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Städte im Weltraum: »Das könnte das Paradies werden«

Elon Musk träumt von einer Kolonie auf dem Mars. Der finnische Erfinder Pekka Janhunen hätte da eine andere Idee: eine Stadt im Weltall, in der man besser leben können soll als auf jedem Planeten.
Blick in eine enge Cyber City-Schlucht, einzelne dünne Brücken verbinden beide Seiten, ein gelber Lichtreflex am Ende der Schlucht.

Wer das erste Mal davon hört, glaubt an einen Scherz: Eine Stadt im Weltraum ist für die meisten Menschen ähnlich unvorstellbar wie ein Düsenjet für die alten Griechen. Doch die Idee hat überraschend viele Anhänger, unter anderem wirbt Amazon-Gründer Jeff Bezos dafür. Und auch Wissenschaftler machen sich Gedanken dazu, wie Siedlungen im All konstruiert sein müssten und was ihr Vorteil wäre. Alles Unfug? Oder eine realistische Zukunftsvision für die Menschheit, jetzt, wo sie erneut einen Rover auf dem Mars abgesetzt hat? Wir haben den finnischen Physiker Pekka Janhunen gefragt, der jüngst ein Konzept für eine Stadt im All ausgearbeitet hat.

»Spektrum.de«: Herr Janhunen, in der Pandemie nutzen viele Menschen die Zeit zu Hause, um Bücher zu lesen oder Serien zu streamen. Sie haben einen detaillierten Plan für eine riesige Siedlung im Weltraum ausgearbeitet. Wenn ich fragen darf: Ist das ein Hobby für Sie? Oder Teil Ihres Jobs? Sie sind ja eigentlich an der finnischen Meteorologiebehörde angestellt …

Pekka Janhunen: Das Projekt war ein bisschen von beidem. Einen Teil meiner Zeit arbeite ich für ein staatlich finanziertes Forschungsinstitut, das Ideen zur nachhaltigen Nutzung des Weltalls entwickelt. Ich habe also gewissermaßen das Mandat, mir Gedanken zu solchen Themen zu machen. Aber oft kommen mir Ideen während der Freizeit. Manche davon entwickle ich dann im Rahmen meines Jobs weiter und schreibe wissenschaftliche Veröffentlichungen dazu.

2006 haben Sie sich zum Beispiel eine besondere Form von Sonnensegel ausgedacht, die Ihnen unter Raumfahrtexperten viel Anerkennung eingebracht hat. Mittlerweile gibt es erste Prototypen zu Ihrer Idee. Wie kamen Sie von dort zu Städten im Weltall?

Das elektrische Sonnenwindsegel ist noch immer mein beruflicher Fokus. Es gibt mittlerweile ein Start-up, das die Idee kommerzialisieren will, ich bin dort als wissenschaftlicher Berater beteiligt. Aber jetzt, wo klar ist, dass das Konzept funktioniert, ist es weniger eine Aufgabe für Grundlagenforscher wie mich, sondern eher etwas für Ingenieure. So hatte ich während der vergangenen Jahre Zeit, mir Gedanken über Anwendungen für meine Erfindung zu machen.

Und die Weltraumstadt, die Sie in Ihrem Aufsatz vorschlagen, wäre solch eine Anwendung? Das müssen Sie erklären.

Pekka Janhunen | Der Physiker hat an der Universität Helsinki studiert und zur Plasmaphysik des Weltraums promoviert. Heute arbeitet er als Forschungsmanager am Finnischen Meteorologischen Institut. Daneben ist er am FORESAIL-Forschungszentrum tätig, dem Finnish Centre of Excellence in Research of Sustainable Space. 2006 hat er das elektrische Sonnenwindsegel erfunden. Er berät das Start-up Aurora Propulsion Technologies, das diese Idee kommerzialisieren will.

Die Siedlung wäre Teil einer Vision, die ich und andere für die Zukunft der Menschheit haben. Raumschiffe mit Sonnensegeln würden hierbei Menschen und Güter durchs All transportieren, ohne dass dafür Raketentreibstoff nötig wäre. Und ein Teil der Menschheit wäre auf rotierenden Raumstationen zu Hause. Anders als auf dem Mond oder dem Mars könnte dort eine genauso große Schwerkraft wie auf der Erde herrschen. Das ist aus meiner Sicht eine Voraussetzung dafür, dass Menschen dauerhaft gesund bleiben. Geschickt konstruierte Spiegel würden außerdem für einen Tag-Nacht-Rhythmus sorgen. Man könnte dort also problemlos Ackerbau betreiben. Und wenn man alles recycelt, wäre eine völlig nachhaltige Existenz möglich.

Klingt nach einem Plan für die sehr ferne Zukunft: Auf der Internationalen Raumstation ISS wachsen bisher nur ein paar verschrumpelte Salatblätter. Und die Abfälle und Hinterlassenschaften der Astronauten werden per Raumkapsel zurück zur Erde gebracht.

Ein Weltraumhabitat wäre noch in diesem Jahrhundert umsetzbar, da bin ich mir sicher. Die Menschheit muss es nur wollen. Und irgendwer muss das Startkapital aufbringen. Ich bin übrigens nicht der Erste, der diese Idee hat. Eigentlich geht sie auf den Princeton-Professor Gerard K. O'Neill zurück, der sich bereits 1976 Gedanken dazu gemacht hat.

O'Neill malte sich riesige Zylinder aus, die rotieren. Auf der Innenseite der Röhren würde die Zentrifugalkraft dann alles zu Boden drücken, und Menschen könnten ihre Felder bestellen. Sie haben die Idee jetzt weiterentwickelt.

Ja, das Problem an O'Neills Konzept ist, dass man die Zylinder nicht beliebig vergrößern kann. Ab einem Durchmesser von ein paar Kilometern machen selbst die besten Materialien der Erde nicht mehr mit. In einem der Zylinder würden wohl nur einige zehntausend Menschen Platz finden. Ich habe mir daher überlegt, wie man viele solcher Habitate in einer Struktur anordnen könnte, um die Siedlung immer weiter auszubauen.

Wenn ich Ihr Paper richtig verstehe, wollen Sie mehrere Zylinder nebeneinander auf einer starren Scheibe platzieren. Ober- und unterhalb davon wären große Spiegel angebracht, insgesamt sähe das Ganze aus wie eine halb geöffnete Muschel.

Die von mir erdachte Struktur dient im Wesentlichen dazu, die Zylinder an Ort und Stelle zu halten. Ich sehe das auch nur als einen ersten Vorschlag, den andere überarbeiten können. Im Detail gibt es noch viele Fragen, etwa, wie man den Transport zwischen den einzelnen Habitaten gestalten würde. Vielleicht gibt es auch bessere Lösungen als die, die mir eingefallen ist.

Megasatellit | Diese Illustration zeigt Pekka Janhunens Vorschlag: Seine Weltraumsiedlung bestünde aus dutzenden Zylindern, jeder viele Kilometer groß. Sie alle wären auf einer Scheibe montiert, die von oben und unten von Sonnenspiegeln beschienen wird. Das ganze Konstrukt soll um den Zwergplaneten Ceres kreisen (hier im Hintergrund).

Sie schlagen vor, diesen »Megasatelliten« im Orbit des Zwergplaneten Ceres zu parken, also im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Warum gerade dort?

Ceres soll die Materialien für den Bau liefern. Man kann solch eine Siedlung natürlich auch woanders verwirklichen, etwa im Orbit des Mars, wo sich dessen kleinerer Mond Deimos als Steinbruch anbieten würde. Oder in der Nähe von Erde und Erdmond, am Lagrange-Punkt L5, wie ich in einem früheren Aufsatz vorgeschlagen habe. Aber Ceres eignet sich meiner Meinung nach am besten für solch ein Projekt, denn an der Oberfläche des Zwergplaneten ist in manchen Gegenden Stickstoff enthalten. Den braucht man, wenn man eine erdähnliche Atmosphäre herstellen will.

»Ich finde es wichtig, jungen Menschen eine Perspektive zu geben, die über die Erde hinausreicht«Pekka Janhunen

Laut Ihren Berechnungen hätte ein Mensch an Bord der Siedlung durchschnittlich so viel Platz für sich wie die heutigen Bewohner der Niederlande. Dafür wären jedoch pro Person 10 000 Tonnen an Material nötig, das meiste für die Abschirmung und das Erdreich. Wie soll man denn all das Zeug ins Weltall befördern?

Das würden Roboter übernehmen, die erst mal die nötigen Fabriken vor Ort errichten, um die Rohmaterialien zu verarbeiten. Letztlich würde man auf Ceres dann wohl einen Weltraumaufzug bauen, der das abgebaute Material ins All befördert.

Sind Sie sicher, dass wir über ein Projekt für das 21. Jahrhundert reden? Auf der Erde hat es der Weltraumaufzug nie so recht über den Status als Partygag hinausgeschafft.

Auf der Erde ist das Problem, dass wir kein Material für das Seil des Aufzugs haben, das stabil genug ist. Auf Ceres ist die Schwerkraft viel geringer, dort würden Stahl- oder Karbonfasern reichen. Und was Ihre generellen Zweifel angeht: Natürlich würde man in Sachen Weltraumhabitat nicht gleich mit einem kilometergroßen Zylinder starten. Man würde zunächst eine kleine Raumstation mit künstlicher Schwerkraft bauen. Dort könnte man dann all die Probleme lösen, die es noch gibt. Und irgendwann hat man dann eine funktionierende Biosphäre, die man hochskalieren kann.

Das Ziel wäre ein ökologisches Paradies mit Insekten, Pflanzen und Vögeln, in dem jedes Atom recycelt wird. Auf der Erde haben wir das doch schon, und Platz ist auch noch. Sie bekommen die Frage sicherlich öfter zu hören: warum dieser gigantische Aufwand für den Aufbruch ins Weltall?

Mich treiben hier vor allem zwei Motive an. Zum einen: In einer Weltraumsiedlung könnte der Lebensstandard noch mal deutlich höher sein als auf der Erde. Im All gibt es weder Naturkatastrophen noch Jahreszeiten; man könnte sich die Dinge genau so einrichten, wie man es möchte. Dank der dicken Schutzhülle müsste man sich weder vor Weltraumstrahlung noch vor Mikrometeoriten fürchten.

Und das andere Motiv?

Das ist wirtschaftlich-idealistischer Natur: Letztlich würden Weltraumsiedlungen es uns ermöglichen, uns weiter auszubreiten, ohne dabei Schaden anzurichten. Wir würden einfach einen Teil des freien Platzes im Universum mit Leben füllen. Nach einem großen Startinvestment könnte man damit wahrscheinlich sogar Geld verdienen, weil man ein Angebot geschaffen hat, das vorher nicht da war. Der Megasatellit mag klein wirken, aber wir reden hier letztlich von einer Fläche, die am Ende größer sein könnte als die Erdoberfläche.

Sollte all das irgendwann klappen, liefe es wohl auf eine Welt hinaus, wie sie sich der britische Schriftsteller Iain Banks in seinem »Kultur«-Zyklus ausgedacht hat: Die Menschheit hat den Mangel überwunden und lebt ziemlich sorgenfrei zwischen den Sternen …

Klingt interessant, ich kenne mich aber leider fast gar nicht mit Sciencefiction aus.

Wirklich nicht?

Nein, ich finde es erfüllender, über die Physik solcher Fragen nachzudenken und dann selbst Lösungen zu erarbeiten. Ich weiß natürlich, dass es Überschneidungen zwischen meinem Forschungsgebiet und der Sciencefiction gibt und viele meiner Kollegen Fans sind. Ich selbst habe allerdings mehr Spaß daran, meine eigenen Ideen zu wälzen und die wenigen guten von den vielen schlechten zu trennen. Vielleicht trage ich am Ende dazu bei, der Menschheit zu helfen.

Aber noch mal: Würde es nicht mehr Sinn ergeben, all die Energie und das Geld auf der Erde zu investieren? Wir sind hier doch gar nicht so weit entfernt von dem Paradies, das Sie sich ausmalen.

Das kann man so sehen, man könnte auch hier ein geschlossenes Ökosystem bauen. Doch die Jahreszeiten und das Klima bleiben ein Ärgernis, egal wo Sie hingehen. In den Tropen ist es normalerweise zu warm für Gewächshäuser, die man bräuchte. Und bei hohen Breitengraden schwankt die Sonneneinstrahlung einfach zu stark. Wenn wir ins Weltall gehen, wird alles einfacher: Da scheint immer die Sonne, und man kann die Sonneneinstrahlung mit Segeln und Filtern so regulieren und verändern, wie man möchte. Wie Sie sagten: Das könnte das Paradies werden. Und wir würden dort wieder ein ganz einfaches Leben führen, unterstützt von Technologie, aber im Einklang mit der Natur um uns herum.

Klingt alles recht träumerisch.

Ich finde es wichtig, jungen Menschen eine Perspektive zu geben, die über die Erde hinausreicht. Und in dieser Hinsicht sind wir in den letzten Jahrzehnten deutlich unter unseren Möglichkeiten geblieben. Ja, die Leute da draußen sind in ihren Jobs sehr fleißig und produktiv. Doch machen sie alle wirklich etwas Sinnvolles? Das würden viele sicherlich verneinen. Sie würden ihre intellektuelle Kapazität vermutlich lieber in den Dienst von etwas Positivem stellen. Und hier bietet sich einfach die Erschließung des Weltalls an. Ich glaube, viele Menschen unterschätzen, was wir hier allein in den letzten paar Jahren für gigantische Fortschritte gemacht haben.

Sie spielen auf die Erfolge von SpaceX mit wiederverwendbaren Raketen an, die Starts deutlich erschwinglicher gemacht haben. Firmenchef Elon Musk würde ja gerne eine Kolonie auf dem Mars gründen. Ist das nicht eine Konkurrenz für Ihre Weltraumstadt?

Elon Musk hat zweifellos eine Revolution angestoßen. Das »Starship« von SpaceX könnte die Preise für den Transport ins Weltall noch weiter senken, wenn alles so klappt wie geplant. Was damit alles möglich sein wird, werden wohl erst die nächsten Jahre und Jahrzehnte zeigen. Musks Marspläne bereiten mir allerdings erhebliche Sorgen, was mich auch zu meiner Studie veranlasst hat.

Wieso?

Wenn wir wirklich eine Million Menschen auf dem Mars ansiedeln, bringt das ein großes ethisches Problem mit sich. Kinder werden dort mit nur einem Drittel der irdischen Schwerkraft aufwachsen, was ihre Körper verändern dürfte. Vermutlich könnten diese Menschen nie zur Erde zurückkehren, weil sie hier buchstäblich nicht mehr aus dem Bett kämen. Und so lebenswert ist der Mars dann auch nicht. Für Elon Musk ist die Kolonie ja in erster Linie eine Art Notfallplan, falls auf der Erde etwas schiefgeht. Aber wer will schon in einem Back-up leben und dafür Abstriche in der Lebensqualität machen? Über all das wird leider viel zu wenig gesprochen.

Immerhin gibt es gerade eine populäre TV-Serie namens »The Expanse«, die mit diesem Szenario spielt. Dort bekämpfen sich Erdlinge und Marsianer immer wieder. Wirklich schade, dass Sie keine Sciencefiction mögen …

Ich denke, so liefe es auch in der Realität: Die Menschheit würde sich langfristig in verschiedene Spezies entwickeln, und das alles nur wegen der unterschiedlichen Schwerkraft. Mit Weltraumsiedlungen, auf denen die Gravitation so groß ist wie auf der Erde, hätte man dieses Problem nicht.

In den 45 Jahren, die es die Idee mittlerweile gibt, ist wenig in dieser Richtung passiert. Frustriert Sie das manchmal?

Nicht wirklich, man kann ja nichts mehr daran ändern. Ich versuche eigentlich immer, nur über die Zukunft nachzudenken. Rückblickend muss man wohl sagen: Damals waren wir als Menschheit einfach noch nicht bereit für diese Pläne. Jetzt sind wir es vielleicht.

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