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Evolution: Spinnmilben »entkleiden« Partnerinnen für schnellen Sex

Sex halb gehäutet: Um als Erste zum Zug zu kommen, haben männliche Spinnmilben eine bizarr erscheinende Strategie entwickelt. Es ist allerdings nicht so dramatisch, wie es klingt.
Spinnmilbengespinst auf Erdbeere
Spinnmilben sind nicht nur hartnäckige Schädlinge - sie haben auch ein eher ungewöhnliches Liebesleben.

Spinnmilben sind in Garten und Landwirtschaft außerordentlich lästig – allein in Deutschland befallen sie etwa 90 unterschiedliche Feldfrüchte, lassen Blätter welken und überziehen sie mit einem feinen Gespinst. Außerdem hat Tetranychus urticae, wie das weniger als einen halben Millimeter große Spinnentier wissenschaftlich heißt, ein bizarres Liebesleben. Wie eine Arbeitsgruppe um Peter Schausberger von der Universität Wien berichtet, reißen die Männchen den sich gerade häutenden Weibchen die alte Haut vom Hinterleib, um sich als Erste mit ihnen paaren zu können.

Zuvor bewachen sie die noch unreifen Weibchen mehrere Stunden, um konkurrierende Männchen abzuwehren und im entscheidenden Moment zur Stelle zu sein, schreibt das Team in seiner Veröffentlichung im Fachjournal »iScience«. Das Verhalten sei durch die starke Konkurrenz um die erste Paarung mit Weibchen entstanden, erklärt Schausberger in einer Pressemitteilung der Universität Wien. »Das liegt daran, dass der erste Kopulationspartner eines Weibchens auch derjenige ist, der alle Nachkommen zeugt.«

Spinnmilben durchlaufen nach dem Schlüpfen vier Entwicklungsstadien, zwischen denen sie jeweils ihre alte Haut abwerfen. Nur das letzte Stadium, Imago genannt, ist geschlechtsreif – und paart sich genau einmal. Entsprechend intensiv konkurrieren die Männchen um die frisch gehäuteten erwachsenen Weibchen. Unter diesen Umständen ist es für die Männchen sinnvoll, Weibchen im vorletzten Entwicklungsstadium bis zu ihrer Häutung zu bewachen und sich dann direkt mit ihnen zu paaren. Die Strategie ist bei diversen Insekten, Spinnen- und Krebstieren bekannt.

In Filmaufnahmen der Spinnmilben bemerkte die Arbeitsgruppe von Schausberger jedoch, dass die Männchen dort noch einen Schritt weiter gehen. Kurz vor der Häutung beginnen die Männchen, auf die Hülle des sich häutenden Weibchens zu trommeln. Sobald die als Exuvie bezeichnete alte Haut aufplatzt, ziehen sie die Hülle ab – und das sehr zielstrebig. Während unbewachte Weibchen zuerst den vorderen Teil der Exuvie abwerfen, beginnen die Männchen beim »Entkleiden« mit dem Hinterleib und paaren sich mit den Weibchen, sobald die Geschlechtsorgane freiliegen.

Diese Strategie ist allerdings nicht so einseitig, wie es die menschliche Perspektive nahelegen könnte. Vielmehr ist das Verhalten das Ergebnis sexueller Selektion, der gemeinsamen Evolution beider Geschlechter. Wie das Team berichtet, braucht das Weibchen dank der tatkräftigen Hilfe weniger als die Hälfte der Zeit, um sich von der alten Hülle zu befreien. Außerdem vermuten die Fachleute, dass das »Entkleiden« als eine Art Signal für die Tauglichkeit des potenziellen Geschlechtspartners dient. Bevor und während die Weibchen sich häuten, sind sie besonders attraktiv für Männchen, vermutlich durch Pheromone. Womöglich geht der Hauptpreis an das Männchen, das nicht nur am geschicktesten die Exuvie öffnet, sondern dabei auch noch die Nebenbuhler auf Distanz hält.

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