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News: Sprechen lernen in bedrückender Stimmung

Erwachsene Menschen, die ständig in den höchsten Tönen flöten: "Ja wo ist er denn?" Obwohl er doch gegenüber sitzt. Grandios vereinfachte Grammatik. Lautmalerische Wortschöpfungen wie "Wauwau". Was in Kinderzimmern auf der ganzen Welt vor sich geht, läßt so manchem Linguisten die Haare zu Berge stehen - Babysprache. Im Gespräch mit Kindern sprechen Erwachsene mit höherer, singender Stimme, Wortschatz und Satzbau sind einfacher als gewöhnlich. Das ist sinnvoll: Kleine Kinder reagieren stärker auf hohe, modulierte Stimmlagen. Sprechen allerdings Mütter mit schweren Depressionen mit ihren Babys, hört sich das anders an: Ihrer Sprache fehlen viele der typischen Merkmale der Babysprache. Das könnte auch der Grund dafür sein, daß Kinder depressiver Mütter mit manchen Lernformen Schwierigkeiten haben.
Ältere Kinder depressiver Mütter fallen häufig durch schlechte Ergebnisse in den Standardtests auf, mit denen die Entwicklung von Kindern gemessen wird. Eine mögliche Erklärung dieser Erscheinung fanden jetzt Peter S. Kaplan und seine Kollegen von der University of Chicago: Sprechen nichtdepressive Mütter mit ihren Babys, benutzen sie die Babysprache: Die Stimmlage ist hoch, mit vielen noch höheren Betonungen. Bei depressiven Frauen dagegen ist die Stimme flacher und monotoner. Kleinkinder reagieren viel stärker auf hohe, stark modulierte Stimmlagen.

Im Versuch hörten 224 vier Monate alte Babys eine Frauenstimme sagen "Pet the gorilla" ("Streichle den Gorilla"). Danach sahen die Kinder das Bild einer lächelnden Frau. Getestet werden sollte das assoziative Lernen. Assoziatives Lernen ist bei Kleinkindern die wichtigste und allgegenwärtige Form des Lernens, mit der zum Beispiel auch Sprache erlernt wird. Die Forscher wollten herausfinden, ob die Versuchsbabys gelernt hatten, die Frauenstimme mit dem folgenden Bild zu verbinden. Dazu ersetzen sie das Bild der lächelnden Frau durch ein Schachbrettmuster: Die Babys hörten die Frauenstimme und sahen gleichzeitig das Schachbrett. Dann maßen die Wissenschaftler, wie lange die Kinder das neu eingeführte Schachbrett betrachteten.

Babys, welche die Stimme einer nicht oder nur wenig depressiven Frau gehört hatten, betrachteten das Schachbrettmuster signifikant länger als die Kinder, zu denen eine Frau mit schweren Depressionen gesprochen hatte. Frühere Untersuchungen hatten bereits ergeben, daß das Interesse der Kinder an dem Schachbrett nicht wuchs, wenn die Stimme nicht dem Schachbrett vorausgegangen war. Dann untersuchten die Wissenschaftler die Stimmencharakteristika der depressiven Frauen. Wenig oder nicht depressive Frauen sprachen die Babys mit hoher Stimme und vielen Betonungen an. Bei Frauen mit schweren Depressionen dagegen war die Stimme flacher und monotoner (Child Development vom Mai/Juni 1999).

Die Forscher nehmen an, daß Änderungen der Stimmlage und die anderen Elemente der Babysprache dazu dienen, die Kinder anzuregen. In diesem angeregten Zustand verarbeiten die Babys Informationen effizienter und vollständiger. Spricht dagegen eine depressive Frau mit Kindern, fehlen ihrer Stimme "die akustischen Qualitäten, die nötig sind, um die Kinder zu sensibilisieren", meinen die Wissenschaftler.

Zwei- bis dreijährige Kindern lernen Sprache leichter, wenn sie ihnen als Babysprache begegnet – mit Überbetonungen und vereinfachter Grammatik. Hören sie nur typische Erwachsenensprache, fällt es ihnen schwerer. Kaplan und seine Kollegen nehmen an, daß depressive Mütter ihre Babys eher wenig stimulieren, was zu Verzögerungen in der Sprachentwicklung und anderen wichtigen kognitiven Prozessen führt.

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