Sport: Muskeln halten das Herz-Kreislauf-System fit – sogar im Schlaf
Mit dem Rad zur Arbeit, gelegentlich spazieren gehen – viele Menschen denken, dass schon etwas Bewegung ausreicht, um den Körper einigermaßen fit zu halten. Doch mittlerweile empfehlen Fachleute intensives Training, um den Körper gesund zu halten – sogar das Herz profitiert davon. Und sie gehen sogar noch weiter und raten, Training zur Therapie einzusetzen. »Sport wirkt wie ein Arzneimittel, hat aber viel weniger Nebenwirkungen«, sagt Martin Halle, Professor und ärztlicher Direktor für präventive Sportmedizin und Sportkardiologie am Klinikum rechts der Isar, dem Universitätsklinikum der Technischen Universität München. »Bewegung senkt etwa den Blutdruck so gut wie eine Tablette eines Blutdruckmedikaments – das Beste aber ist, dass aktive Menschen viel seltener Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, Bewegung also auch vorbeugt.« Doch wie genau wirkt sportliche Aktivität auf unser Herz-Kreislauf-System?
Wie Botenstoffe unsere Gesundheit fördern
Zuallererst trainiert Sport den Herzmuskel: Bei Menschen, die sich regelmäßig bewegen, kann pro Herzschlag mehr Blut ausgeworfen werden. Solch ein Herz kann den Körper mit weniger Schlägen als bei Untrainierten mit sauerstoffreichem Blut versorgen. Das hat den positiven Effekt, dass bei sportlichen Menschen der Ruhepuls niedriger ist. Dieses so genannte »Sportlerherz« ist größer als bei untrainierten Menschen und die Herzwände sind dicker. Die Veränderungen bei einem Sportlerherzen sind ähnlich den Abweichungen, die bei bestimmten Herzkrankheiten auftreten können. »Im Gegensatz zum Inaktiven hat das keine negative Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System«, sagt Martin Halle. »Bei Bluthochdruck ist das Herz oft krankhaft vergrößert.« Es muss dann stärker gegen den höheren Druck im System arbeiten, um den Körper zu versorgen. Zur Prävention dieser gefährlichen Erkrankungen hilft Sport mit intensiver Muskelbeanspruchung.
Das liegt an einer relativ neuen Einsicht: Muskeln sind, was die Masse betrifft, unser größter Körperteil. Und sie senden mehr als 600 Botenstoffe aus, die als Myokine bezeichnet werden. »Sie haben vor allem positive Wirkung auf verschiedenste Körperfunktionen und das Herz«, sagt Christian Schmied, Professor für präventive Kardiologie und Sportmedizin am Universitären Herzzentrum Zürich. »Durch Sport kann man dafür sorgen, dass diese Botenstoffe vermehrt ausgeschüttet werden.«
»Botenstoffe werden wie E-Mails zwischen Knochen und Muskeln ausgetauscht. Damit sie freigesetzt werden, muss man die Knochen belasten und die Muskeln dehnen«Martin Halle, Professor für präventive Sportmedizin und Sportkardiologie
Viele positive Effekte des Sports auf das Herz-Kreislauf-System führt man auf die Myokine zurück – aber auch Botenstoffe aus den Knochen, so genannte Osteokine, spielen eine Rolle. »Botenstoffe werden wie E-Mails zwischen Knochen und Muskeln ausgetauscht«, sagt Martin Halle. »Damit sie freigesetzt werden, muss man die Knochen belasten und die Muskeln dehnen – deswegen empfehlen wir heute Krafttraining in Ergänzung zum Ausdauertraining.«
Wie viel und welche Art von Sport gesund ist
Die WHO-Leitlinie zur Bewegung empfiehlt bei Erwachsenen zumindest 150 Minuten moderates bis intensives Training pro Woche, also etwa 21 Minuten pro Tag. Bei Kindern zwischen 5 und 17 Jahren sollten es 60 Minuten pro Tag sein. »Wenn man den Puls spürt, gilt dies als moderat, sobald man ins Schwitzen kommt, sprechen wir von intensiver Belastung«, erklärt Michael Leitzmann, Professor für Epidemiologie und Präventivmedizin an der Uni Regensburg und Mitautor der Leitlinien. Die Empfehlungen der WHO basieren auf Daten großer, epidemiologischer Studien, die untersuchen, wie Umfang und Intensität für körperlicher Aktivität mit Mortalität und Krankheitsrisiken – insbesondere für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – zusammenhängen.
An den Leitlinien hat sich in den letzten zehn Jahren wenig geändert. Relativ neu ist allerdings der Rat, Inaktivität und Sitzen zu vermeiden. Nach wie vor liegt der Fokus auf Ausdauertraining, doch zusätzlich wird eine andere Trainingsform sehr betont: »Neu haben wir zuletzt die Empfehlung für Krafttraining aller wichtigen Muskelgruppen aufgenommen«, sagt Michael Leitzmann. Das ist auch aus Sicht der Herzmedizin positiv, findet Christian Schmied. »Früher wurde zur Prävention von Herzerkrankungen und in der Reha ausschließlich zu Ausdauersport geraten. Mittlerweile empfehlen wir aber zusätzlich moderates Kraft- und Intervalltraining; so kann man die Muskelmasse vergrößern und somit mehr gesundheitsfördernde Botenstoffe ausschütten.«
Womöglich reichen deshalb sogar schon sehr kurze, intensive Sportintervalle: Kürzlich zeigte eine australische Studie, dass bereits 15 bis 20 Minuten intensive Bewegung pro Woche zu einem um 16 bis 40 Prozent gesunkenen Sterblichkeitsrisiko führen. Demnach reichen zweimal zwei Minuten körperliche Anstrengung am Tag schon aus, um das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall zu senken, bei 50 bis 57 Minuten Anstrengung geht es noch weiter zurück. »Wenn ich von Sport rede, dann meine ich nicht Schach und Schießen«, sagt Martin Halle. »Es braucht eine gewisse Intensität der Muskelaktivierung, damit die Myokine freigesetzt werden.« Intensiver Sport sorge auch dafür, dass herzschädigende Stoffwechselprodukte vermehrt aus dem Blut verschwinden. »Die Muskeln schütten Interleukin 6 aus«, sagt Martin Halle. »Ein Zytokin, das unter anderem dafür sorgt, dass die Muskeln die Glukose zur Energiegewinnung aus dem Blut saugen.«
Wie kann ich mein Training intensivieren?
- Statt zu spazieren, versuchen Sie, zügig zu gehen (ab etwa acht Stundenkilometer), oder machen Sie eine Bergwanderung. Steigern Sie Ihr Tempo beim Radfahren auf etwa 16 Stundenkilometer oder machen Sie eine Tour mit einem Mountainbike in anspruchsvollem Gelände.
- Bauen Sie Liegestütze oder Kniebeugen ein, wenn Sie Aerobic oder Gymnastik machen.
- Statt allein ein paar Körbe zu werfen oder im Park etwas zu kicken, spielen Sie Basketball oder Fußball in Teams um den Gewinn eines Matches.
- Fahren Sie in anspruchsvollem Gelände Ski und wedeln Sie nicht nur entspannt den Berg hinunter.
- Anstatt lediglich eine bestimmte Anzahl an Bahnen zu schwimmen, versuchen Sie, diese auf Zeit zu schwimmen und sich stetig zu verbessern.
- Probieren Sie aus, gegen einen Partner im Ring zu boxen, wenn Sie sonst nur in einen Sack zu boxen.
Die Rolle von Cholesterin und Viszeralfett
Als wichtigster Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt ein ungünstiges Blutfettprofil. »Besonders wenn das schlechte LDL-Cholesterin zu hoch ist, kommt es zu Arteriosklerose, der so genannten Arterienverkalkung«, sagt Martin Halle. »In den kleinen Herzkranzgefäßen wird kontinuierlich Cholesterin in den Wänden abgelagert, das über Jahre zu hochgradigen Gefäßverengungen und sogar Gefäßverschlüssen mit Folge eines Herzinfarktes führen kann.« Durch sportliche Aktivität werden die Blutfette positiv beeinflusst – wie genau, ist allerdings noch nicht vollkommen verstanden. Cholesterinpartikel mit niedriger Dichte, also LDL-Cholesterin (Low-density-Lipoproteine; Eselsbrücke: »LieDerLich«), sind bei Sportlern in etwas geringerer Konzentration vorhanden und meist größer. Letzteres hält sie eher davon ab, in die Gefäßwände einzudringen und sich dort einzulagern.
Lange dachte man, dass Sport die Konzentration der »guten« HDL-Cholesterinpartikel (High-density-Lipoproteine; Eselsbrücke: »Hab-Dich-Lieb«) direkt erhöhe und dies vermehrt das »schlechte« LDL-Cholesterin abtransportiere – und so Ablagerungen in den Gefäßen verhindere. Allerdings macht Sport noch mehr, was bislang nicht verstanden ist: Denn wenn Ärzte mit Medikamenten den HDL-Spiegel erhöhen, hat das allein noch keinen vorbeugenden Effekt bezüglich Herz-Kreislauf-Erkrankungen. »Was wir wissen, ist, dass durch sportliche Belastung in den Gefäßen Enzyme freigesetzt werden«, sagt Martin Halle. »Diese docken in der Leber und in der Muskulatur an und verändern die Cholesterinpartikel zu weniger gefäßschädigenden Cholesterin- und Blutfetten.«
Als besonders herzschädigend haben Mediziner bestimmte Fettpolster ausgemacht, die aber nicht unmittelbar mit Cholesterin oder den Blutfetten zu tun haben und sich unabhängig von diesen negativ auswirken. Man unterscheidet Fett, das unter der Haut liegt, und solches, das im Inneren des Bauchraumes die Organe umgibt oder sie regelrecht durchsetzt wie etwa bei der Leber. Letzteres, das Viszeralfett, gilt als besonders ungesund, weil es ständig Entzündungsbotenstoffe bildet und ins Blut ausschüttet. »Bei Menschen, die zu viel davon haben, sind die Leber, die Bauchspeicheldrüse und auch das Herz verfettet«, sagt Martin Halle. »Dieses lokale Fettgewebe sorgt für eine ständige Entzündungsreaktion und diese verursacht vor allem am Herzen eine frühzeitige Arteriosklerose und Versteifung der Herzwände.«
»Unter Umständen nehmen diese Menschen also sogar durch Sport zu, viele sorgen sich deswegen – aber diese Gewichtszunahme ist positiv zu bewerten«Christian Schmied, Professor für präventive Kardiologie und Sportmedizin
Überschüssiges viszerales Fett wird aber bei Sport vor den anderen Fettpolstern abgebaut. »Das viszerale Fett loszuwerden, ist entscheidend, um das Risiko für Herzkrankheiten zu senken«, sagt Christian Schmied. Der oft zur Bestimmung von Übergewicht verwendete Body-Mass-Index sei allerdings ungeeignet, um Fortschritte durch Sport festzustellen. »Bei Patienten, die beginnen, Sport zu machen, wächst die Muskelmasse – und die ist schwerer als Fett«, erklärt Christian Schmied. »Unter Umständen nehmen diese Menschen also sogar durch Sport zu, viele sorgen sich deswegen – aber diese Gewichtszunahme ist positiv zu bewerten.«
Ein gutes Maß für das viszerale Fett ist der Bauchumfang. »Er ist einfach zu messen und hängt nicht so stark von der Statur ab, wie Gewicht und BMI«, sagt Christian Schmied. Man legt einfach ein Maßband an der dicksten Stelle um den Bauch: Bei Männern beginnt der kritische Bereich bei 94 Zentimetern, ab 103 ist man definitiv zu dick. Bei Frauen startet das kritische Intervall bei 80 Zentimetern und ab 88 ist definitiv empfohlen, abzunehmen und Sport zu treiben.
Arterien und Venen brauchen Bewegung
Auf die Gefäße hat körperliche Anstrengung ebenfalls einen positiven Effekt, vor allem auf die Arterien, die das sauerstoffreiche Blut vom Herzen in den Körper bringen. Sie bleiben bei Menschen, die aktiv leben, elastischer. »Durch regelmäßige körperliche Aktivität können Arterien schnell von weit auf eng stellen und umgekehrt, um den Blutdruck zu regulieren«, sagt Halle. »Das macht auch ein junges, gesundes Gefäßsystem aus.« Der Mechanismus wird wohl durch die Druckwelle verursacht, die der Herzschlag in den Arterien verursacht, tastbar als Pulsschlag. Die Gefäßwände, die gleichfalls eine Schicht Muskulatur enthalten, werden dadurch gedehnt. Das führt zur Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO), vermehrt bei physischer Aktivität. Bei Sportlern in Bewegung umso mehr, da das Herz hier eine größere Menge Blut auf einmal auswirft. »NO wird in der Gefäßwand gebildet und setzt eine Kaskade in Gang, in deren Folge weniger Kollagen in die Gefäßwand eingelagert wird«, erklärt Martin Halle. »Das ist ein Umbauprozess – man kann durch Sport also auch ein Stück weit das Gefäßsystem regenerieren.«
Auch die Venen, jene Gefäße, die das sauerstoffarme Blut aus den Geweben zurück zum Herzen bringen, profitieren von Bewegung. Sie haben im Gegensatz zu den Arterien keine Muskelschicht. Wenn die Skelettmuskulatur, insbesondere in den Beinen, arbeitet, zieht sie sich zusammen. Sobald sie angespannt wird, drückt sie auch die Venen zusammen, ähnlich wie das auch Kompressionsstrümpfe tun. Das Blut auf dem Weg zum Herzen wird dadurch beschleunigt. »Das ist die so genannte Muskelpumpe«, erklärt Martin Halle. Sie erleichtert dem Herzen die Arbeit: Es muss weniger stark saugen, um das Blut zum Herzen zurückzuholen, weil weniger Blut in den Beinen versackt.
Sport beruhigt und ist gut für die Psyche
»Die Muskulatur arbeitet für unsere Gesundheit, sogar wenn wir schlafen«, sagt Christian Schmied. Dies wird über das Nervensystem vermittelt. So sinken Ruhepuls und Blutdruck bei Menschen, die regelmäßig Sport treiben. Sport macht Ruhe demnach erholsamer – und den Körper bei Belastung effizienter. »Wenn ein Sportler sich anstrengt, kann der Körper dann aber rasch hochfahren«, sagt Christian Schmied. Wer sich sportlich betätigt, ist nach der aktiven Phase entspannter, auch psychisch. Denn Sport aktiviert den Parasympathikus, den Teil des Nervensystems, der beruhigend wirkt. Vermittelt wird das etwa dadurch, dass nach Anstrengung weniger aktivierende Botenstoffe wie Noradrenalin ausgeschüttet werden. Dies beeinflusst ebenso den Herzschlag: Er verlangsamt sich und der Blutdruck in Ruhe sinkt dadurch.
Wahrscheinlich werden durch Sport auch Botenstoffe ausgeschüttet, die direkt positiv auf die Psyche wirken. Studien belegen, dass eine Depression mit einer Psychotherapie wie etwa einer kognitiven Verhaltenstherapie in Verbindung mit Sporteinheiten erfolgreicher behandelt werden kann als ohne. Zudem haben Menschen, die sich regelmäßig bewegen, ein geringeres Risiko, eine Depression zu entwickeln.
Bei allen positiven Effekten, die physische Aktivität hat: Sportmuffel sollten nicht zu abrupt mit zu hoher Intensität zu beginnen. »Man sollte langsam anfangen und die Intensität stetig steigern – bei Vorerkrankungen am besten nach Absprache mit dem Arzt«, sagt Michael Leitzmann. »Aber sogar im fortgeschrittenen Alter oder bei Krankheit ist es immer noch besser, sich zu bewegen, als es sein zu lassen.«
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