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News: Spezial: Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

Durch die Umweltkonferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro ist auch Deutschland aufgerufen, eine 'nationale Strategie nachhaltiger Entwicklung' zu formulieren. Der Umweltrat fordert die Bundesregierung auf, diese Aufgabe mit größerem Nachdruck zu verfolgen. Die Bundesrepublik Deutschland, die 1971 mit ihrem ersten Umweltprogramm noch als internationaler Vorreiter gelten konnte, gehört heute zu den Nachzüglern der Entwicklung. In der Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung wurde die Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Im Januar 2000 wurde dieser Prozess durch einen Beschluss des Bundestages nunmehr förmlich eingeleitet.
Umweltpläne bisher alle mit Mängeln

Inzwischen haben rund 80 Prozent der Industrieländer verschiedene Varianten eines Umweltplans eingeführt. Darüber hinaus sind in einer Reihe von OECD-Ländern bestehende Umweltpläne fortgeschrieben, teilweise auch ausgebaut worden. Der Umweltrat hat diese Umweltpläne und die Erfahrungen bei deren Umsetzung ausgewertet, um daraus Rückschlüsse für das weitere Vorgehen in Deutschland zu ziehen. Die Mehrheit der Nachhaltigkeitsstrategien in Industrieländern stellt nur erste, allgemein formulierte Schritte in Richtung einer integrierten, zielorientierten Politikformulierung dar. Dabei ergeben sich Defizite, die nach Meinung des Umweltrates bei der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie vermieden werden sollten:

  • Die Umweltziele sind häufig vage formuliert, das heißt sie sind nicht quantifiziert und enthalten oft keine konkreten Umsetzungsfristen.

  • Die daraus resultierende Unverbindlichkeit der Umweltziele führt zu einer mangelnden Überprüfbarkeit der Zielerreichung. Eine effektive ziel- und ergebnisorientierte Steuerung ist auf dieser Grundlage kaum möglich.

  • Häufig ist eine Beschränkung auf herkömmliche Umweltschutzziele, die mit dem existierenden umweltpolitischen Instrumentarium bereits relativ erfolgreich umgesetzt werden konnten, zu beobachten. Auf die Thematisierung und Bearbeitung der bisher weitgehend ungelösten "schleichenden" Umweltprobleme wurde hingegen oft verzichtet.

  • Die häufig fehlende gesellschaftliche Konsensbasis macht die Umweltplanung anfällig für Veränderungen der politischen Prioritäten – insbesondere im Falle eines Regierungswechsels.

  • In der Mehrheit der Fälle ist eine schwache Institutionalisierung des Planungsprozesses zu beobachten.

  • Schließlich ist generell ein geringer Grad der Politikintegration, das heißt der Berücksichtigung von Umweltzielen in den Entscheidungen anderer, umweltrelevanter Ressorts, festzustellen.

Die Notwendigkeit eines stärker strategisch ausgerichteten Ansatzes der Umweltpolitik ergibt sich für Deutschland nicht nur aus den Festlegungen der Agenda 21. Gleichermaßen von Bedeutung – und vielfach übersehen – ist der Zusammenhang mit der Reform des öffentlichen Sektors. In den Industrieländern ist derzeit unter dem Stichwort New Public Management eine breite Reformtendenz hin zu ziel- und ergebnisorientierten Ansätzen der Politik zu beobachten. Sie betrifft nicht nur die Umweltpolitik, ist dort aber häufig ein bevorzugtes Anwendungsfeld des Reformkonzeptes.
Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Vorstellung, dass konkrete, an den Verwaltungsapparat (aber auch weitere Akteure) adressierte, ausgehandelte Zielvorgaben der Politik die Ergebniskontrolle erleichtern, die Motivation der Beteiligten verbessern und die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors erhöhen können.
In Ergänzung zur herkömmlichen Politiksteuerung, bei der bisher konkrete Instrumente für eher vage Ziele eingesetzt wurden, sollen nun konkrete Ziele mit flexibleren Mitteln erreicht werden. Ziel- und ergebnisorientierte Umweltpolitikplanung wird dabei auch als ein Weg zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung in der Umweltpolitik verstanden.
Ein wesentlicher Schlüssel zu einer erfolgreichen Nachhaltigkeitspolitik ist die Politikintegration, das heißt die Berücksichtigung umweltpolitischer Ziele und Kriterien in anderen Ressorts und Politikfeldern – aber auch umgekehrt. Der Umweltrat sieht hier einen wesentlichen Handlungsbedarf. Eine umweltbezogene Politikintegration erfordert nach Auffassung des Umweltrates eine realistische Begrenzung der zusätzlichen Integrationserfordernisse durch Prioritätensetzung. Insbesondere hält der Umweltrat die folgenden Integrationsmechanismen für sinnvoll:

  • Die Beauftragung von Ressorts durch Regierung oder Parlament, eigenständige Strategien in ökologischen Problemfeldern ihres Zuständigkeitsbereichs zu entwickeln (ein Ansatz, den nach den skandinavischen Ländern nun auch die EU verfolgt).

  • Die verbindliche Festlegung von Entscheidungsregeln zur Berücksichtigung extern definierter, übergreifender ökologischer Kriterien in allen Bereichen.

  • Die generelle Integration von Umweltaspekten in das staatliche Berichtswesen, bei der die Vorgabe von Berichtskriterien pro-forma-Berichte ausschließt.

  • Die generelle Kopplung der Vergabe von Fördermitteln in umweltrelevanten Bereichen an die Einhaltung ökologischer Mindeststandards und die Bevorzugung von Antragstellern mit zusätzlichen Umweltleistungen.

  • Die frühzeitige, institutionalisierte Beteiligung von Vertretern von Umweltbelangen am Politikformulierungsprozess. Dies schließt die Öffnung und pluralistische Gestaltung der häufig abgeschotteten Politiknetzwerke im Vorfeld parlamentarischer Entscheidungen in Bereichen wie Verkehr, Energie oder Landwirtschaft ein.

Nachhaltigkeitsstrategie trotz Erschwernissen angehen

Die derzeitige Bundesregierung startet den Prozess der Formulierung einer nationalen Strategie nachhaltiger Entwicklung in einer Situation, die durch einen zwar hohen, aber im Vergleich zu Beginn der neunziger Jahren deutlich verringerten Stellenwert der Umweltthematik im öffentlichen Bewusstsein gekennzeichnet ist.
Der Umweltrat hat immer wieder betont, dass die Zielbildung einer anspruchsvolle Nachhaltigkeitsstrategie auf einer umfassenden Problemdiagnose und -darstellung basieren muss. Ohne eine entsprechende Vorgabe für den Zielbildungsprozess für eine nachhaltige Entwicklung entbehrt die Umweltpolitik einer Verankerung im öffentlichen Bewusstsein, auf die dieser anspruchsvolle Prozess angewiesen ist. Die Problemdarstellung und der auf dieser Grundlage zu erarbeitende Katalog aus übergreifenden Umweltqualitätszielen und konkreten Umwelthandlungszielen sollten geeignet sein, als Orientierungsrahmen auch für dezentrale Aktivitäten (lokale, regionale Agenda 21, freiwillige Vereinbarungen) zu dienen. Die regionalen Belastungsschwerpunkte sollten erkennbar und die Anteile der wichtigsten Verursacherbereiche an den dargestellten zentralen Problemfeldern in einer Matrixstruktur verdeutlicht werden. Dabei ist das noch von der alten Bundesregierung vorgeschlagene Umwelt-Barometer mit seinen Schlüsselindikatoren als vorläufige Möglichkeit der Problemdarstellung geeignet.
Die Handlungsziele sollten aus vorgängig verabschiedeten Umweltqualitätszielen abgeleitet werden. Sektorale Umsetzungszuständigkeiten sollten klar definiert werden. Die Umsetzungsinstanzen sollten einer genau festgelegten Berichtspflicht unterliegen. Ein Übergang zu einem zielorientierten Ansatz im Sinne neuerer Konzepte des Public Management ist der deutschen Umweltpolitik zwar generell auf allen Ebenen zu empfehlen. Nach Meinung des Umweltrates sollte die formelle Strategie nachhaltiger Entwicklung aber kein umfassendes Zielsystem anstreben, sondern Schwerpunkte setzen.
Nach Auffassung des Umweltrates sollte das Planungsverfahren institutionell verankert und verbindlich gemacht werden. Möglichkeiten hierzu sind die gesetzliche Verankerung, wie sie in einer Reihe von OECD-Ländern besteht, sowie die formelle Beauftragung aller betroffenen Fachressorts durch Parlament und/oder Regierung, die inhaltliche und prozedurale Vorgaben enthält. Der Planungsauftrag sollte eine klare Festlegung der Regierung und – soweit im Einzelfall erforderlich – die Zuweisung sektoraler Verantwortlichkeiten innerhalb der Exekutive einschließen. In diesem Zusammenhang begrüßt es der Umweltrat, dass der Bundes-kanzler die formelle Federführung des Strategiebildungsprozesses übernehmen will. Wie in anderen OECD-Ländern auch sollte das inhaltliche Management des Planungsprozesses beim Umweltministerium liegen.

Institutionelle Voraussetzungen schaffen

Der Umweltrat geht davon aus, dass der Beschluss des Bundestages zur Bildung eines pluralistisch zusammengesetzten Rates für Nachhaltige Entwicklung umgesetzt wird. Der Umweltrat empfiehlt, diesen Rat für Nachhaltige Entwicklung auf die Kernfunktion der Vorklärung und Konsensbildung zu konzentrieren. Das Gremium sollte weder ein Entscheidungsorgan noch eine zusätzliche Beratungseinrichtung sein.
Dringlicher als zusätzliche Institutionen zu schaffen, ist nach Auffassung des Umweltrates insbesondere eine ausreichende wissenschaftliche und organisatorische Infrastruktur des Planungsprozesses. Es geht um hochwertigen Wissens-Input und um das professionelle Management eines sektorübergreifenden, integrativen Zielbildungsprozesses. Im Kern wird es darum gehen, desinteressierte oder gar widerständige Akteure in einer Weise mit Problemlagen und Handlungschancen zu konfrontieren, die einen Konsens für anspruchsvolle Ziele fördert.
Des weiteren schlägt der Umweltrat vor, die umweltbezogene Forschungsförderung an den Handlungszielen der Nachhaltigkeitsstrategie zu orientieren. Dabei wird es – im Gegensatz zur herkömmlichen Förderpraxis – darauf ankommen, dass die Politik Probleme und Ziele verdeutlicht, die Innovationsleistung aber den Antragstellern zuweist. Voraussetzung hierfür ist ein entsprechend offenes, wettbe-werbsorientiertes Ausschreibungsverfahren.
Im Hinblick auf die Unterstützungsfunktion der Wirtschaftspolitik wird insbesondere die Förderung innovativer Mustervorhaben im Rahmen der Planschwerpunkte empfohlen. Darüber hinaus schlägt der Umweltrat Investitionsanreize für lokale Musterlösungen im Rahmen von Agenda-21-Prozessen vor, die diesen zugleich eine reale wirtschaftliche Bedeutung verleihen und ökologisch wie ökonomisch relevante Demonstrationseffekte erzeugen. Gemeint sind auf breiter Basis konzipierte Musterlösungen für kommunale Nachhaltigkeitskonzepte, die Investitionen in Bereichen wie Naturschutz, Bodenschutz, Abfall, Energie, Transport, Bauen oder Ernährung vorsehen.
Ferner empfiehlt der Umweltrat, Innovationsanreize zu setzen und Förderprogramme auch für breiter angelegte Problemlösungen aufzulegen, etwa für Flächenrecycling oder für veränderte Verkehrswegeführung zur Aufhebung von Zerschneidungseffekten (Biotopverbundsysteme).

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