Immunreaktionen auslösen wie ganze Organe. Im April genehmigte dann die Zulassungsbehörde Chinas die Transplantation von zellfreier Schweinehornhaut, und in Aussicht stehen auch Insulin produzierende Inselzellen aus dem Schwein, um diese Diabetikern zu transplantieren.
Die ersten handelsüblichen Inselzellen sollen mit Hilfe einer Technologie des Unternehmens Living Cell Technologies (LCT) produziert werden, eine Biotech-Firma mit Sitz in Auckland in Neuseeland. Das Unternehmen entwickelte ein Verfahren, bei dem die Inselzellen aus dem Schwein in einem gelatineartigen Tautropfen verkapselt sind, was sie im Menschen vor dem Angriff des Immunsystems schützen soll. Die klinische Studie des DIABECELL genannten Produkts befindet sich inzwischen schon in fortgeschrittener Phase und die beteiligten Patienten überleben bereits mehr als neun Jahre ohne Anzeichen von Immunreaktionen oder Infektionen.
"Mit belegbar sicheren Verfahren stehen Patienten einer Xenotransplantation zunehmend positiv gegenüber", sagt Jackie Lee, die Forschungsleiterin bei LCT; das Projekt wird inzwischen von Diatranz Otsuka Limited in Auckland durchgeführt.
Größere funktionstragende Organe stellen die Medizin aber weiter vor eine Herausforderung. Zwar sind einige der früheren Probleme von Novartis inzwischen gelöst, etwa die Entschlüsselung weiterer transplantationsrelevanter Antigene im Schwein und die richtige Kombination von Medikamenten zur Immunsuppression –, aber jedes Organ bringt andere Schwierigkeiten mit sich. So ist die Transplantation einer Niere sicherer als die eines Herzens; dafür lassen sich laut Piersons Team Lungen extrem schlecht transplantieren, weil das Immunsystem im ausgeprägten Blutgefäßnetz öfter auf Proteine des Schweins trifft und diese koaguliert. In seinen laufenden Studien setzt Pierson Lungen aus einem alpha-Gal-Knock-out-Schwein mit fünf humanen Genen ein; außerdem werden die Organempfänger, sprich die Primaten, mit einer Kombination von fünf Immunsuppressiva behandelt.
"Die Leute stehen der Xenotransplantation nun positiver gegenüber"
Wie Pierson und Cooper stützten sich bisher die meisten amerikanischen Forscher auf Schweine des Unternehmens Revivicor aus Blacksburg in Virginia, das als Ableger der Firma PPL Therapeutics im Bereich der regenerativen Medizin tätig ist. Der Mitbegründer von Revivicor, David Ayares, war es auch, der im Jahr 2003 Daten zum ersten Schwein lieferte, bei dem das alpha-Gal-Gen aus dem Genom entfernt war. Das Unternehmen versucht seitdem noch weitere Proteinantigene zu verändern, die allesamt das Immunsystem antreiben oder zur Koagulation des menschlichen Blutes beitragen.
Die Genmodifikationen haben die Überlebenszeit von Schweineherzen in Pavianen wesentlich verlängert. Das Team um den Chirurgen Muhammad Mohiuddin vom National Heart, Lung and Blood Institute in Bethesda in Maryland entnahm das Herz eines alpha-Gal-freien Schweins, das zusätzlich zwei humane Gene besaß, die eine Verklumpung, sprich Koagulation des Blutes, verringern sollen. Das Herz pflanzten sie in das Abdomen eines Pavians; zumindest die Prozedur und Folgen der Transplantation überlebte das Tier zweieinhalb Jahre, auch wenn das Herz noch nicht als Herzersatz fungierte.
Mohiuddins Gruppe will nun eine so genannte lebensunterstützende Transplantation durchführen, bei der das Pavianherz tatsächlich gegen das eines Schweins ausgetauscht wird. Im Juni berichtete Cooper von den bisher erfolgreichsten Versuchen. Hierbei hatten die Forscher eine Schweineniere aus der Firma Revivicor übertragen, die sechs modifizierte Gene trug und 136 Tage lang das Leben eines Pavians unterstützte.
Gene Editing
Der Forschungsprozess braucht allerdings seine Zeit, weiß Cooper. Es braucht normalerweise mehrere Generationen, bis beide Kopien eines einzigen Gens im Schwein ausgeknockt sind. Mehrere Gene zu deletieren oder gar gegen die humanen Varianten auszutauschen, dauert viele Generationen mehr, weil jeder Wurf Jungschweine unterschiedliche Kombinationen der modifizierten Gene enthält.
Deshalb sind viele Forscher so von den neuen Methoden des Gene Editing begeistert. Mit Hilfe des CRISPR/Cas9-Systems lassen sich beide Kopien eines Gens oder sogar zwei unterschiedliche Gene gleichzeitig schon im Schweinembryo genauestens ausschneiden. "Es dauerte drei volle Jahre bis wir unser erstes Schwein mit alpha-Gal-Knock-out hatten", erzählt der Transplantationschirurg Joseph Tector von der Indiana University in Indianapolis. "Inzwischen brauchen wir alles in allem nur noch 150 Tage, um ein Schwein mit neuen Eigenschaften zu züchten." Seine Gruppe veröffentlichte erst kürzlich den CRISPR-gesteuerten, parallelen Knock-out zweier Gene im Schwein. Nun sind die Forscher schon dabei, die ersten modifizierten Schweineorgane in Makaken zu transferieren und bisher überlebte einer der transplantierten Primaten auch bereits mehr als drei Monate.
Vielleicht lässt sich mit Hilfe des Gene Editing die bisher erforderliche Immunsuppression umgehen, hofft der Transplantationschirurg Bernhard Hering von der University of Minnesota in Minneapolis. Seine Gruppe will mit Hilfe des CRISPR-Systems Inselzellen im Schwein züchten, die später ohne immunsuppressive Medikamente transplantiert werden können. LCT arbeitet bereits erfolgreich an verkapselten Inselzellen, in denen viele Experten schon die ersten genetisch veränderten Gewebe für klinische Studien sehen und damit vielleicht auch eine Möglichkeit, den Weg für solide Organe in den Zulassungsbehörden zu ebnen. Herings Schweine sollen in einer keimfreien Anlage gezüchtet werden, mit deren Bau gerade eine Non-Profit-Organisation beschäftigt ist.
Revival einer Technik
Die Fortschritte beim Gene Editing haben dem Feld neue Investitionen beschert. United Therapeutics kaufte 2011 für etwa acht Millionen US-Dollar das Unternehmen Revivicor und verkündete den sehr ehrgeizigen Plan, bis zum Ende des Jahrzehnts klinische Studien mit genveränderten Schweinelungen beginnen zu wollen. Die Kogeschäftsführerin Martine Rothblatt hat bereits in North Carolina Landflächen für die Produktion von jährlich 1000 Schweineorganen beschafft und will nach eigenen Angaben bis 2017 dort starten. Das ausgeklügelte Konzept schließt Solaranlagen und sogar Helikopterlandeplätze ein, um die frischen Organe schnell zu ihren Empfängern bringen zu können.
Mit der ehemals von dem Pionier der Gensequenzierung Craig Venter gegründeten Biotech-Firma Synthetic Genomics (SGI) aus La Jolla in Kalifornien ging United Therapeutics im Jahr 2014 eine 50 Millionen US-Dollar schwere Partnerschaft ein. Anstatt nur Antigene auszuschalten, arbeitet SGI inzwischen an einem ganz anderen Konzept zur Lösung der Abstoßungsproblematik. Dabei sollen Schweinezellen Rezeptoren auf ihrer Oberfläche exprimieren, die als eine Art molekularer Schwamm Moleküle aufsaugen, die sonst das transplantierte Organ angreifen könnten. Laut Sean Stevens, dem Leiter der Abteilung für Mammalian Synthetic Biology bei SGI, ermöglichen Methoden wie das CRISPR-System auch andere Kniffe. So könnte beispielsweise die Genexpression gedrosselt werden, anstatt Gene vollständig zu deletieren, erklärt er. Allein im September wurden weitere 50 Millionen US-Dollar von United Therapeutics für Forschungsprojekte veranschlagt.
Der Immunologe Peter Cowan vom St Vincent’s Hospital in Melbourne in Australien verfolgt wiederum einen anderen Ansatz. Seine Gruppe zog hierfür Schweine, die Antikörper gegen humane Immunzellen produzieren. Wenn diese Moleküle lediglich von den transplantierten Leberzellen erzeugt werden, wird auch nur das direkt umliegende Immunsystem supprimiert.
Laut MacKay will auch das Unternehmen eGenesis nächstes Jahr mit der Organtransplantation in Primaten beginnen. Die Firma war erst im April von der Bioingenieurin Luhan Yang und dem Genetiker George Church vom Wyss Institute der Harvard University in Cambridge in Massachusetts gegründet worden. Wie Church berichtet, wurden für die Transplantation Embryos mit mehr als 20 genetisch veränderten Oberflächenantigenen und weiteren Faktoren generiert, die nun zur Implantation in weibliche Schweine zur Verfügung stünden. Eine der ersten Publikationen beschreibt bereits die CRISPR-gesteuerte Inaktivierung von 62 PERV-Genen in Nierenzellen, und die ersten vorbereiteten Zellkerne wurden schon in Schweineembryonen transferiert.
Allerdings sehen nur wenige Wissenschaftler die PERVs als ernstes Sicherheitsproblem bei der Organtransplantation. Das Virus repliziert sich nur schlecht in humanem Gewebe und es besteht praktisch kein Ausbreitungsrisiko, meint Jay Fishman, der als Spezialist für Infektionskrankheiten am Massachusetts General Hospital in Boston arbeitet. Er erklärt, wie die Forscher dutzende Menschen untersucht haben, bei denen bereits außerhalb der Zulassung Schweinhaut transplantiert wurde – anscheinend ist keiner von ihnen erkrankt.
Aber trotzdem könnte die Zulassung schwierig werden. Die FDA hat nämlich gerade in einer E-Mail an das Magazin "Nature" erklärt, dass sie nach wie vor Bedenken wegen möglicher PERV verursachter Erkrankungen hat. Und auch andere Erreger dürfen nicht vergessen werden. Die meisten großen Epidemien beginnen nämlich mit einem Tierpathogen, das auf den Menschen überspringt, warnt Peter Collignon, der selbst an der Australian National University in Canberra über Infektionskrankheiten forscht. "Und genau mit solchen Experimenten lassen sich neue Viren aufspüren und deren Vermehrungswege untersuchen."
Solange keiner ein außerordentlich sicheres Verfahren zur Xenotransplantation nachweisen kann, wird die FDA sie auf Patienten beschränken, die an lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden und sowieso keine andere Wahl haben. Die Organe von genetisch veränderten Tieren in den Markt einzuführen, wird laut Behörde sogar noch schwieriger, weil sowohl die genetischen Konstrukte zur Veränderung der Tiere als auch die Organe als solche zugelassen werden müssen.
Selbst wenn eines Tages die Sicherheit der Verfahren eindeutig nachgewiesen wird, bleibt unklar, ob die Schweineorgane in ihrer neuen Umgebung im Menschen überhaupt ordentlich arbeiten, sagt Chapman. So ist beispielsweise nicht bekannt, ob eine Schweineniere auf humane Hormone zur Regulation des Urinflusses reagiert, oder ob die von der Schweineleber produzierten Proteine mit den humanen Organsystemen richtig interagieren. Und weil Schweine nur etwa zehn Jahre lang leben, überdauern die Transplantate möglicherweise gar nicht ein ganzes Menschenleben. Auch der Einsatz nur zur Überbrückung, bis ein passender menschlicher Spender gefunden ist, erscheint bisher schwierig. So bildet sich beispielsweise um ein transplantiertes Herz herum fibröses Gewebe, was eine zweite Transplantation extrem kompliziert macht, erklärt Chapman.
Angesichts der langen Liste allein an bekannten Hürden, sind unvorhergesehene Rückschläge auf dem langen Weg der Forscher besonders entmutigend. Etwa eine halbe Stunde nach seiner Operation an der University of Maryland erwachte der Pavian mit seiner neuen Schweinelunge. Er trug eine kleine Weste, die seine Vitalfunktionen überwachte. Die Lunge hatte über die Nacht hinweg gut funktioniert und hatte auch dann noch genügend Sauerstoff geliefert, nachdem der Blutfluss im zweiten Lungenflügel zeitweise blockiert war. Aber am nächsten Tag erkrankte das Tier und musste eingeschläfert werden – völlig unerwartet, weil die genetischen Veränderungen doch anscheinend gut mit dem Immunsystem des Pavians zurechtgekommen waren, erinnert sich Pierson. Laut anschließender Obduktion hatte sich Flüssigkeit in der Lunge angesammelt und es waren Blutklumpen entstanden. Wie so viele Aspekte der Xenotransplantation, "müssen wir auch dieses Problem erst noch lösen", sagt Pierson.
Der Artikel ist im Original "New life for pig-to-human transplants" in "Nature" erschienen.
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