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Sprache: Die verborgene Bedeutung der Laute

Gibt es eine tiefere Verbindung zwischen den Lauten und der Bedeutung eines Wortes? Neue Befunde zum Bouba-Kiki-Effekt liefern neue Indizien für eine alte Theorie.
Ein Mädchen flüstert dem anderen etwas ins Ohr

Dass wir einen Baum »Baum« nennen, ist reine Konvention. Im Englischen heißt der Baum »tree«, im Spanischen »árbol«, im Chinesischen »shu«. Nur bei wenigen Wörtern, wie beim deutschen »Kuckuck«, hängen Zeichen und Bedeutung zusammen – so lautet jedenfalls die Lehrmeinung. Doch ein bekanntes Phänomen spricht dagegen, sagt eine internationale Forschungsgruppe und begründet ihre Hypothese mit neuen Befunden.

Die mehr als 20 Sprachforscherinnen und -forscher arbeiteten mit einem klassischen Versuchsaufbau: je ein Bild von einem Klecks mit runden Konturen und einem mit spitzen Zacken, dazu die Wörter »Bouba« und »Kiki«. Die Versuchspersonen sollen angeben, welches Wort zu welchem Bild gehört. Die meisten ordneten »Bouba« der runden und »Kiki« der gezackten Form zu. Von diesem Phänomen berichtete der Gestaltpsychologe Wolfgang Köhler bereits Mitte des 20. Jahrhunderts am Beispiel anderer Kunstwörter, »maluma« und »takete«. Bei Vornamen wie »Bob« und »Kirk« tritt ein ähnlicher Effekt auf.

Das Team um Aleksandra Ćwiek vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) in Berlin hat den Effekt in neun Sprachfamilien nachgewiesen. Vertreten waren mehr als 900 Männer und Frauen mit 25 verschiedenen Muttersprachen und zehn verschiedenen Schriftsystemen, zum Beispiel Armenisch, Georgisch, Japanisch und Koreanisch. Auf diese Weise konnten die Forschenden prüfen, ob der »Bouba-Kiki-Effekt« womöglich nicht auf den gesprochenen Laut zurückgeht, sondern auf die Buchstaben »B« und »K«. Denn nicht jede Schrift stellt den einen Laut durch ein rundes und den anderen durch ein eckiges Zeichen dar.

Wie erwartet verbanden Versuchspersonen, die das lateinische Alphabet schreiben, zu 75 Prozent »Bouba« mit der runden und »Kiki« mit der eckigen Form. In den übrigen Schriften waren es mit 63 Prozent zwar weniger, aber immer noch mehr, als der Zufall erwarten lässt. Demnach unterstützt die lateinische Schrift den Effekt – er besteht aber auch unabhängig von der geschriebenen Form.

In der vorliegenden Studie trat der Effekt in einzelnen Sprachen kaum oder gar nicht auf, etwa im Türkischen und Rumänischen. Die Forschungsgruppe erklärt das unter anderem damit, dass ähnlich klingende Wörter den Effekt überdecken könnten. So existiere im Rumänischen ein Wort für »Wunde«, das sich wie »Bouba« anhöre und eine unangenehme Assoziation mit (eher als spitz empfundenen) Schmerzen wecke.

Die Forschenden machen die akustischen Eigenschaften der Wörter für den Bouba-Kiki-Effekt verantwortlich: »Er scheint in einer crossmodalen Entsprechung von gesprochenen Wörtern und visuellen Formen zu wurzeln.« Anders gesagt: Wenn wir den Laut »B« als rund empfinden, vereinen wir verschiedene Sinnesmodalitäten – eine Art synästhetischer Klangsymbolismus.

Ältere Studien kamen zum gleichen Schluss. In einer Bantu-Sprache in Namibia war der Bouba-Kiki-Effekt ebenfalls zu beobachten, obwohl die Versuchspersonen nicht schreiben konnten und fast keinen Kontakt zur westlichen Kultur hatten. Und auch bei früh erblindeten Menschen ließ er sich nachweisen.

Klangsymbolik erleichtert die Verständigung

Untermauert wird die Theorie der Klangsymbolik außerdem von einer aktuellen Studie der Psychologin Shiri Lev-Ari und ihrer Kolleginnen von der University of London. Wie sie schreiben, ließen sie ihre Versuchspersonen Aufnahmen der Wörter »groß« und »klein« (»big« und »small«) in ihnen unbekannten Sprachen hören und deren Bedeutung raten. Wer beispielsweise überhaupt kein Englisch kannte, sollte angeben, welches der Wörter »big« oder »small« groß oder klein bedeutete. Die Versuchspersonen rieten häufiger richtig, wenn eine Sprache weit verbreitet war. In großen Sprachgemeinschaften sei es schwieriger, sich zu verständigen, erklären die Forscherinnen. Die Klangsymbolik erleichtere die Kommunikation.

Der Bouba-Kiki-Effekt könnte dazu beitragen, die Ursprünge von Sprache besser zu verstehen, schreibt die Gruppe um Aleksandra Ćwiek. Als es noch keine Sprache gab und sich die Menschen verständigen wollten, seien sie vermutlich darauf angewiesen gewesen, dass es einen intuitiven Zusammenhang zwischen Lauten und Bedeutung gab. Das spräche gegen die verbreitete Annahme, dass Klang und Bedeutung eines Wortes in der Regel nichts miteinander zu tun haben. Vielleicht ist es also doch kein Zufall, dass wir einen Kaktus nicht »Baum« und einen Baum nicht »Kaktus« nennen.

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