Jahresrückblick: Spurensuche
Auf den Spuren unserer Vergangenheit haben Forscher auch im Jahr 2005 so einiges zu Tage gefördert. Und manches davon erwies sich als falsche Fährte.
Sie hätten einen sensationellen Fortschritt in der Anthropologie bedeutet, doch inzwischen zeigen sie sich eher als peinlicher Fehltritt: Die angeblich ältesten Fußspuren Amerikas. Im Juli dieses Jahres präsentierten britische Forscher der staunenden Öffentlichkeit 269 versteinerte Abdrücke aus einem mexikanischen Steinbruch, von denen der überwiegende Teil der anatomisch moderne Mensch Homo sapiens hinterlassen haben soll. Und das Beste daran: ihr Alter von 40 000 Jahren.
Vernichtende Kritik
So ließ die vernichtende Kritik an der Entdeckung nicht lange auf sich warten. Im Dezember präsentierten amerikanische Forscher ihre Datierung der vermeintlichen Fußspuren – und verwirrten damit noch mehr. Die Gesteinsschicht mit den Abdrücken ist nicht jünger, sondern älter – und zwar viel älter: 1,3 Millionen Jahre. An Homo sapiens, dessen älteste afrikanische Überreste jetzt immerhin auf 195 000 Jahre datiert werden konnten, war da noch längst nicht zu denken, und sein Verwandter Homo erectus dürfte seine afrikanische Heimat noch nicht verlassen haben. Einzige Erklärung, welche die Forscher anbieten: Die Fußspuren sind gar keine.
Passend hierzu präsentierten US-amerikanische Genetiker ihre Sicht der Dinge: Weltweite genetische Vergleiche lassen vermuten, dass nur wenige Menschen – vielleicht 200 – einst den Schritt nach Amerika wagten.
Neuigkeiten aus dem Zwergenreich
Zur gleichen Zeit, als der Mensch Amerika entdeckte, könnte auf der abgelegenen indonesischen Insel Flores ein merkwürdiges Zwergenvolk gelebt haben, dass im Jahr 2004 zur archäologischen Sensation werden sollte. Homo floresiensis, wie die Entdecker die neue Menschenart nannten, erhitzte auch im Jahr 2005 die Gemüter. Das 18 000 Jahre alte Typusexemplar ist nun nicht mehr allein: Die Forscher um Peter Brown fanden weitere Skelette der kleinwüchsigen Spezies. Und die Computertomografie des Zwergenkopfs belegt nach ihrer Ansicht, dass die Flores-Menschen eben nicht, wie vielfach vorgebracht, unter einem krankhaften Kleinwuchs des Schädels gelitten hatten – eine Ansicht, die von deutschen Kollegen prompt bestritten wird.
Über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Homo sapiens und Homo neanderthalensis, die zurselben Zeit lebten – in Frankreich sogar nachweislich die selben Höhlen bewohnten –, herrscht jedoch weiterhin Uneinigkeit: Meinte im vergangenen Jahr ein französisch-spanisches Forscherduo mit Zähnen ein auffallend rasches Körperwachstum der Neandertaler belegen zu können, verwarfen wiederum in diesem Jahr Kollegen aus Großbritannien und den USA die Zahnstudie. Das Wachstum der Kauwerkzeuge – und damit des gesamten Körpers – habe sich zwischen Homo sapiens und seinem Vetter aus dem Neandertal nicht unterschieden.
Revolutionäre Ideen
Ein weiteres dankbares Streitthema der Anthropologenzunft firmiert unter dem Namen neolithische Revolution: Vor etwa 12 000 Jahren löste die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht im Vorderen Orient die Kultur der Jäger und Sammler ab. Nur wenige Jahrtausende später breitete sich die revolutionäre Idee auch nach Europa aus. Doch was genau drang da vor? Die jungsteinzeitlichen Bauern aus dem Osten, welche die einheimische Urbevölkerung verdrängten? Oder lediglich deren Idee, die von den Alteuropäern freudig übernommen wurde? Genanalysen steinzeitlicher Skelette, bei denen sich nur wenige Spuren neolithischer Einwanderer nachweisen lassen, verweisen auf die Kraft der Idee. Der Vergleich von Gesichtsschädeln wiederum deutet sehr wohl auf eine kräftige Einwanderungswelle aus Nahost.
Vom Mordverdacht freigesprochen
In Europa müssen die Zeiten des neolithischen Umbruchs wohl ziemlich unruhig gewesen sein, wie die im Juli gefundenen neolithischen Familiengräber von Eulau bei Naumburg zeigen. Die hier vor 4400 Jahren bestatteten Menschen sind offensichtlich durch Gewalt und Seuchen ums Leben gekommen.
Mit einem anderen Mythos beschäftigten sich Heidelberger Forscher – und rückten ihn zurecht: Die Vergangenheit der Externsteine bei Lippe, von Sonnenwendpilgern als germanische Kultstätte verehrt, reicht wohl doch nicht ganz so weit zurück: Die Feuerspuren in den Höhlen stammen lediglich aus dem Mittelalter.
Nicht zuletzt darf in einem Archäologie-Rückblick der Verlust eines streitbaren Forschers nicht vergessen werden: Am 11. August 2005 starb der Tübinger Troia-Forscher Manfred Korfmann.
Die Fußabdrücke hätten damit die Geschichte der Menschheit wahrlich auf den Kopf gestellt. Etliche Anthropologen zweifeln zwar schon länger daran, dass der Mensch erst vor 14 000 Jahren die Neue Welt entdeckt haben soll. Aber so früh? Schließlich wagte Homo sapiens in dieser Zeit seine ersten Erkundungsgänge nach Europa. Sein ältester gesicherter europäischer Nachweis, die Fossilien von Mladeč, bringt es nur auf 31 000 Jahre.
Vernichtende Kritik
So ließ die vernichtende Kritik an der Entdeckung nicht lange auf sich warten. Im Dezember präsentierten amerikanische Forscher ihre Datierung der vermeintlichen Fußspuren – und verwirrten damit noch mehr. Die Gesteinsschicht mit den Abdrücken ist nicht jünger, sondern älter – und zwar viel älter: 1,3 Millionen Jahre. An Homo sapiens, dessen älteste afrikanische Überreste jetzt immerhin auf 195 000 Jahre datiert werden konnten, war da noch längst nicht zu denken, und sein Verwandter Homo erectus dürfte seine afrikanische Heimat noch nicht verlassen haben. Einzige Erklärung, welche die Forscher anbieten: Die Fußspuren sind gar keine.
Ist das Thema damit erledigt? Nicht ganz, denn eine alte junge Dame namens Luzia aus Brasilien erweist sich ebenfalls als widerspenstig gegenüber der bisher geltenden Geschichte Amerikas. Zwar widerspricht das Alter ihrer bereits in den 1970er Jahren zusammen mit weiteren Skeletten gefundenen sterblichen Überreste mit etwa 11 500 Jahren nicht grundsätzlich der Annahme, dass eiszeitliche Jäger aus Sibirien die trockengefallene Beringstraße als Tor zur Neuen Welt nutzten. Vergleichende Schädelstudien von brasilianischen Forschern lassen jedoch daran zweifeln, dass die Vorfahren von Luzia und Co aus der sibirischen Kälte kamen. Ihre Wurzeln könnten vielmehr im warmen australisch-melanesischen Raum liegen.
Passend hierzu präsentierten US-amerikanische Genetiker ihre Sicht der Dinge: Weltweite genetische Vergleiche lassen vermuten, dass nur wenige Menschen – vielleicht 200 – einst den Schritt nach Amerika wagten.
Neuigkeiten aus dem Zwergenreich
Zur gleichen Zeit, als der Mensch Amerika entdeckte, könnte auf der abgelegenen indonesischen Insel Flores ein merkwürdiges Zwergenvolk gelebt haben, dass im Jahr 2004 zur archäologischen Sensation werden sollte. Homo floresiensis, wie die Entdecker die neue Menschenart nannten, erhitzte auch im Jahr 2005 die Gemüter. Das 18 000 Jahre alte Typusexemplar ist nun nicht mehr allein: Die Forscher um Peter Brown fanden weitere Skelette der kleinwüchsigen Spezies. Und die Computertomografie des Zwergenkopfs belegt nach ihrer Ansicht, dass die Flores-Menschen eben nicht, wie vielfach vorgebracht, unter einem krankhaften Kleinwuchs des Schädels gelitten hatten – eine Ansicht, die von deutschen Kollegen prompt bestritten wird.
Der Streit um Homo floresiensis wird uns vermutlich noch ins neue Jahr begleiten. Schließlich rüttelt die Art – falls es sie tatsächlich gegeben haben sollte – am Alleinvertretungsanspruch einer Spezies, die bisher als letzter lebender Verwandter des anatomisch modernen Menschen galt: der Neandertaler, der in diesem Jahr ebenfalls von sich reden machte. 150 Jahre nach seiner Entdeckung gelang es jetzt, sein Skelett vollständig zu rekonstruieren.
Über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Homo sapiens und Homo neanderthalensis, die zurselben Zeit lebten – in Frankreich sogar nachweislich die selben Höhlen bewohnten –, herrscht jedoch weiterhin Uneinigkeit: Meinte im vergangenen Jahr ein französisch-spanisches Forscherduo mit Zähnen ein auffallend rasches Körperwachstum der Neandertaler belegen zu können, verwarfen wiederum in diesem Jahr Kollegen aus Großbritannien und den USA die Zahnstudie. Das Wachstum der Kauwerkzeuge – und damit des gesamten Körpers – habe sich zwischen Homo sapiens und seinem Vetter aus dem Neandertal nicht unterschieden.
Revolutionäre Ideen
Ein weiteres dankbares Streitthema der Anthropologenzunft firmiert unter dem Namen neolithische Revolution: Vor etwa 12 000 Jahren löste die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht im Vorderen Orient die Kultur der Jäger und Sammler ab. Nur wenige Jahrtausende später breitete sich die revolutionäre Idee auch nach Europa aus. Doch was genau drang da vor? Die jungsteinzeitlichen Bauern aus dem Osten, welche die einheimische Urbevölkerung verdrängten? Oder lediglich deren Idee, die von den Alteuropäern freudig übernommen wurde? Genanalysen steinzeitlicher Skelette, bei denen sich nur wenige Spuren neolithischer Einwanderer nachweisen lassen, verweisen auf die Kraft der Idee. Der Vergleich von Gesichtsschädeln wiederum deutet sehr wohl auf eine kräftige Einwanderungswelle aus Nahost.
Wie dem auch sei, dass das bäuerliche Gewerbe nicht nur nach Westen, sondern auch seinen Weg nach Osten fand und dort zu einem reichhaltig gedeckten Tisch sorgte, offenbarten diesjährige Ausgrabungen in China. Demnach pflanzten die Bauern im Reich der Mitte vor über 4000 Jahren nicht nur Reis und Hirse an, sondern bereits auch Weizen. Die Hirse verarbeiteten die jungsteinzeitlichen Chinesen übrigens zu einer kulinarischen Delikatesse: Am Gelben Fluss tauchten die ältesten Nudeln der Welt auf. Und damit die Pasta nicht allzu fad mundete, betrieben die alten Chinesen auch schon eine ausgiebige Salzproduktion. Die Maya im entfernten Mittelamerika kamen erst drei Jahrtausende später auf den salzigen Geschmack – dafür dann aber schon nahezu im großindustriellen Maßstab.
Vom Mordverdacht freigesprochen
In Europa müssen die Zeiten des neolithischen Umbruchs wohl ziemlich unruhig gewesen sein, wie die im Juli gefundenen neolithischen Familiengräber von Eulau bei Naumburg zeigen. Die hier vor 4400 Jahren bestatteten Menschen sind offensichtlich durch Gewalt und Seuchen ums Leben gekommen.
Ein gewaltsamer Schlag auf den Kopf hat dagegen das Leben von Pharao Tutanchamun vermutlich nicht beendet. Die zu Beginn des Jahres durchgeführten Computertomografien der berühmten Mumie widerlegten den lange gehegten Mordverdacht. Die genaue Todesursache konnten die Forscher zwar nicht ermitteln, dafür gelang es ihnen aber, das Antlitz des nur 19 Jahre alt gewordenen ägyptischen Herrschers zu rekonstruieren. Dem Mythos um den Pharao wird das sicherlich förderlich sein.
Mit einem anderen Mythos beschäftigten sich Heidelberger Forscher – und rückten ihn zurecht: Die Vergangenheit der Externsteine bei Lippe, von Sonnenwendpilgern als germanische Kultstätte verehrt, reicht wohl doch nicht ganz so weit zurück: Die Feuerspuren in den Höhlen stammen lediglich aus dem Mittelalter.
Natürlich haben fleißige Archäologen noch einiges mehr im Jahr 2005 ausgegraben. Erwähnt seien hier nur der mit 2000 Jahren älteste Schuh Großbritanniens, ein 600 Jahre altes Papst-Siegel, das in Greifswald ein eher unwürdiges Ende in einer Latrine gefunden hat, die erste schriftliche Erwähnung von Karakorum, der Hauptstadt Dschingis Khans, auf einer Münze aus dem Jahr 1237 oder Dokumente berühmter Persönlichkeiten wie Kaiser Friedrich II., Isaac Newton oder – wir schreiben das Einstein-Jahr – von Albert Einstein.
Nicht zuletzt darf in einem Archäologie-Rückblick der Verlust eines streitbaren Forschers nicht vergessen werden: Am 11. August 2005 starb der Tübinger Troia-Forscher Manfred Korfmann.
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