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Verhaltensbiologie: Spieglein, Spieglein

Wer sich beim morgendlichen Blick in den Spiegel nicht selbst erkennt, kann ganz ruhig bleiben: Fast der gesamten Tierwelt geht es so. Wem es doch gelingt, gehört wie Menschenaffen und Delfine zu einem exklusiven Club, der nun um ein weiteres Mitglied bereichert wird: den Asiatischen Elefanten.
Neugieriges Inspizieren. Vorsichtiges Abtasten. Ist vielleicht dahinter noch etwas? Grimassen schneiden. Kuckuck spielen – hier bin ich, wo bist du? Drohen – was fällt dem Gegenüber ein, sich nicht eingeschüchtert zu zeigen! Oder endlich mal die gute Gelegenheit nutzen, sich selbst genau in Augenschein zu nehmen: Welches Verhalten Tiere vor Spiegeln zeigen, lässt tief blicken, inwieweit sie sich selbst in der reflektierenden Scheibe erkennen. Und liefern damit auch wichtige Hinweise, wie es mit ihrem Selbst-Bewusstsein aussieht.

Lange Zeit galt die Fähigkeit, das gespiegelte Gegenüber als eigenes Abbild zu realisieren, als Besonderheit der Menschen und Menschenaffen. Forscher spekulieren, dass diese Eigenart eng damit zusammenhängt, Gefühle für Artgenossen zu entwickeln und auch eigene Hilfsaktionen auf die Bedürfnisse der anderen abzustimmen. Womit sich schnell die Frage stellte: Warum sollten das dann nur Mensch und Menschenaffen beherrschen? Schließlich kannte man solches Verhalten auch von Delfinen und Elefanten, um nur zwei zu nennen.

Die Bestätigung, dass auch Delfine Spiegelbilder richtig zu interpretieren wissen, kam im Jahr 2001. Erste Versuche mit Asiatischen Elefanten (Elephas maximus) allerdings schlugen fehl: Sie schienen nicht viel anfangen zu können mit dieser Scheibe, in der plötzlich noch weitere Dickhäuter auftauchten.

Spiegelinspektion | Konfrontiert mit dem eigenen Spiegelbild zeigten die Tiere plötzlich Verhaltensweisen, welche die Tierpfleger zuvor nur seltenst beobachtet hatten. Auch Elefanten, so zeigte sich, erkennen offenbar ihr eigenes Abbild.
Vielleicht aber, so überlegten Frans de Waal von der Emory-Universität und seine Kollegen, lag das schlicht am Spiegel: Zu klein, zu weit weg – denn die Tiere konnten das Objekt nicht erreichen und somit auch nicht inspizieren. Das aber gehört, so weiß man aus anderen Studien, zu den ersten Schritten, wenn sich die Betroffenen mit dem Gegenstand vertraut machten. Also stellten die Wissenschaftler einen wahren Jumbospiegel von knapp 2,50 auf 2,50 Meter ins Elefantengehege des Bronx-Zoos in New York und beobachteten, wie Happy, Maxine und Patty, die 35-jährigen Bewohner, darauf reagierten.

Um das neue Objekt erst einmal einzuführen, verhüllten die Forscher die Spiegelfläche zunächst. Als sich die drei Asiatischen Elefanten an das neue Inventar gewöhnt hatten, entfernten die Wissenschaftler die Abdeckung – und schon weckte die reflektierende Fläche größtes Interesse. Patty verbrachte fast die Hälfte der Zeit im Freigehege davor und untersuchte die Wand, an welcher der Spiegel montiert war, gründlichst mit dem Rüssel: Schwang ihn darüber, um die Rückseite zu erkunden, versuchte daran hochzuklettern, um darüber zu schauen, kniete sogar davor nieder und bohrte mit dem Rüssel von unten daran herum. Maxine tat es ihm gleich. "Ihr Verhalten war sehr ungewöhnlich", schreiben die Autoren. Die Tierpfleger hatten solche Sperenzchen zuvor nur seltenst beobachtet. Keines der Tiere hingegen versuchte, mit dem plötzlichen Gegenüber irgendwie in Kontakt zu treten, wie sie es sonst mit Artgenossen handhaben.

Happy untersucht sich | Schnurstracks war Happy zum Spiegel marschiert, hatte die weiße Markierung begutachtet und anschließend mehrfach mit dem Rüssel betastet. Eine farblose Scheinmarkierung auf der anderen Schläfe ignorierte sie hingegen.
Happy hingegen schien sich zunächst deutlich weniger für den Spiegel zu interessieren: Nur ein Fünftel ihrer Freigehege-Zeit verbrachte sie vor der reflektierenden Fläche. Bis zu dem Tag allerdings, an dem ihr die Forscher ein weißes Kreuz auf die rechte Schläfe zeichneten, ergänzt durch eine nicht sichtbare Markierung links. Schnurstracks marschierte die Elefantendame am Morgen direkt zum Spiegel, wie um sich zu begutachten. Zunächst wendete sie sich noch einmal ab, um aber doch nach wenigen Minuten zurückzukehren, mehrfach vor den Spiegel zu treten und wieder wegzugehen. Abseits der reflektierenden Fläche blieb sie dann stehen und betastete die Stelle mit der Farbmarkierung gründlich mit dem Rüssel – die Kontrolle an der linken Schläfe ignorierte sie hingegen. Dann wandte sie sich wieder dem Spiegel zu und erkundete nun dort im Bild weiter ihren Kopf mit dem weißen Mal.

Die beiden anderen Dickhäuter reagierten nicht auf eine eigene solche Markierung. Zweifel an der Selbsterkennung hegen die Forscher trotzdem nicht: In den Tagen zuvor hatte beispielsweise Maxine vor dem Spiegel stehend mit dem Rüssel penibel ihren Mund untersucht und ganz vorsichtig ein Ohr nach vorne gezogen – ein Verhalten, das sie in der ersten Zeit nicht gezeigt hatte. "Ein kleiner Farbfleck könnte für sie schlicht belanglos sein", erklären die Wissenschaftler. Schließlich bespritzten sich Elefanten häufig selbst oder wälzten sich in Staub und Schlamm. Bei der riesigen Körperoberfläche, die ständig verschlammt oder versandet sei, käme es auf solche Kleinigkeiten wie ein weißes Kreuz auf der Schläfe womöglich einfach nicht an.

Alles in allem demonstrierten die drei Elefanten ähnliches Verhalten wie Mensch, Menschenaffe und Delfin im Angesicht eines Spiegels. Insofern handle es sich wohl um einen Fall von konvergenter Evolution in der Wahrnehmung, so de Waal und seine Kollegen weiter. Und diese könnte ihrerseits überhaupt die Basis bilden für die komplexen Sozialstrukturen und das kooperative Verhalten dieser Arten. Wobei dann ein weiterer Evolutionsschritt bei der Spezies Mensch, die sich so gern als "Krone der Schöpfung" versteht, wünschenswert wäre: Wer sich unsozial verhält, sollte die Anzeichen dafür im Spiegel erkennen können – und die Konsequenzen ziehen.

Antje Findeklee

Proceedings of the National Academy of Sciences 103: 17053-17057 (2006)

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