Sprache: Woher das Gehirn weiß, was Wörter bedeuten
Wörtern eine Bedeutung zuzuweisen, ist im Gehirn mit individuellen Nervenzellen verknüpft. Diese Zellen reagieren selektiv auf Wörter mit bestimmtem Sinngehalt – aber nicht immer gleich, sondern abhängig vom Kontext, in dem sie auftauchen. Das berichtet eine Arbeitsgruppe um Ziv M. Williams von der Harvard Medical School. Die Fachleute ließen 13 Personen verschiedene Sätze und Geschichten hören, während sie mit Mikroelektroden die Aktivitäten einzelner Nervenzellen in deren Gehirnen überwachten. Dabei stellte sich heraus, dass die Zellen nicht bloß die Bedeutung von Wörtern in Echtzeit erfassen, sondern zudem ihre Aktivität gemäß vorher erfasster Bedeutungsmuster anpassen.
Wie aus Sprache Bedeutung hervorgeht, ist weitgehend rätselhaft. Irgendwie schafft es das Gehirn, aus einer Abfolge von Geräuschen abstrakte Abbilder von Dingen, Beziehungen oder Ideen zu erzeugen. Bekannt war bisher, dass ein Netzwerk aus »sprachselektiven« Regionen den Wörtern ihren Sinngehalt zuordnet und sie zu ebenfalls bedeutungshaltigen Phrasen und Sätzen zusammensetzt. Wie das aber auf der Ebene der Nervenzellen genau passiert, darüber weiß man wenig. Das Team um Williams nutzte die Gelegenheit, wenn sich Patientinnen und Patienten einer Operation am Gehirn unterziehen mussten und dabei für Funktionstests wach blieben, um deren Nervenzellen bei der Sprachverarbeitung in Echtzeit zu beobachten.
Dazu nutzten die Fachleute Gitter aus Mikroelektroden und so genannte Neuropixel-Sonden, welche die Aktivität hunderter Neuronen gleichzeitig messen können. Die Sonden lagen direkt auf einer sprachselektiven Region im präfrontalen Kortex auf, während die Versuchspersonen jeweils rund 130 gesprochene Sätze hörten. Als Kontrolle testete das Team, wie das Gehirn auf reine Wortlisten und Unsinnswörter reagierte. Dabei zeigte sich, dass einzelne Neuronen spezifisch auf bestimmte Bedeutungsklassen reagierten, zum Beispiel auf Begriffe für Aktivitäten oder Emotionen. Deshalb aktivierten verwandte Begriffe stets ähnliche Gruppen von Nervenzellen. Sehr stark voneinander abweichende Begriffe verursachten dagegen unterschiedliche Erregungsmuster.
Außerdem beobachtete das Team, wie diese »Bedeutungs-assoziierte Aktivität« mit jedem weiteren Wort eines Satzes durch die Zellgemeinschaft wanderte. Die Zellen reagierten je nach vorheriger Aktivität sehr dynamisch auf »ihre« einen bestimmten Sinngehalt – das Gehirn, so die Schlussfolgerung, bildet Kontext dadurch in Echtzeit ab. Das Team berichtet, es sei schon anhand der Aktivität relativ weniger Nervenzellen grob erkennbar gewesen, wovon der Satz handelte. Damit zeigt die Untersuchung, dass inhaltliche Bedeutung tatsächlich auf der Ebene individueller Nervenzellen erzeugt wird. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Denn bekannt ist, dass andere Hirnareale ebenfalls und zeitgleich daran beteiligt sind. Es ist noch vieles rätselhaft an der wundersamen Verwandlung von Schall in Ideen, die sich im Gehirn unablässig abspielt.
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