Sozialverhalten: Sprachlose Moralisten
Wer hilft und wer sich einen feuchten Kehricht schert, müssen wir nicht aus erster Hand erfahren - um Menschen in Charakter-Schubladen zu stecken, reicht es, den Umgang von Anderen mit Anderen zu beobachten. Offenbar sind wir darin sogar schon sehr früh ziemlich gut.
Wir Menschen sind Prototypen eines sozialen Lebewesens: nur gemeinsam wirklich stark und überlebensfähig, alleine ziemlich aufgeschmissen und verloren. Weil aber gleichzeitig jeder von uns ziemlich kompliziert sein kann – allein schon wegen unseres ungemein einfallsreichen Gehirns und all seinen Möglichkeiten, sich ständig und von Geburt an neu an den mannigfaltigen Umweltgegebenheiten zu justieren – wird es auch schnell unübersichtlich, sobald Mensch auf Mensch trifft. Kurz: Die Kniffe des soziale Umgangs zu erlernen, um die Mitmenschen immer gut einschätzen zu können, ist eine sowohl ständige als oft auch lebensnotwendige Herausforderung.
Besser, sich ihr möglichst früh zu stellen. Schon ein Einzelkind, das in den Kindergarten kommt, dürfte unangenehme Überraschungen erleben, wenn es nicht schon im Sandkasten gelernt hat, dass fremde Kinder wie Kevin das Förmchen nicht eintauschen, sondern einfach wegnehmen. Und dann behalten, bis im besten Fall Mama es der Mama von Kevin wegnimmt. Solche prägenden Erlebnisse mit Sozialpartnern und -gegnern sind enorm wichtig auf dem Weg zur kompetenten Unterscheidung der Welt in Gute und Böse; und außerdem genug Motivation, um möglichst schnell lernen zu wollen, woran man beides frühzeitig erkennen kann. Also möglichst schon bevor das Förmchen weg ist.
Wie früh Kinder aber tatsächlich damit beginnen, moralische Schubladen treffsicher aufzumachen, überrascht Forscher von Untersuchung zu Untersuchung mehr. Die jüngsten Studien zum Thema werden nun allein schon methodisch immer herausfordernder. Etwa jene von Kiley Hamlin und ihrem Team: Die von den Psychologen der Yale-Universität um moralische Werturteile gebetenen Probanden hatten noch nicht einmal sprechen gelernt.
Kein Ausschlusskriterium für die Wissenschaft, die seit einiger Zeit recht verlässliche Systeme der nonverbalen Kommunikation mit Versuchsteilnehmern im Alter von unter einem Jahr entwickelt hat. Hamlin und Kollegen, die sechs- beziehungsweise zehnmonatigen Babys im Verhaltenstest beobachteten, griffen auf einen alten Kniff zurück und ließen ihre blutjungen Versuchsteilnehmer dann über Bauklötze staunen.
Bauklotz war dabei nicht Bauklotz, sondern ein gegenständlicher Ersatz für einen agierenden Sozialpartner. Um den Kindern derlei begreiflich zu machen, klebten die Forscher schlicht ein lustiges Augenpaar auf die Holzkugeln und -würfel und ließen diese dann kleine Szenen aus der Bauklotz-Welt vorspielen. So bewegte sich ein roter Würfel mit Augen etwa fröhlich auf einen kleinen Hügel und verharrte nach dem anstrengenden Aufstieg am Gipfel für einen offenbar hochzufriedenen Rundumblick. Die Kleinen, die alles auf dem Schoß ihrer Mutter mit ansahen, waren an all dem sehr interessiert.
Nach der Bauklötzchen-Hügelwanderung zur Einstimmung begannen die Forscher mit verschiedenen etwas verwickelteren Vorführungen. Dabei spielten die Bauklötzchen nun Gut und Böse. Zum Beispiel hatte ein hangaufwärts kletterndes rotes Klötzchen plötzlich offensichtliche Schwierigkeiten auf dem Weg nach oben und fiel zweimal kurz vor dem Gipfel wieder ins Tal – bis dann ein "gutes" gelbes Dreieckklötzchen von unten hilf- und erfolgreich nachschob. Den Gegenpart spielte in einer alternativen Szene ein "böser" roter Kreis, der dem schwer kämpfenden Bergsteiger kurz vor dem Gipfelsieg Stöße gen Abgrund verpasste. Form und Farbe der Bauklötzchen und ihre jeweilige Rolle wechselten von Vorstellung zu Vorstellung bei unterschiedlichen Kindern.
Hamlin und Kollegen denken schon. Ein zweiter Versuch, bei dem zwischen einem neutral agierenden sowie einem "bösen" oder "guten" Bauklötzchen gewählt werden sollte, untermauert das Ergebnis: Für Kleinkind ist "neutral" immer attraktiver als "böse" sowie weniger anziehend als "gut".
Dass Kinder vor dem Spracherwerb sich in sozialen Einschätzungen üben, belegt die entwicklungs- und evolutionsbiologisch überragende Bedeutung dieser Fähigkeit für uns Menschen, meint Hamlin. Bereits bei den in Gruppen jagenden, sammelnden und einander umsorgenden Frühmenschen könnten die Umstände es erfordert haben, an der sozialen Kompetenz zu arbeiten. Ein abstraktes Konzept von Richtig und Falsch war womöglich schon der noch jungen Menschheit nützlich- kein Wunder, dass es sich heute schon im noch sehr jungen Menschen entwickelt.
Besser, sich ihr möglichst früh zu stellen. Schon ein Einzelkind, das in den Kindergarten kommt, dürfte unangenehme Überraschungen erleben, wenn es nicht schon im Sandkasten gelernt hat, dass fremde Kinder wie Kevin das Förmchen nicht eintauschen, sondern einfach wegnehmen. Und dann behalten, bis im besten Fall Mama es der Mama von Kevin wegnimmt. Solche prägenden Erlebnisse mit Sozialpartnern und -gegnern sind enorm wichtig auf dem Weg zur kompetenten Unterscheidung der Welt in Gute und Böse; und außerdem genug Motivation, um möglichst schnell lernen zu wollen, woran man beides frühzeitig erkennen kann. Also möglichst schon bevor das Förmchen weg ist.
Wie früh Kinder aber tatsächlich damit beginnen, moralische Schubladen treffsicher aufzumachen, überrascht Forscher von Untersuchung zu Untersuchung mehr. Die jüngsten Studien zum Thema werden nun allein schon methodisch immer herausfordernder. Etwa jene von Kiley Hamlin und ihrem Team: Die von den Psychologen der Yale-Universität um moralische Werturteile gebetenen Probanden hatten noch nicht einmal sprechen gelernt.
Kein Ausschlusskriterium für die Wissenschaft, die seit einiger Zeit recht verlässliche Systeme der nonverbalen Kommunikation mit Versuchsteilnehmern im Alter von unter einem Jahr entwickelt hat. Hamlin und Kollegen, die sechs- beziehungsweise zehnmonatigen Babys im Verhaltenstest beobachteten, griffen auf einen alten Kniff zurück und ließen ihre blutjungen Versuchsteilnehmer dann über Bauklötze staunen.
Bauklotz war dabei nicht Bauklotz, sondern ein gegenständlicher Ersatz für einen agierenden Sozialpartner. Um den Kindern derlei begreiflich zu machen, klebten die Forscher schlicht ein lustiges Augenpaar auf die Holzkugeln und -würfel und ließen diese dann kleine Szenen aus der Bauklotz-Welt vorspielen. So bewegte sich ein roter Würfel mit Augen etwa fröhlich auf einen kleinen Hügel und verharrte nach dem anstrengenden Aufstieg am Gipfel für einen offenbar hochzufriedenen Rundumblick. Die Kleinen, die alles auf dem Schoß ihrer Mutter mit ansahen, waren an all dem sehr interessiert.
Interesse und Zustimmung messen Forscher wie Hamlin bei so jungen Kindern mit zweierlei: der Dauer, die ein Kind eine Situation anblickt (je länger, desto überraschender und spannender und besser) sowie das "Haben-will-Verhalten" (je deutlicher ein Testkandidatchen die Arme nach etwas ausstreckt, desto positiver wird dieses Etwas offensichtlich eingestuft).
Nach der Bauklötzchen-Hügelwanderung zur Einstimmung begannen die Forscher mit verschiedenen etwas verwickelteren Vorführungen. Dabei spielten die Bauklötzchen nun Gut und Böse. Zum Beispiel hatte ein hangaufwärts kletterndes rotes Klötzchen plötzlich offensichtliche Schwierigkeiten auf dem Weg nach oben und fiel zweimal kurz vor dem Gipfel wieder ins Tal – bis dann ein "gutes" gelbes Dreieckklötzchen von unten hilf- und erfolgreich nachschob. Den Gegenpart spielte in einer alternativen Szene ein "böser" roter Kreis, der dem schwer kämpfenden Bergsteiger kurz vor dem Gipfelsieg Stöße gen Abgrund verpasste. Form und Farbe der Bauklötzchen und ihre jeweilige Rolle wechselten von Vorstellung zu Vorstellung bei unterschiedlichen Kindern.
"Dass soziale Evaluationsprozesse schon bei derart jungen Kindern vorkommen, zeigt, wie wichtig es evolutionsgeschichtlich war, die Handlungen Dritter richtig einschätzen zu können"
(Kiley Hamlin)
Nachdem die jungen Zuschauer dann noch ein wenig über das Gesehene nachgedacht hatten, sollten sie schließlich zwischen den verschiedenen Bauklötzchen, die in ihre Reichweite gelegt wurden, wählen – mit sehr eindeutigem Ergebnis: Alle 12 der sechs Monate alten Testteilnehmer sowie 14 von 16 Zehnmonatigen bevorzugten das helfende Objekt gegenüber dem Störenfried des Bauklötzchenschauspiels. Ein echtes moralisches Werturteil? (Kiley Hamlin)
Hamlin und Kollegen denken schon. Ein zweiter Versuch, bei dem zwischen einem neutral agierenden sowie einem "bösen" oder "guten" Bauklötzchen gewählt werden sollte, untermauert das Ergebnis: Für Kleinkind ist "neutral" immer attraktiver als "böse" sowie weniger anziehend als "gut".
Dass Kinder vor dem Spracherwerb sich in sozialen Einschätzungen üben, belegt die entwicklungs- und evolutionsbiologisch überragende Bedeutung dieser Fähigkeit für uns Menschen, meint Hamlin. Bereits bei den in Gruppen jagenden, sammelnden und einander umsorgenden Frühmenschen könnten die Umstände es erfordert haben, an der sozialen Kompetenz zu arbeiten. Ein abstraktes Konzept von Richtig und Falsch war womöglich schon der noch jungen Menschheit nützlich- kein Wunder, dass es sich heute schon im noch sehr jungen Menschen entwickelt.
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