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»SS Thistlegorm«: Kriegsschiff verwandelt sich in artenreiches Riff

Warum schwimmen Fische um ein Motorrad? Das Frachtschiff »SS Thistlegorm« wurde 1941 von der deutschen Luftwaffe versenkt. Mittlerweile ist es ein lebendiges, künstliches Riff.
Fische schwimmen um ein bewachsenen Motorrad herum
Bei Taucherinnen und Tauchern ist das Schiffswrack der »SS Thistlegorm« sehr beliebt. Hier können neben unzähligen Meeresbewohnern auch Teile der damaligen Ladung bestaunt werden, darunter Motorräder, Kanonen, UC-MKII-Panzer und sogar zwei Dampflokomotiven.

Die »Blaue Distel«, so die Übersetzung des Schiffsnamens »SS Thistlegorm«, war im Herbst 1941 auf dem Weg von Glasgow nach Alexandria. An Bord des 125 Meter langen Frachtschiffs befanden sich viele Ladungen Munition, Waffen, Panzer, Motorräder sowie mehrere Lokomotiven. Doch die »SS Thistlegorm« erreichte nie ihr Ziel: In der Nacht des 6. Oktober 1941 wurde sie von Bombern der deutschen Luftwaffe entdeckt. Bomben trafen das hintere Heck und ließen auch einen Teil der Munition explodieren. Das Schiff versank innerhalb weniger Minuten. Der französische Tauchpionier Jacques Cousteau entdeckte das Wrack 1956 bei einer Expedition. Da er die genaue Position des Schiffs jedoch nicht veröffentlichte, geriet es erneut in Vergessenheit und wurde erst 1991 nach einer systematischen Suche wiedergefunden.

Seitdem ist es das wohl populärste Schiffswrack im Roten Meer und ein beliebter Spot für Taucher und Taucherinnen. Diese konnten sich acht Jahre lang an einem Citizen-Science-Projekt von Forschenden der Università di Bologna beteiligen: Freiwillige sollten bei jedem Tauchgang auf einer Liste die Organismen abhaken, die sie beim Wrack gesehen hatten. Auf der Liste standen 72 Meeresbewohner, die in natürlichen Korallenriffen in der näheren Umgebung vorkommen. Tatsächlich konnten die Freiwilligen fast alle dieser Lebewesen auch in der Nähe des künstlichen Riffs entdecken: Sie machten 71 aus. Häufig gefundene Wrackbewohner waren Arten von Bäumchen-Weichkorallen (Dendronephthya), die Riesenmuräne (Gymnothorax javanicus), Husarenfische (Sargocentron), Rückenflossen-Fledermausfische (Platax), Stachelmakrelen (Carangidae), Anemonenfische, auch Clownfische genannt (Amphiprionini) und der Napoleon-Lippfisch (Cheilinus undulatus). Darüber hinaus schienen die Populationen dieser verschiedenen Meeresorganismen, von einigen Schwankungen auf Grund der Jahreszeit und der Wassertemperatur abgesehen, im Lauf des Untersuchungszeitraums recht stabil zu bleiben.

»Die ›SS Thistlegorm‹ ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie künstliche Korallenriffe eine gut etablierte Lebensgemeinschaft bilden können, die der von natürlichen Riffen ähnelt«, schreiben die Forscher in der in »PLOS ONE« veröffentlichten Studie. Die Forschenden erhoffen sich von den Ergebnissen auch Erkenntnisse, wie natürliche Riffe womöglich mit künstlichen Riffen kombiniert werden können, um die marine Biodiversität von ersteren zu schützen oder zu steigern. Künstliche Riffe könnten den Druck, den der Tourismus auf die natürlichen Riffe ausübt, verringern. Schiffswracks wie die »SS Thistlegorm« befinden sich in der Regel in tieferen und kühleren Gewässern als Korallenriffe und könnten so neue Lebensräume erschließen, wenn sich die Gewässer auf Grund des Klimawandels weiter erwärmen.

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