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Menschwerdung: »Sprache entstand aus unserer Freundlichkeit«

Warum können wir sprechen? »Menschen müssen zusammenarbeiten, um zu überleben«, sagt der Kognitionsforscher Rogier Mars von der University of Oxford. Im Gehirn von Mensch und Tier hat er Unterschiede gefunden, die das menschliche Sprachvermögen erklären können.
Eine Gruppe Freunde sitzt lachend und quatschend zusammen am Tisch
Den netten Plausch unter Freunden haben wir unserem Sprachvermögen zu verdanken. (Symbolbild)

Das Erbgut von Menschen und Schimpansen unterscheidet sich kaum voneinander – die DNA stimmt bis zu 99 Prozent überein. Und doch sind unsere nächsten Verwandten wie Gorillas, Bonobos und Orang-Utans vom Aussterben bedroht, während Homo sapiens die Welt erobert hat. Macht die Sprache den Unterschied? Einfache Formen der Kommunikation gibt es zwar bei allen Lebewesen: Pilze warnen einander vor Gefahren, Bakterien tauschen Informationen aus, und Schimpansen kommunizieren mit Lauten und Gesichtsausdrücken. Sie können sogar die menschliche Gebärdensprache lernen – aber nur bis zu einem gewissen Grad.

Hat uns also die Sprache zum Menschen gemacht? Der Kognitionswissenschaftler Rogier Mars von der University of Oxford forscht nach Unterschieden im Gehirn von Mensch und Tier und will die Frage lieber andersherum stellen: Wie kam der Mensch zur Sprache? »Unsere Vorfahren halfen einander bei der Nahrungssuche, es entstand eine Kultur der Zusammenarbeit, Erfahrungen wurden von einer Generation zur nächsten weitergegeben. So entwickelte sich gesprochene Sprache«, sagt Mars. Möglich geworden sei das durch Veränderungen im Gehirn: Die Großhirnrinde wuchs, neue Verbindungen entstanden, alte Strukturen übernahmen neue Funktionen.

»Spektrum.de«: Hätte es ohne Sprache keine Menschen gegeben?

Rogier Mars: Das ist nicht mein Fachgebiet. Ich vergleiche die Hirnanatomie des Menschen mit der von anderen Tieren. Meine Frage ist, was das menschliche Gehirn so einzigartig macht. Da kommt man oft auf das Thema Sprache. In dem Zusammenhang habe ich ein Nervenbündel im menschlichen Gehirn untersucht, das viel besser verdrahtet ist als das im Affengehirn: den Fasciculus arcuatus, das »gebogene Bündel«. Es handelt sich um Nervenfasern, die den Schläfenlappen, der auf der Höhe der Ohren liegt, mit dem Stirnlappen verbinden.

Welche Funktion hat es?

Rogier Mars | Der Hirnforscher, Jahrgang 1979, ist Professor für kognitive Neurowissenschaften an der University of Oxford in England und leitet außerdem ein Forschungsteam an der Radboud-Universität im niederländischen Nimwegen. Er studiert die Hirnanatomie von Menschen und Affen, um herauszufinden, wie sie sich unterscheiden.

Das Faserbündel schickt Informationen zwischen den beiden Hirnregionen hin und her. Wenn es beschädigt ist, kann eine bestimmte Sprachstörung auftreten, eine so genannte Leitungsaphasie. Sie besteht darin, dass jemand zwar Wörter spontan produzieren und Gesprochenes verstehen, aber nicht nachsprechen kann. Ich habe dieses Bogenbündel bei Menschen und anderen Tieren verglichen. Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass es bei Menschen größer ist. Jetzt haben wir auch festgestellt, dass die internen Verbindungen anders verlaufen: Sie sind beim Menschen viel stärker entwickelt, was wahrscheinlich erklärt, warum wir so schnell und flexibel mit Sprache umgehen können und Schimpansen nicht.

Und aus diesem Grund übertreffen wir andere Tiere in Sachen Kommunikation?

Vielleicht gibt der Fasciculus arcuatus Informationen, die über die Sinne in das Gehirn hineinkommen, an andere Hirnregionen weiter. Dort wird die Information mit Gedächtnisinhalten und motorischen Fertigkeiten verbunden. Das würde nicht nur unser Sprachvermögen erklären, sondern auch unsere Fähigkeit, Werkzeuge zu gebrauchen, etwas, was man bei Menschenaffen in geringerem Maß beobachtet. Beim Menschen ist das Bogenbündel evolutionär viel weiter entwickelt, mit mehr Nervenverbindungen, die bis in die letzten Winkel reichen. Darin liegt eine mögliche Erklärung für unser komplexes Sprachvermögen. Dass es einzigartig ist, liegt meines Erachtens also an der Organisation des Gehirns. Unsere Vorfahren waren mit der Notwendigkeit konfrontiert, miteinander zu kommunizieren; wahrscheinlich mussten sie bestimmte Probleme lösen, um an Nahrung zu kommen. Es gab einen Selektionsdruck.

»Schimpansen haben einander nicht so viel zu erzählen«

Viele Forscher behaupten, dass Schimpansen deshalb nicht sprechen können, weil sie dazu nicht die nötigen kognitiven Fähigkeiten haben, aber auch, weil sich ihre Stimmbänder, die Zunge und der Unterkiefer dazu nicht eignen.

Das stimmt alles, doch es ist noch basaler: Schimpansen haben einander nicht so viel zu erzählen. Laut dem Anthropologen Brian Hare sind Menschen freundlicher und hilfsbereiter als Schimpansen, weil sie einander viel mehr brauchen als unsere nahen Verwandten. In seinem Buch »Survival of the Friendliest« von 2020 verweist er auf eine Studie seines ehemaligen Dozenten, des Kommunikationsforschers Michael Tomasello. Er hat untersucht, ob es Schimpansen hilft, wenn sie Hinweise bekommen. In einem klassischen Experiment bekommen Versuchspersonen einen Tipp, wo etwas Leckeres zu essen versteckt ist – Kleinkinder wissen das hervorragend zu nutzen. Aber den Schimpansen gelang das nicht. Tomasello konnte noch so sehr in Richtung der versteckten Banane zeigen, die Versuchstiere haben es einfach nicht verstanden. Ganz anders war es in einer Wettbewerbssituation: Da schienen die Schimpansen solche Hinweise sehr gut zu verstehen. Hares Erklärung war, dass Schimpansen es nicht gewohnt sind, einander zu helfen. Menschen sind viel hilfsbereiter als Schimpansen und andere Primaten. Deshalb wollen wir einander viel mehr mitteilen.

Was schließt er daraus? Ist das also der Ursprung von Sprache?

Hare vermutete, dass Sprache ein Ergebnis unserer Freundlichkeit ist beziehungsweise aus unserer Freundlichkeit entstanden ist. Obwohl andere Primaten auch soziale Tiere sind, sind Menschen viel mehr aufeinander angewiesen und arbeiten deshalb mehr zusammen. So wie domestizierte Singvögel viel komplexere Melodien pfeifen als ihre wilden Verwandten, wird unsere Sprache umso komplexer, je mehr Menschen wir um uns haben. Ein Jäger und Sammler in einer kleinen Gesellschaft verfügt über einen Wortschatz von 3000 bis 5000 Wörtern, während ein 17-jähriger Amerikaner 60 000 Wörter kennt. Das liegt nicht an dessen besonderer Intelligenz, sondern daran, dass er viel mehr Verbindungen hat.

Was war zuerst da: der Mensch oder die Sprache?

Schwer zu sagen. Genetisch gesehen unterscheiden wir uns wenig von den Schimpansen. Sie müssen sich jedoch in einer dunklen Ecke des Regenwalds verstecken und um ihr Überleben fürchten, während wir auf diesem Planeten die Führung übernommen haben. Vieles, was wir können, können andere Primaten auch. Eigentlich sind wir gar nicht so besonders. Und doch muss es etwas geben, was uns einzigartig macht. Aber ich glaube nicht, dass es die Sprache ist: Wir sind mehr als nur Schimpansen mit Sprache. Es gab schon zuvor etwas, was uns unterschied, nicht nur von Menschenaffen, sondern auch von den Neandertalern und anderen Menschenarten. Wir waren von Anfang an besonders soziale Primaten, weil wir mehr auf Zusammenarbeit angewiesen waren. Es war unvermeidlich, dass aus Gesten, Mimik und primitiven Lauten ein Repertoire wurde. Der Selektionsdruck führte dazu, dass sich das Gehirn vergrößerte und die Sprachorgane sich entwickelten. Evolutionär gesehen war das Entstehen von Sprache eine logische Folge.

Wie lange hat es gedauert, bis unsere Vorfahren schließlich sprechen konnten?

Das wissen wir nicht, weil wir das nicht direkt nachweisen können. Wir wissen von Verbindungen im Gehirn, die Informationen über Begriffe und ihre Bedeutung schneller ans motorische System weiterleiten. Aber wie genau sich Sprache entwickelte, können wir nicht sagen. Und wir wissen ebenso wenig, wann genau das geschah – irgendwann vor 60 000 bis 200 000 Jahren.

»Wir haben noch immer ein Primatengehirn, aber darin sind einige neue Wege angelegt«

Anscheinend konnten auch Neandertaler schon sprechen?

Sie waren jedenfalls begrifflich und symbolisch ziemlich weit entwickelt, schufen Kunst und begruben ihre Toten. Im Verhältnis zur Körpergröße war ihr Gehirn sogar etwas größer als unseres. Doch wir wissen nicht, wie es im Inneren aufgebaut war, also können wir das nicht sicher sagen.

Wenn wir das menschliche Gehirn vergleichen mit dem von anderen Primaten: Welche wesentlichen Unterschiede gibt es, die mit dem Sprachvermögen zusammenhängen?

Zunächst einmal ist unser Gehirn im Verhältnis zum Körper ein Stück größer als das von Schimpansen und Gorillas. Außerdem gibt es große Unterschiede vor allem in den Verbindungen, von denen wir glauben, dass sie für die Sprache wichtig sind, wie vom Schläfenlappen zum Frontalkortex. Im Allgemeinen wird angenommen, dass die frontale Großhirnrinde uns zum Menschen macht. Aber das ist nicht alles. Der Frontalkortex muss seine Informationen irgendwo herkriegen. Besonders für das Sprachvermögen kommt dann der Schläfenlappen ins Spiel. Über ihn laufen die visuellen Informationen ein, und dort laufen viele Kategorisierungsprozesse ab, zum Beispiel Mustererkennung, Informationen werden zusammengefügt zu Gesichtern oder Gegenständen und weiter vorne zu Konzepten. Gleichzeitig kommt in der Mitte des Schläfenlappens Information aus den Ohren an. Bei Menschen werden visuelle und auditive Informationen schneller zusammengeführt als etwa bei Schimpansen und Makaken. Wir können verschiedene Sinnesinformationen gemeinsam repräsentieren, verknüpfen beispielsweise die visuellen und die auditiven Aspekte eines Begriffs miteinander. Wir wissen nicht, wie gut ein Schimpanse solche Verbindungen herstellen kann. Doch anatomisch sehen wir, dass in unserem Gehirn viel mehr Integration der verschiedenen Arten von Information stattfindet.

Unsere Forschung zeigt, dass die vermehrten Verbindungen vom Schläfen- zum Frontallappen nicht einfach ein Nebenprodukt unseres größeren Gehirns sind, sondern etwas Neues vollbringen. Sie gehen auch in andere Hirnregionen: Der Schläfenlappen ist ebenfalls stärker mit dem höher gelegenen Scheitellappen verbunden. Wir sehen also, dass das menschliche Gehirn in sich viel stärker vernetzt ist als bei unseren nächsten tierischen Verwandten. Das hat unter anderem zur Folge, dass wir auch über abstrakte Begriffe wie Vergangenheit und Zukunft kommunizieren können. Tiere sind dazu nicht in der Lage. Vielleicht kann man es so sagen: Wir haben zwar noch immer ein Primatengehirn, aber darin sind einige neue Wege angelegt.

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